Artikel

Ein Nomade, der Häuser baut
Neue Zürcher Zeitung

Ein Besuch beim Basler Architekten Roger Diener

Er zählt zu den führenden Vertretern der Deutschschweizer Architekturszene, der 53- jährige Basler Roger Diener. Obwohl er ausser in der Schweiz auch in vielen europäischen Grossstädten arbeitet, nahm ihn ein breiteres Publikum vor allem als Architekten der umstrittenen Schweizer Botschaft in Berlin zur Kenntnis.

30. Januar 2004 - Annette Mahro
Ihn zu treffen, ist nicht leicht. Denn oft ist er unterwegs in Berlin, Florenz, Malmö, Shanghai oder irgendwo sonst auf der Welt. In den letzten Monaten dürfte Roger Diener sein Büro in der Basler Innenstadt nur selten gesehen haben. «Ich bin Nomade», bekennt der 53-jährige Architekt. Ein Nomade, der Häuser baut. Das eigene Büro nutzt er selten, breitet seine Arbeit lieber raumgreifend im angrenzenden Besprechungszimmer aus. Das ist keine Frage des Platzes. Davon gibt es seiner Meinung nach eher zu viel im früheren Office seines Vaters, das heute seines ist. 1980 wurde der Wanderer zwischen den Welten Partner im 38 Jahre zuvor gegründeten Architekturbüro von Marcus Diener. Seit 1985 lehrte Roger Diener an der ETH Lausanne, der Harvard University sowie den Hochschulen in Wien, Amsterdam und Kopenhagen und wurde 1999, im Todesjahr des Vaters, zum ordentlichen ETH- Professor berufen. Gemeinsam mit Marcel Meili, Jacques Herzog und Pierre de Meuron führt Diener das ETH-Studio Basel und das «Institut für die Stadt der Gegenwart».


Projekte in aller Welt

Neben der Lehrtätigkeit betreut er Projekte in ganz Europa. Derzeit sind es 16, mit denen seine bis zu 40 Mitarbeiter beschäftigt sind. Vollständig gibt Diener aber kein Projekt aus der Hand. In jedes Konzept, jeden Entwurf, jedes städtebauliche Gutachten ist er mindestens phasenweise eingebunden. Regelmässig finden zudem Ausstellungen statt. So galt die im letzten Herbst in Florenz gezeigte Schau, die im Frühjahr auch noch in Mailand zu sehen sein wird, den Museumsbauten des Büros Diener - von der Kölner Galerie Gmurzynska bis hin zur neusten Erweiterung der Galleria Nazionale d'Arte Moderna in Rom. Solche Veranstaltungen dienen dem Austausch ebenso wie der eigenen Positionierung.

Was rückblickend als ein über viele Jahre sich erstreckendes Kontinuum erscheint, stellt sich für Diener in der Phase der Entwicklung und der Planung völlig zerklüftet dar: «Der Raum, den ein Projekt beansprucht, zerfällt in viele Teile.» Dieses Stop-and-go-System nennt er eine der schwierigsten Bedingungen der Architektenarbeit. Mehr und mehr ergibt sich laut Diener eine aus vielen Einzelleistungen zusammengesetzte Programmierung der Projekte, was den Architekten immer weiter von der traditionellen Praxis des Entwerfens entfernt: «Prozessuale Fragen bestimmen heute mehr denn je den Entwurf. Selbst die Wettbewerbe sind nicht mehr in erster Linie Instrument, die beste Lösung zu finden.» Den Gedanken, deshalb völlig losgelöst ein Haus zu entwerfen, weist Diener gleichwohl zurück: «Für sich selbst zu bauen, ist für mich eine ganz uninteressante Vorstellung.»

Der einzelne Baukörper steht - trotz der oft monolithischen Wirkung seiner Bauten - für Diener nie im Zentrum. «Wir konzentrieren uns nicht auf neue singuläre Gebäude.» Wichtiger sind die Auseinandersetzung mit politischen, ökonomischen und sozialen Aspekten sowie der städtebauliche Zusammenhang. So bewegt sich etwa das extrem spartanisch wirkende Bürohaus am Basler Barfüsserplatz von 1995 durch seine versetzten Fenster auf die Umgebung und die angrenzenden Bauten zu und versucht sie aufzuwerten: «Ein Haus darf seine Nachbarschaft nicht klein machen, sondern soll sie zum Klingen bringen.»


Architektur und Kunst

Das Haus, in dem sich Roger Dieners Studio befindet, hat Marcus Diener 1963 gebaut. Abgesehen vom späteren Anbau eines offenen Zeichensaals wurde in den Räumen seither kaum etwas verändert: Imponiergehabe in Form von Styling liegt Roger Diener nicht. Auch Kunst findet sich wenig: eine Arbeit von Dani Caravan, ein früher Luginbühl im Entrée und ein unscheinbar placiertes Gemälde von Helmut Federle. Flure und Räume zieren grossformatige Innenaufnahmen eigener Bauten. Es wird nichts inszeniert.

Die Partnerschaft mit Federle, der die Reliefwand an der Schweizer Botschaft in Berlin konzipierte, ist Diener auch bei den Fassaden des neuen Hauptgebäudes auf dem Basler Novartis- Campus wichtig, denn sie ermöglicht das Verschmelzen zweier Ebenen: «Wir haben nach einer Fassung gesucht, die weder auf die Architektur, noch auf die Kunst verweist.» Im Ergebnis besteht die Fassade, an deren Gestaltung auch noch der Wiener Architekt Gerold Wiederin beteiligt ist, aus rahmenlosen farbigen Glasfeldern. Die Farbflächen verweisen auf die Geschichte des einst von der industriellen Farbproduktion bestimmten Ortes. Auch anderswo versucht Diener die Bauten mit dem Genius Loci zu verbinden, etwa bei den städtebaulichen Projekten des Maag- Areals im Zürcher Industriequartier oder der «Miba City-Gate» in Basel. Beide stehen unter dem Oberbegriff des urbanen Dialogs.
Unvermeidliche Handschrift

Das Thema der architektonischen «Signatur» ist für Roger Diener nebensächlich. Ein Zurücktreten hinter das Werk ist charakteristisch für sein Architekturverständnis. Mit Bescheidenheit habe das nichts zu tun, erklärt der Architekt, der selten «ich», aber oft «wir» sagt, in der ihm eigenen ruhigen Sprache. «Man arbeitet natürlich nicht ohne Handschrift.» Nur tragendes Element darf sie nicht werden. Unter diesem Aspekt hat sich sein Büro schon früh der Aufgabe gewidmet, historisch gewachsene Quartiere nicht zu konservieren, sondern fortleben zu lassen. Die so entstandenen Ergänzungen historischer, oft unter Denkmalschutz stehender Bauten wurden und werden viel diskutiert.

Die jüngst abgeschlossene Erweiterung des Auktionshauses Stucker in Bern und der kubische Anbau des Centre PasquArt in Biel waren äusserst behutsame Umsetzungen dieses Prinzips. Eine neue Dimension hätte die Aufstockung der zum Weltkulturerbe erhobenen Essener «Zeche Zollverein» bedeutet, die nun trotz gewonnenem Wettbewerb doch nicht realisiert wird. Der Entwurf kreiste um die Themen der ingenieurtechnischen Kühnheit und des Neudenkens von denkmalschützerischen Ansätzen. Anders als das von Rem Koolhaas vorgeschlagene Einhüllen und Unsichtbarmachen des alten Baus hätte Dieners Aufstockung ein Bekenntnis zum Weiterwachsen bedeutet. «Unsere Vorstellung ist die, dass sich das Denkmal in jedem Fall entwickelt.» Wichtig für Diener ist es deshalb, aus dem Alten zu schöpfen und Neues an das Bestehende anzufügen, wodurch das Baudenkmal um eine aktuelle Dimension erweitert wird.

An den Verzicht auf alle Ornamentierung hat sich das Publikum bei Dieners Bauten gewöhnt; und auch deren Sachlichkeit darf fast schon als klassisch gelten. Deutlich anders rezipiert wird hingegen die Härte gewisser Bauten, die sich mit der Bezeichnung architecture brute umschreiben liesse. Damit kommt Diener auf den Streit um die Schweizer Botschaft in Berlin zu sprechen, die eine Zeitung gar einen «Nazi-Bunker» nannte. «Wenn man zu wissen glaubt, um was es geht», sagt Roger Diener, «kann man mit Anfeindungen umgehen.» Im Berliner Fall widersprachen Form und Material nicht allein dem neuen deutschen Selbstverständnis, wie es in der strahlenden Reichstagskuppel zum Ausdruck kommt. An einem Ort, der die Wiedervereinigung zelebriert, nimmt Dieners Bau bewussten Bezug auf das Fragmentarische und erzählt von den einstigen Zerstörungen im Spreebogen. Gerade deshalb ist es ein wichtiges Haus, wie auch die jüngst erfolgte Auszeichnung mit dem Berliner Architekturpreis zeigt. «Der Konflikt in Berlin war vorhersehbar, muss aber Ausnahme bleiben.» Die Rolle des Bürgerschrecks ist Roger Dieners Sache nicht.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: