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Mehr Farbe für die Industrie
Neue Zürcher Zeitung

Zwei Bauten von Sauerbruch Hutton in Süddeutschland

Das in Berlin ansässige Büro Sauerbruch Hutton steht für eine Architekturauffassung, in der Funktionalität, Intelligenz und spielerische Lebendigkeit zusammenfinden. Den Durchbruch schaffte es mit einem Hochhaus und einem Forschungsgebäude in Berlin. Seine jüngsten Gebäude entstanden nun aber im Süden Deutschlands.

9. Januar 2004 - Hubertus Adam
Nur wenige in Deutschland ansässige Architekturbüros haben in den vergangenen Jahren auch international Anerkennung gefunden. Nicht, dass die Vertreter des Berufsstands keinen kommerziellen Erfolg hätten: Eine kritikfreie, sich als Leistungsschau gefallende Ausstellung über die chinesischen Aufträge des Büros von Gerkan, Marg und Partner im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe dokumentierte jüngst 18 in Planung befindliche Projekte, vom Business Center bis hin zur Stadt Luchao für 300 000 Einwohner. Die Perspektiven und Modelle aber zeigten Bauten, die man an anderer Stelle und von anderen Verfassern schon besser und überzeugender gesehen hat, und ähnlich verhält es sich vielerorts, wo deutsche Architekten tätig werden. Vertreter eines Neohistorismus, die besonders in Berlin auf eine Auftraggeberschaft neureicher Parvenüs stossen, sind für das Bild kaum repräsentativ, das eher durch eine Fortführung der diversen Spielarten der Moderne gekennzeichnet ist, selten hingegen mehr denn Mittelmass bietet.


Eleganz, Funktion und Spielfreude

Vielleicht ist es kein Wunder, dass die aus Norwich stammende Louisa Hutton und der in Konstanz geborene Matthias Sauerbruch an der Londoner Architectural Association diplomierten und einige Jahre in der britischen Kapitale tätig waren, bevor sie 1993 in Berlin das Büro Sauerbruch Hutton eröffneten. 1999 kamen Jens Ludloff und Juan Lucas Young als weitere Partner hinzu. In den späten neunziger Jahren errichtete das Büro zwei Gebäude, welche sich von der Provinzialität und Mediokrität eines auf Traufkante und Steinfassade fixierten Bauens in der neuen deutschen Hauptstadt abhoben: das amöbenhaft wirkende Photonik-Zentrum in Adlershof sowie die Erweiterung des GSW-Hochhauses in Kreuzberg (NZZ 3. 9. 99). Hier war Spielfreude am Werk und nicht Engstirnigkeit, Eleganz statt Starrsinn, Weltläufigkeit statt Mediokrität. Dabei nehmen die Architekten eine Haltung ein, die sich von der Beliebigkeit einer selbstgefälligen Ästhetik des L'art pour l'art ebenso weit entfernt weiss wie von der repetitiven Stupidität eines absolut gesetzten funktionalistischen Technizismus.

Bunte Farbstreifen sind gleichsam zum Markenzeichen des britisch-deutschen Architektenteams geworden. Als wollten sie Bruno Tauts Vision eines «farbigen Bauens» am Beginn des neuen Jahrtausends aufgreifen, realisierten sie in Magdeburg die «Experimentelle Fabrik», eine von der Universität und jungen Unternehmen genutzte Einrichtung für physikalische Grundlagenforschung (NZZ 21. 10. 03). Verwaltungstrakt und Experimentalhallen sind mit einer Haut aus gewelltem Aluminium überzogen; der wellige Überwurf wirkt mit seiner pastellfarbenen Pulverbeschichtung wie ein gespanntes Tuch in den Farben Pink, Orange und Silbergrau.

Eines der jüngsten Gebäude von Sauerbruch Hutton konnte im letzten Frühjahr im oberschwäbischen Biberach an der Riss, ungefähr vierzig Kilometer südlich von Ulm, übergeben werden. Wieder handelt es sich um ein Forschungsgebäude, in diesem Fall für das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim. Grund für den Neubau war der Wunsch der Firmenleitung, die beiden deutschen Standorte des global agierenden Unternehmensverbandes aus Gründen von Effizienz und Synergie klarer zu profilieren: Der Hauptsitz im rheinischen Ingelheim sollte fortan allein der Produktion dienen, das Zweigwerk in Biberach zum grössten der insgesamt fünf weltweit verteilten Forschungszentren ausgebaut werden. Für die von Ingelheim nach Oberschwaben zu verlegenden Forschungsgruppen «Zentrales Nervensystem» und «Genom» mit 110 Mitarbeitern waren neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Zur Verfügung stand für das neue Gebäude der pharmakologischen Forschung ein Bauplatz inmitten des ausgedehnten, über Jahrzehnte gewachsenen Firmencampus am Nordrand von Biberach. Beim Neubau von Sauerbruch Hutton handelt es sich um eine passgenaue Einfügung: Das neue Volumen erlaubt stufenfreie Übergänge zum Nachbargebäude, setzt die vorhandene Blockstruktur fort und basiert auf der maximalen Ausnutzung der Parzelle. Der strenge kubische Eindruck des sechsgeschossigen Körpers wird durch einen Knick in der Nordfassade leicht konterkariert, der durch die Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Baufluchten der Nachbargebäude bedingt ist.

Für die innere Organisation entwickelten die Architekten ein ebenso flexibles wie auf die Ansprüche der Nutzer zugeschnittenes Konzept, das aus Bürozonen, Laborbereichen und einem dazwischen befindlichen Bereich aus Atrien und Dunkelräumen besteht. Das markanteste Merkmal des Gebäudes stellt indes seine Fassade dar. Zweischichtig aufgebaut und durch Wartungs- und Fluchtgänge aus Gitterrosten getrennt, besteht sie aus Fensterbändern und Brüstungsfeldern sowie aus einer äusseren Glasschicht, die mit ihren vertikalen, automatisch gesteuerten Lamellen als Sonnenschutz fungiert, doch bei geschlossener Verglasung auch die Funktion eines thermischen Puffers übernimmt.

Hochrechteckige Felder verwandeln die Aussenhaut in ein homogenes Gefüge aus Glasplatten, die von Lage zu Lage halb versetzt sind. Die einzelnen Glasplatten wurden in Siebdrucktechnik mit einem zu 75 Prozent deckenden Punktraster bedruckt: Aubergine und Rot, Orange und Grün, Hellblau und Grau. Die unregelmässig über die Flächen verteilten Farben verdichten sich in gewissen Partien, so dass sie wie die verpixelt- unscharfe und damit nicht mehr identifizierbare Vergrösserung einer mikroskopischen Aufnahme wirken. Bei aller Buntheit tendieren die Farben nicht zum Grellen, sondern sind auf jenen Grundton gedeckten Graus abgestimmt, der die vorhandenen Bauten des Werkareals prägt und dennoch je nach Lichtsituation seinen Charakter moduliert; Farben sind Taten und Leiden des Lichts, wie es Goethe einmal formulierte. In einem von unspektakulär-ephemeren Bauten geprägten Ambiente ist eine Preziose entstanden, die gleichwohl nicht die Umgebung überstrahlt.


Gestapelte Farben

Ähnlich frappierend ist der Eindruck, den das neue Gebäude für den in Waldshut an der schweizerisch-deutschen Grenze ansässigen Sitzmöbelhersteller Sedus hinterlässt. Am drei Kilometer westlich des Firmensitzes gelegenen Produktionsstandort Dogern sollten Sauerbruch Hutton ein bestehendes, die Rheintallandschaft beherrschendes Hochregallager erweitern. Alt- und Neubau erhielten eine neue Fassadenhaut aus kleinen, bunt lackierten, längsrechteckigen Blechplatten. Schier endlos schichten sich die farbigen Balken übereinander, lassen das fenster- und massstabslose Volumen bei Sicht aus der Ferne zu einer allein grafisch gegliederten Fläche werden. Der Raster der Fassadenverkleidung evoziert das Bild des Schichtens - so, als handele es sich um einen gewaltigen Stapel aus Schachteln oder kleinen Containern. Doch je weiter man sich entfernt, desto stärker löst sich die Binnengliederung auf: Die einzelnen Farbflächen verlieren ihre Konturen und weichen einem neutralen Farbton, der sich erstaunlich gut in das waldige Grün der Schwarzwaldausläufer einfügt. Das ebenfalls von Sauerbruch Hutton entworfene Gebäude für die Entwurfsabteilung von Sedus soll zukünftig - auch formal - zwischen der kleinmassstäblich gegliederten Ortschaft Dogern und dem massigen Volumen des Hochregallagers vermitteln.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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