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Geburtsstunden der Großstadt
Der Standard

Das Wiener Architekturzentrum zeigt die erste Etappe der seit langem geplanten Dauer- ausstellung zur Entwicklung der österreichischen Architektur im 20. und 21. Jahrhundert.

6. März 2004 - Oliver Elser
Wien - Es ist eine Binsenweisheit, aber sie kann nicht oft genug wiederholt werden: Architektur im Medium einer Ausstellung präsentieren zu wollen, stößt an die Grenzen des Darstellbaren. Gebäude lassen sich nicht ins Museum transportieren, nur abbilden, beschreiben, in Skizzen, Zeichnungen oder Modellen erfassen. Das Architekturzentrum Wien (AzW) hat sich in der Vergangenheit bemüht, das Dilemma zu umschiffen, und die Nebenprodukte der Architektur in den Mittelpunkt gestellt. Daraus sind wunderschöne Ausstellungen hervorgegangen, so etwa mit Skizzen von Steven Holl oder den Architekturbüchern der Sammlung Marzona.

Möglicherweise waren viele Besucher davon ein wenig irritiert. Es fehlte der Überblick, der Architekturbeitrag zum „Vienna in two days“-Programm. Mit der aschau bietet das AzW diesen Service nun an, entzieht sich gleichzeitig aber der schnellen Konsumierbarkeit. Die Ausstellung ist das Standbein auf etwa der Hälfte der verfügbaren Fläche und wird mit Sonderausstellungen kombiniert.

Die unsichtbare Basis des Großvorhabens, das ganze 20. Jahrhundert in einem Raum zusammen zu bringen, bildet das Archiv des Architekturtheoretikers Friedrich Achleitner, das sich seit einigen Jahren im Besitz des AzW befindet und in diesem Jahr in einer Online-Ausgabe zugänglich gemacht werden soll. Ausgehend von Achleitners prallgefüllten Zettelkästen haben die Kuratorinnen Gabriele Kaiser und Monika Platzer Berge von Material zusammengetragen. Sie präsentieren es auf einem Modulsystems der Gruppe Walking-Chair als dreidimensionalen Architekturführer. Die eigens entworfenen Stühle sind das wohl wichtigste Zubehör der aschau, der ein lesefreudiges Publikum zu wünschen ist.

Und das, was leicht einen Nachmittag füllt, ist erst der Epilog und umfasst Bauten zwischen 1850 und 1918. Lediglich eine Sektion zum Wohnbau reicht an die Gegenwart heran.

Nach den Monumentalplanungen der Wiener Ringstraße verschob sich die Bautätigkeit um die Jahrhundertwende auf „Nutzbauten, die einen demokratischen Zug“ aufweisen, so ein Zeitgenosse 1895. Otto Wagners Postsparkasse und Joze Plecniks Zacherl-Haus mit ihren „montierten“ Fassaden, die Stadtbahn und das Secessionsgebäude sind Elemente der modernen Großstadt, die den „vertanen Chancen“ (Achleitner) bei Bauten wie dem Kriegsministerium gegenübergestellt werden.

Obwohl auch die soziologischen und kulturellen Bedingungen jener Zeit gestreift werden und nicht zuletzt die stadthygienischen Maßnahmen wie die Regulierung des Wienflusses, liegt der Schwerpunkt der Ausstellung auf einzelnen Baugeschichten. Pläne und Zeichnungen erscheinen nur als Faksimile, was zwar schade ist, aber andererseits passt so jedes Blatt ins dichte Layoutraster, das die Ausstellung bei aller Fülle angenehm kompakt macht.

In den nächsten Monaten wird nachverdichtet und das Ergebnis dann auf Jahre im AzW zu sehen sein. Soviel Zeit muss sein.
Begleitprogramm der Ausstellung unter: www.azw.at

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