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Für da hinten in China
Spectrum

Dass europäische „Großarchitekten“ ihre städtebaulich armseligen Plangrafiken nach China verkaufen, ist ärgerlich genug. Dass fachfremde Journalisten sie auch noch euphorisch bejubeln, schlägt dem Fass den Boden aus.

10. Januar 2004 - Walter Zschokke
Eine dicke Haut müsste man haben. Dann würden Jubelartikel wie jener im „Standard“ vom 27. Dezember vorigen Jahres abprallen und ungelesen ins Altpapier wandern. Aber halt! Was da vorgestellt wurde, soll gebaut werden: in China, 60 Kilometer von Shanghai. Ein Kreisring von Büro- und Wohngebäuden umfasst einen See von 2,5 Kilometer Durchmesser. Radiale Autobahnen und ein halber Außenring zerteilen die peripher liegenden Flächen, in denen große Schachbrett-Quartiere, ähnlich römischen Kolonialstädten, isoliert in angedeutete Landschaftsstrukturen gesetzt sind. Zu dem um einige Kilometer hinausgeschobenen Meeresufer werden die Radialen mit Hochhausalleen markiert. Die Gewässer des ehemaligen Marschlandes sollen als Kanäle die Quartiere durchziehen, „die Luft reinigen“, im See münden und danach im Meer. Bei der geringen Fließgeschwindigkeit wird man sich wundern, wie das vor sich gehen soll. Aber bei dem großen Maßstab sind derartige Fragen wahrscheinlich kleinlich.

Luchao Harbour City, wie die Stadt heißen wird, soll bis 2020 für 300.000 Menschen Lebensraum bieten. Innerhalb des Autobahnrings liegen etwa 30 Quadratkilometer Fläche, das ergibt im Schnitt zirka 100 Einwohner pro Hektar, was nicht eben viel ist. Bewegen sollen sie sich per U-Bahn und zu Fuß. Fahrräder als Symbol eines überwundenen Lebensstandards wird es offenbar nicht mehr geben. Wie ein U-BahnBau im Grundwasser bei der relativ geringen Einwohnerdichte ökonomisch argumentiert wird und warum Straßenbahnen nicht das geeignetere Mittel der Wahl wären, wird nicht gesagt.

Das Grundrisskonzept weist von den Radialstraßen ausgehende hierarchische Erschließungen auf. Wenn man ins Nachbarquartier hinüber will, muss man mit dem Auto über den inneren Ring fahren - oder zu Fuß durch die dazwischen liegende Landschaft wandern. Öffentliche Bauten befinden sich vereinzelt in einem 500 Meter breiten, parkartigen Ring, der die Geschäftsstadt umfasst. Arbeitsstätten liegen offensichtlich am weitesten draußen, in ähnlichen Clustern wie die Wohnquartiere, am Außenring. Das gesamte Konzept folgt der überholten, weil zu simplen Trennung der Funktionen in Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verkehr, wobei letztere durch ein räumlich weites Auseinanderliegen der anderen drei erst recht anschwellen wird.

Was eine Stadt ausmacht: Vernetzung, Überlagerung und kurze Nebenwege für den langsamen Verkehr der Fußgänger und Radfahrer, ist nicht zu erkennen. Weite Zwischenzonen trennen die Quartiere. Werden sie zu Parks, oder dienen sie der Selbstversorgung in Kleingärten? Zu viele Fragen bleiben ungeklärt. Der sogenannte Entwurf erweist sich als plangrafisches Produkt in der bedenklichen Tradition frühneuzeitlicher Idealstädte oder akademistischer Zeichenübungen des 19. Jahrhunderts, überlagert von vulgärfunktionalistischen Stadtutopien letztendlich totalitärer Tendenz. Es sind dies eindimensionale Kopfgeburten, die einer ernsthaften Kritik nie standhielten, deren Autoren das Wesen des Urbanen nicht verstanden haben oder eben ganz andere Ziele verfolgten, etwa fortifikatorische, diktatorische oder die einer plumpen Funktionalisierung im Sinne simplifizierender Auslegung der Theorien von F. W. Taylor und Henry Ford. Dass beispielsweise die Wind- und Himmelsrichtungen für die Lage der Schachbrettquartiere egal sind, überrascht daher nicht. Es gäbe wohl nur wenige Universitätsinstitute für Städtebau in Europa, die auf ein solches Projekt positiv reagieren würden. Warum verkauft man dann diesen Ladenhüter nach China?

Aber das alles kümmert den „Großarchitekten“ Meinhard von Gerkan mit seinen über 300 Mitarbeitern wenig.
Für ihn ist alles einfach: Den chinesischen Auftraggebern liefert er das vermeintlich poetische Bild eines Tropfens, der ins Wasser fällt und konzentrische Kreise erzeugt. Wieder einmal wird uns eine falsche Metapher aufgetischt, die weder im Maßstab noch inhaltlich stimmt, aber sie lässt sich wunderbar raunend erzählen, und die Umstehenden werden mit den Köpfen nicken. Auf dem Modell in Tischgröße können sie es sich vorstellen, an den wirklichen Maßstab denken sie dabei nicht. Weiters suggeriert die Metapher einen Ausbreitungsprozess, der im Konzept nicht enthalten ist. Aber dafür war das Bild auch nicht gedacht. Es dient bloß als PR-Gag. Damit erweist sich die Planung für Luchao Harbour City als eine Wiederholung des uralten kolonialen „Tauschhandels“: Glasperlen für Elfenbein. Für die in Euro gezahlten Honorare erhalten die Auftraggeber drittklassige, formalistische Stadtgrundrisse, die den Verfassern in Europa zurückgewiesen oder im ersten Rundgang eines korrekt jurierten Wettbewerbs aus der Diskussion fliegen würden.

Mit verbalen Beschwörungen - „Luchao ist keine Autostadt, sie ist eine Menschenstadt“ - wird entgegen den langen Wegen von „Verkehrsberuhigung“ gefaselt. Oder: „Ich will, dass sich die Leute wohlfühlen“ - dann hätten der „Großarchitekt“ und seine Mitarbeiter entsprechende planerische Maßnahmen setzen müssen. „Identität“ will er schaffen - mit identischen Schachbrett-Quartieren von jeweils 13.000 Einwohnern. Aber Identitätsbildung beschränkt sich nicht auf formalistische Bilder, sondern ist ein gesellschaftlicher Vorgang. Die europäischen Städte gewannen ihre Identität unabhängig von ihrer Einwohnerzahl unter anderem dank der Selbstbestimmung der Bürger. Die Bürger ehemaliger Residenzstädte konnten erst nach dem Abdanken der absolut Herrschenden deren historische Bauwerke für die Stärkung ihrer Identität nutzbar machen.

Damit kommen wir zu einem weiteren ärgerlichen Punkt des PR-Artikels über die Großtaten des Hamburger Großbüros. Der Autor, Christian Sywottek, hat sich in seiner Ausbildung weder mit Architektur noch mit Städtebau eingehend befasst. Sein Fach ist vielmehr die flotte Schreibe. Da finden sich Sätze wie: „Jetzt gibt es Luchao. Im brodelnden China, dem einzigen Land, wo derartige Großprojekte eine Chance haben.“ Ohne dass nach dem Warum gefragt wird. Oder ein unkritisches Weitertragen von Aussagen, wenn der Planer stolz verkündet: „Die Chinesen, die haben es mehr mit dem metaphorischen Denken. Sie denken in Symbolen und auch mal um die Ecke.“ Das verweist auf eine zumindest überheblich paternalistische, wenn nicht gar neokolonialistische Haltung, die sich von einem partnerschaftlichen Austausch weit entfernt hat. Dies in Wien, der Stadt der Ringstraße, Camillo Sittes, Otto Wagners und seiner Schüler und so weiter lesen zu müssen schmerzt. Und man wundert sich wenig, dieselben Textbausteine desselben Autors, im „Du“ Nr. 742 von Dezember 2003 („Volles Risiko. Architektur als Abenteuer“), moderat redigiert, zu lesen. Ja, wenn die Lotsen und Steuermänner der Medien unachtsam sind, kann es empfindlich krachen.

Paradoxerweise darf man sich mit ähnlichen Argumenten - bloß anders interpretiert - trösten, mit denen sich der „Großarchitekt“ schon jetzt aus der Verantwortung schleicht: „Hoffentlich kommen nun nicht noch irgendwelche modische Angeber zum Zuge, die nur ordentlich einen raushängen lassen wollen.“ Wer vitale Städte kennt, weiß, dass deren Leben nach spätestens 200 Jahren jedes auch noch so verkorkste Layout zu überwinden vermochte. Dafür haben „die Chinesen“ sowohl Zeit als auch die Geduld.

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