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Das andere Bild der Emanzipation
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Die japanische Designerin Kazuko Koike hat eine eigenwillige Foto-Dokumentation der Emanzipationsbestrebungen junger Mädchen in Tokyo zusammengestellt.

13. Juli 2000 - Roland Schöny
In den Giardini von Venedig fühlt man sich angesichts der Architektur des japanischen Pavillons in vielen Vorstellungen, die man sich als Europäer von der Mentalität im Reich der aufgehenden Sonne macht, bestätigt. Im Gegensatz zu den imperial anmutenden gründerzeitlichen Ausstellungs- Bauten in der Umgebung ist der an einem kleinen Hügel gelegene Japan-Pavillon aus Beton ein nüchtern gehaltenes Statement der Moderne.


Scheinbare Klischees

Der Gedanke an fernöstliche Askese und die bekanntermaßen sparsame Haltung der Japaner in punkto Raumgestaltung kommt da auf. Ebenso schlicht wirkt die Präsentation Japans in Bezug auf das diesjährige Motto der Architekturbiennale. Obwohl Massimiliano Fuksas mehr Ethik eingefordert hat, ist man geneigt zunächst hauptsächlich Ästhetik zu entdecken.

[Abb.: Der japanische Pavillon]

Die Stämme der Bäume rund um den Pavillon sind mit weißem Papier umwickelt. Rund um das Gebäude und auch im Inneren wurde weißer Kies aufgeschüttet. Weiße Margeriten oder vielleicht Gänseblümchen aus Plastik wachsen darin empor.


Unscheinbare Irritation

Aber dann finden sich doch einige Anhaltspunkte: auf kleinen, zarten Pulten, die ein wenig an Notenständer erinnern, werden Fotos japanischer Mädchen präsentiert. Die Idee stammt von der japanischen Designerin Kazuko Koike. „In den Menschen spiegelt sich die Stimmung einer Stadt“, findet sie. „Obwohl wir bereits das Jahr 2000 schreiben, finden sich in der männlich dominierten japanischen Gesellschaft immer noch viele problematische Punkte, abseits der technischen oder ökonomischen.“

Sie erinnert sich, dass man in den Diskussionen zur Pavillongestaltung rund um das Thema „Ethik und Architektur“ relativ bald auf die Problematik der sozialen Ungleichheit der Geschlechter zu sprechen kam. Bis heute nämlich ist in Japan der Standpunkt, dass der Platz der Frau in der Küche sei, weitverbreitet. Kazuko Koike stellt fest: „Mädchen sind heute immer noch nicht in die japanische Öffentlichkeit integriert, aber ich glaube, sie haben klare Augen, um ihr Leben in der Gesellschaft zu reflektieren.“


Verkehrte Welt?

Hier wird also von Frauenemanzipation gesprochen. Aus westlicher Sicht jedoch könnte man fast an das Gegenteil denken. Die Mädchen auf einigen der Fotografien sind nämlich aufreizend gekleidet und schrill geschminkt wie Barbie-Puppen. Sämtliche Klischeebilder von Weiblichkeit finden sich da wieder: lange Wimpern, greller Lippenstift und zur Schau gestellte Beine.

Diese Bilder erinnern an Szenen, wie sie in Tokyo immer vorzufinden sind, etwa in der Nähe der U-Bahn-Station des berühmten Ueno-Parks, wo ganze Gruppen bunt gekleideter Mädchen auf der Straße sitzen. Manche haben ihr Haar rot gefärbt, manche betonen ihre Körperformen durch eng geschnittene Mieder, manche wiederum sehen aus wie Jane Fonda im Film „Barbarella“.


Die Präsenz zählt

Ungewöhnlich für Passanten aus dem Westen ist, dass diese Mädchen sich in der Öffentlichkeit geradezu demonstrativ frisieren oder einander gegenseitig die Nägel lackieren. Emanzipierte Frauen könnte man sich auch anders vorstellen. Dazu ein überraschendes Statement von Kazuko Koike: „Diese Mädchen mögen kitschig oder eigenartig wirken, manchmal sogar ekelhaft, aber sie sind das Herz jener Gesellschaft, die in Japan das 21. Jahrhundert prägen wird.“

[ Abb.: Foto: Hellen van Meene ]

Was auf Menschen aus dem Westen so eigentümlich und mitunter kindisch wirken mag, sei im Grunde eine geradezu revolutionäre Entwicklung. Denn in einer Gesellschaft, in der Kleidung gewöhnlich fast Uniform-Charakter hat und in der Frauen bis in das späte 20. Jahrhundert aus der Öffentlichkeit weitgehend verbannt waren, würden sich Mädchen jetzt auf derart auffällige Weise Präsenz verschaffen. Durch derartige Inszenierungen sei der Blick nun geradezu automatisch auf sie gerichtet, meint Kazuko Koike.


Visuelle Umsetzung

„City of Girls“ heißt die Ausstellung Japans auf der Architektur-Biennale. Um die auf Europäer fremd wirkende Welt verstärkt zu betonen, wurde die niederländische Künstlerin Hellen van Meene engagiert, um die Fotoaufnahmen zu machen.

Die Architekten des Projekts Kazyu Sejima und Ryue Nishizawa wollten durch die gesamte Inszenierung den Eindruck eines geöffneten Raumes herstellen, um das Aufweichen der strengen Grenzen zwischen Drinnen und Draußen in der japanischen Gesellschaft zu symbolisieren.

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