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Die große Stille
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Architekturausstellungen nehmen mitunter den Charakter eines multimedialen Spektakels an. Klassische Präsentationen in Form von Zeichnungen, Modellen und Fotografien scheinen längst der Vergangenheit anzugehören. Seit den 90er Jahren dominieren auch in diesem Kreativbereich bunte digitale Animationen auf Großbildschirmen.

13. Juli 2000 - Roland Schöny
Da werden Entwürfe für Neubauten nach allen Seiten gedreht, wie mit einer Filmkamera im Inneren durchfahren und schließlich in unterschiedliche städtebauliche Situationen hinein gezwängt: Architektur als digitaler Baukasten.


Junge Wilde

Im großen, mittleren Pavillon in den Giardini von Venedig kann man solche Formen der Präsentation erleben. Junge Architekten präsentieren da in einem der Räume in Hochgeschwindigkeit ihre Ideen. Das Ganze wirkt, als müsse man sich auf mehreren Fernsehern gleichzeitig durch sämtliche Programme klicken, um einen eingermaßen adäquaten Überblick zu bekommen.


Nouvel gibt kontra

Einem solchen Übermaß an Eindrücken setzt Jean Nouvel, der diesjährige Gewinner des Goldenen Löwen und einer der Kuratoren des französischen Pavillons, eine geradezu nüchterne Stille entgegen. Die drei gründerzeitlichen Präsentationsräume im Inneren hat Nouvel leer belassen. Kein Sockel für Modelle gebauter Ikonen der Moderne findet sich da, keine nachgebauten Straßenfluchten.


Reiz der Reduktion

Nein, Jean Nouvel überrascht sein Publikum mit handgeschriebenen Texten, die er auf die Pavillonwände geschrieben hat wie eine Schönschreibübung auf eine Schultafel: Er möchte zur Basis aller Konzepte zurück, zur Sprache. Oder anders gesagt: Hinter dem Begriff der Ethik müssen politisches Strategien stehen. Von Ethik zu sprechen, bedeute Leitmotive für politisches Handeln zu finden, meint Jean Nouvel.


Die Kunst, Fragen zu stellen

Die einzelnen Feststellungen und Fragen, die man an den Innenwänden des französischen Pavillons lesen kann, beziehen sich daher auf Phänomene wie Multikulturalität, auf die Spannungen zwischen alteingesessenen Bewohnern von Städten und den zahlenmäßig permanent zunehmenden Migranten. Aber auch die Nord-Süd-Problematik wird angesprochen, die ungleiche Verteilung von Rohstoffen oder die steigenden sozialen Probleme in den Mega-Citys der Welt, wo die Ärmsten der Armen immer wieder neue Strategien des Überlebens finden müssen.

[ Abb. ]

Team works

Jean Nouvels Versuch aus dem Feld der Architektur heraus auf solche Probleme zu reagieren wirkt ungewöhnlich. Gemeinsam mit anderen Architekten möchte Jean Nouvel einen Problemkatalog erarbeiten, in dem Grundfragen zur Stadt der Zukunft aufgelistet sind. Verkehr, Ernährung, Gesundheit oder Sicherheit sind die großen Themen. Eine erste große Diskussionsrunde dazu gab es unmittelbar nach Eröffnung dieser Architekturbiennale.

Das nächste Treffen soll dann Ende Juli stattfinden. Solche Fachdiskussionen, in denen Perspektiven ausgearbeitet werden sollen, wirken im Rahmen einer Ausstellung etwas ungewöhnlich. Zugleich liegt Jean Nouvel mit seiner Idee ganz im Trend der Zeit. Denn auch im amerikanischen Pavillon hat man eine Arbeitsgruppensituation geschaffen, und nicht zuletzt haben sich auch im Bereich der Kunst Gruppen zusammengeschlossen, um soziale Fragen aufzuwerfen.

Doch der international renommierte Jean Nouvel möchte die Autorität seines Namens dafür einsetzen, um auf aktuelle Problemstellungen in den Städten der Gegenwart aufmerksam zu machen. Zumindest der Idee nach scheint Jean Nouvels Projekt somit eine der umfassendsten Antworten auf das Motto dieser Architekturbiennale - „Less Aesthetics. More Ethics“, "Weniger Ästhetik. Mehr Ethik - zu sein.

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