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Bauten für Bauern und Könige
Neue Zürcher Zeitung

Bam und die Tradition der Lehmziegelarchitektur

Die zerstörte iranische Stadt Bam mit ihrer imposanten Zitadelle galt als eines der bedeutenden weitgehend intakt erhaltenen Beispiele der Lehmziegelarchitektur. Diese Bautradition, in der Monumentalarchitektur ebenso wie bescheidenste Wohnstätten geschaffen wurden, geht auf das 9. Jahrtausend v. Chr. zurück.

13. Januar 2004 - Alexander Pruss
Das Erdbeben, das am 26. Dezember die Stadt Bam im Südosten Irans in Trümmer legte, hatte eine Stärke von 6,3 bis 6,6 auf der Richter-Skala. Erdbeben dieser Grössenordnung sind gar nicht so selten. In der Woche zuvor hatte ein Beben ähnlicher Stärke Zentralkalifornien erschüttert. Während in den USA aber nur zwei Todesopfer zu beklagen waren, starben in Bam und Umgebung vermutlich mehr als 30 000 Menschen. Neben geologischen Faktoren und der unterschiedlich dichten Besiedlung an den jeweiligen Epizentren hat die in Bam vorherrschende Architektur aus ungebrannten und gebrannten Ziegeln die hohen Opferzahlen mitverursacht. Sowohl in der einst 115 000 Einwohner zählenden modernen Stadt als auch in der seit dem 19. Jahrhundert verlassenen nördlich angrenzenden Altstadt blieb kaum eine Mauer stehen. Die von den kleinteiligen Trümmern Verschütteten hatten nur geringe Chancen, noch lebend geborgen zu werden.

Iran liegt in einer geologisch aktiven Zone; Erdbeben treten immer wieder auf, und auch für die Provinz Kerman war die Gefahr durchaus bekannt. Bereits bei den grossen Beben von 1978 und 1990 im Osten bzw. Norden des Landes hatten kollabierende Ziegelmauern Tausende von Opfern unter sich begraben. Dass die Einwohner von Bam ihre Häuser trotzdem aus Lehmziegeln errichteten, mag aus der Ferne betrachtet als eine Mischung aus Leichtsinn und Fatalismus erscheinen. Diese Bauweise weist aber aus der Sicht der Bauherren auch eine Reihe von Vorzügen auf und ist im Laufe von Jahrtausenden optimal an die Umwelt angepasst worden.


Jahrtausendealte Tradition

Das Bauen mit Lehmziegeln hat eine sehr lange Tradition. Die frühesten Beispiele wurden bei archäologischen Grabungen in Nordsyrien und im Nordirak gefunden und datieren aus dem 9. Jahrtausend v. Chr. Seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. kennt man gebrannte Ziegel. Diese sind wesentlich haltbarer, fanden in der Antike aber wegen der hohen Brennstoffkosten nur bei öffentlichen Bauten und in vornehmen Wohnhäusern Verwendung. Praktisch die gesamte Architektur des alten Mesopotamien ist aus Lehmziegeln errichtet worden, bis hin zu den Zikkurats (den Stufentürmen Babyloniens) und den gewaltigen Palästen der Assyrer. Die Gebäude auf der grandiosen Palastterrasse der alten iranischen Hauptstadt Persepolis hatten Wände aus Lehmziegeln, nur Säulen, Fenster und Türen waren aus Stein. Selbst im alten Ägypten bestanden nur Tempel und Paläste seit der Mitte des 3. Jahrtausends aus Stein; sonst wurde mit Lehmziegeln gebaut.

In vielen Gegenden Asiens und Nordafrikas hat sich diese Bauweise bis in die Moderne behaupten können. Die meisten städtischen Lehmziegelbauten sind allerdings im Zuge der Modernisierung abgerissen worden. Architekturhistorisch bedeutsame Ensembles haben sich dort erhalten, wo ganze traditionelle Städte im 19. und 20. Jahrhundert aufgegeben und in der Nähe neu gegründet wurden. Die ab 1840 verlassene Altstadt von Bam (NZZ 30. 12. 03) war bis zu ihrer Zerstörung ein hervorragendes Beispiel für eine völlig aus Lehmziegeln errichtete Stadt.


Die Vorteile der Ziegelbauweise

Öffentliche Bauten werden heute nirgendwo mehr aus Lehmziegeln gebaut, für Privathäuser wird diese traditionelle Technik vor allem in ländlichen Gebieten noch genutzt. Zur Produktion von Lehmziegeln braucht es lehmige Erde, Stroh und Wasser. Die feuchte Lehmmasse wird in Formen gestrichen und zum Trocknen in der Sonne auf dem Boden ausgelegt. Nach einigen Tagen werden die Ziegel aufgestellt, und nach etwa zwei Wochen sind sie fast steinhart getrocknet. Diese Arbeit wird in den Dörfern meist von den Bauherren selbst erledigt; in grösseren Siedlungen gibt es Ziegelmacher, die ihre Produkte auf den lokalen Märkten absetzen.

Das Auslegen der Grundmauern und das Hochziehen der Gebäudeecken erfordert einige Erfahrung und wird oft von Spezialisten bewerkstelligt. Die restlichen Maurerarbeiten können aber gut in Eigenregie durchgeführt werden. Die Decke wird von Holzbalken getragen, die Abdeckung des Flachdaches erfolgte traditionell mit Matten, heute in der Regel mit Plasticplanen. Darauf folgt eine Lage Stroh und Verputz. In ganz trockenen Gegenden bleiben die Aussenmauern unverputzt. Im vorderen Orient hingegen wird - traditionell von den Frauen des Hauses - ein Lehmputz aufgetragen. Ein heller Kalkverputz, der in vielen Gegenden zusätzlich aufgetragen wird, schützt die Mauern vor Regen und vermindert die Erwärmung durch die Sonnenstrahlen. Sind die Baumaterialien erst einmal vorhanden, kann eine Familie ihr Haus in wenigen Wochen erstellen. In Syrien belaufen sich die Kosten für ein einfaches Haus (inklusive Fenstern und Türen aus Holz oder Eisen) heute auf umgerechnet ungefähr 1000 Dollar; eine Summe, die auch einfache Familien in einem überschaubaren Zeitrahmen zusammensparen können.

Die massiven Ziegelmauern nehmen in der heissen Jahreszeit tagsüber Wärme auf und geben sie in der Nacht wieder ab. Im Winter isolieren die Mauern gegen die Kälte. In Bam etwa kann es im Sommer über 45 °C heiss werden, im Winter dagegen liegen die Nachttemperaturen häufig im Minusbereich. Die Temperaturschwankungen im Laufe eines Tages können leicht 30 °C erreichen. An solche Klimabedingungen ist die Lehmziegelarchitektur hervorragend angepasst. In Bam waren viele alte Häuser zudem mit Windtürmen ausgestattet, die im Sommer für weitere Kühlung sorgten. Gegenüber der modernen Alternative Beton hat die Lehmziegelarchitektur allerdings auch einige Nachteile. Lehmhäuser sind schwieriger sauber zu halten als Betonbauten, und die natürlichen Baumaterialien bieten auch unwillkommenen «Untermietern» wie Insekten, Skorpionen und Mäusen eine Bleibe. Die Häuser müssen regelmässig gewartet und neu verputzt werden, was vor allem viele Jüngere abschreckt. Zudem hat die traditionelle Bauweise oft ein schlechtes, weil rückständiges Image, insbesondere bei den städtischen Verwaltungseliten.


Wie weiter in Bam?

In Bam hat der Wiederaufbau der zerstörten modernen Stadt Priorität. Mit Stahlbetonskeletten neu gebaute Häuser könnten mit einigen zusätzlichen Massnahmen relativ erdbebensicher errichtet werden. Hierzu würden die Bewohner aber finanzielle und technische Unterstützung benötigen. Die in Eigenregie neu zu errichtenden Bauten werden daher vielfach wieder in traditioneller Bauweise entstehen. Mit einer baulichen Erdbebenvorsorge in sämtlichen seismisch aktiven Gegenden (die einen Grossteil des Landes ausmachen) dürfte das Entwicklungsland Iran auf absehbare Zeit überfordert sein.

Die Altstadt von Bam zu rekonstruieren, ist eine Aufgabe von gewaltigen Dimensionen, aber - soweit sich das ohne Augenschein beurteilen lässt - eine durchaus lösbare. Ziegelmauern pflegen so zu kollabieren, dass die untersten Lagen an Ort und Stelle erhalten bleiben und vom Schutt der oberen Mauerpartien begraben werden. Beim Beseitigen des Schutts lassen sich so die Grundmauern erkennen, auf denen eine Rekonstruktion errichtet werden kann. Hinzu kommt, dass der jetzt zerstörte Zustand der Altstadt von Bam bereits auf eine Restaurierung zurückgeht. Die über der Stadt thronende Festung war noch unter der Regierung des Schahs restauriert worden, und auch die Islamische Republik war in Bam nicht untätig. Nach einem Besuch vor Ort veranlasste der damalige Präsident Rafsanjani in den frühen 1990er Jahren umfangreiche Restaurierungsarbeiten bei den durch Erosion beschädigten Lehmbauten in der eigentlichen Stadt. Noch in den 1970er Jahren hatte der deutsche Iranist Heinz Gaube geschrieben, dass die Mauern der Altstadt aussähen, als ob sie dabei seien zu schmelzen. Die im Zuge der damaligen Restaurierungen erstellte Dokumentation sollte ausreichen, um auch aus dem Verlauf der Grundmauern nicht ersichtliche Details wie Dekorationen und Lage von Fenstern und Nischen wieder herzustellen. Weiterhin kann davon ausgegangen werden, dass vor Ort fachkundige Arbeitskräfte zu finden sind. Die Rekonstruktion der 1990er Jahre wurde in gebrannten Ziegeln ausgeführt, zu deren Herstellung eigens eine Ziegelei am Rande der Altstadt errichtet worden war. Sie sind weitgehend witterungsbeständig und unterscheiden sich optisch nur wenig vom originalen ungebrannten Baumaterial. Seismischen Kräften - dies hat sich nun überdeutlich gezeigt - können sie allerdings nur bedingt standhalten. Ein Aufbau in modernen Materialien könnte sich zwar als widerstandsfähiger erweisen, wäre aber mit dem Charakter des einzigartigen Architekturdenkmals Bam unvereinbar.


[Alexander Pruss ist Archäologe mit dem Fachgebiet Vorderasien und hat an Ausgrabungs- und Restaurationsprojekten in Syrien mitgewirkt.]

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