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Und dann der Aha-Effekt
Und dann der Aha-Effekt, Schaubild: Walter Zschokke
Spectrum

Was bleibt von einem Bauwerk übrig, wenn sich der mediale Pulverdampf gelichtet hat und die Hofberichterstatter des „Star-Architekten“ abgezogen sind? Oder: Genügt ein Name für ein Urteil?

3. April 2004 - Walter Zschokke
Die Frage, ob Architektur ein Trägermedium ist, das mit außerarchitektonischen Botschaften aufgeladen werden kann, scheint wieder einmal die Köpfe zu beschäftigen. Denn ein Bauwerk allein, das bloß sich selber ist und darüber hinaus keine Botschaft transportieren will, scheint für den Markt uninteressant, verlangt der Markt doch von der Oberfläche der Waren ausgehende Botschaften. Und, sagen die Werbeberater, je plakativer die Botschaft, desto leichter wird sie verstanden. Bauten wären dann ideale Vehikel zur Verbreitung unterschiedlichster Botschaften, weil sie immer dastehen und ungefragt ihre (Werbe-)Aussage verkünden. Dabei meine ich natürlich nicht die Plakatwände, die an Fassaden angebracht, oder die Reklamebilder, die auf Feuermauern gepinselt werden. Nein, gemeint sind Bedeutungen, die den Bauten auf unterschiedliche Weise zugeschrieben werden.

Da die Zeit immer drängt, wird die Zuschreibung von Bedeutung meist etwas angeschoben, etwa durch Ansage, indem Architekt und Bauherrschaft gewisse leicht erkennbare Elemente benennen und damit Stichworte liefern, die in beflissener medialer Wiederholung den Weg zu den Besuchern des Objekts finden und bei ihnen den Aha-Effekt auslösen: „Aha, ich sehe das flaschengrüne Glas; aha, damit sind Weinflaschen gemeint; jetzt begreife ich diese Architektur.“

Ebenfalls wirksam ist es, einen bekannten Architektennamen, von einem, der schon länger im Geschäft ist, wie einen Schild vor das Gebäude zu stellen, vorzugsweise mit dem Zusatz „Star“. Der Name und die paar Zeichen, die er anbringt, bürgen für ein Wiedererkennen: „Den Namen habe ich schon gehört oder gelesen, der ist (mir) bekannt, dann muss er ein wichtiger Architekt sein, ergo ist auch die Architektur des Gebäudes gut.“ Dass die Namen der sogenannten Stararchitekten dabei verwechselt werden, ist üblich, spielt aber für den gewünschten Effekt keine Rolle. Das Starprinzip enthebt Kritiker, Kollegen und nicht zuletzt Politiker, sich auf die Architektur einlassen zu müssen. Der Name genügt für ein Urteil. Mehr braucht man nicht verstanden zu haben.

Bedeutung lässt sich aber auch durch mediale Aktivitäten zuschreiben. Die Zahl der Lobeshymnen, verfasst durch Journalisten, die vielleicht einen flotten Schreibstil pflegen, aber nicht fähig sind, einen architekturbezogenen Zugang zu suchen und sprachlich wiederzugeben, hat stark zugenommen. Da wird locker behauptet, ohne die Behauptungen am Gegenstand zu belegen. In solchen Beiträgen liest man die haarsträubendsten Metaphern und Maßstabsverirrungen in der Wahl der Vergleiche, denn Vergleichen ist hilfreich, möglichst mit einem Gebäude, dem bereits Bekanntheit und Bedeutung zukommt, auch wenn die Ähnlichkeit dürftig ist und der Vergleich hinkt.

Und Provokation ist immer gut. Sie dient meistens dazu, mit dem Gebäude in die Medien zu kommen und auf diese Weise eine über die Vorbeigehenden hinausreichende Zahl an Menschen anzusprechen und so die gewünschte Bedeutung zu erlangen. Wenn nun Gebäude auf die genannten Arten bedeutend gemacht wurden, sind sie dann zugleich gut? Und wenn Bauwerke wenig bedeuten, sind sie dann zugleich schlecht?

Wie veraltet erscheint daneben die Bedeutungszuweisung durch die Nutzung, die einem Gebäude über die Jahre zuwächst. Aber aufgepasst, es ist dies die stärkste Einschreibung von Bedeutung, die selbst nach einem Wechsel der Nutzung nicht sofort verschwindet. Es hängt mit der langen Lebensdauer von Bauwerken zusammen, dass kurzlebige Bedeutungen an ihnen nicht haften bleiben, sondern im Takt mit den kulturellen Wechselbädern sich verlieren. Je rascher die Metaebene, die man sich als Bezug für die Bedeutungszuschreibung gesucht hat, der Veränderung unterworfen ist, desto eher verliert sich die aufgeklatschte Bedeutung und wird oft genug ins Gegenteil verkehrt.

Sensationen verebben, Modisches wird langweilig, Rekorde werden gebrochen, und wenn den Stars die Hofberichterstatter abhanden kommen, verblasst ihr medialer Ruhm. Ja, und Altes wird auf einmal baufällig und verliert den einstigen Glanz. Nicht bloß war Alt-Wien einmal neu, sondern auch Neu-Wien wird einmal alt aussehen. Das dürfte für nicht wenige kurzzeitig hoch gelobte Bauten eine gefährliche Drohung sein.

Ja gibt es in diesem Jammertal verlorener und vergangener Werte denn gar nichts, was hält? Einen Hort wo man sich beruhigt auf den bei Hans Christian Andersen zu findenden Satz „Vergoldung vergeht, aber Schweinsleder besteht“ („Das alte Haus“) zurückziehen könnte und einfach abwarten, bis Blendwerk und „hot news“ verglüht sind, sich Pulverdampf und künstlicher Nebel gelichtet haben?

Diesen Hort gibt es. Es ist dies die Architektur selbst - sinngemäß „die (bisher geschaffenen) Architekturen“, wie es Aldo Rossi zu formulieren pflegte. Die innerarchitektonischen Bedeutungen sind den Bauwerken eingeschrieben, nicht zugewiesen oder zugeschrieben und auch nicht durch Gebrauch festgelegt. Bauwerke haben den Charakter architektonischer Botschaften, die von Fachleuten auf dem Strom der Geschichte ausgesetzt wurden. Die, weil sie das gebaute Resultat komplex durchdachter architektonischer Konzepte sind, als solche auch nachvollzogen werden können. Architektonische Qualität, Komplexität oder verblüffende Einfachheit, kultureller Kontext, Geschichte und städtebauliche Einbindung, alle diese Komponenten lassen sich in und an einem Bauwerk erkennen und im Vergleich mit anderen Quellen interpretieren. Denn innerarchitektonische Bedeutungen sind die Sache selbst. So wird Architektur zum Medium, ein Bauwerk zum Bedeutungsträger seines ureigensten Charakters.

Diesen Erfahrungs- und Erkenntnisprozess zu durchlaufen verschafft den unmittelbarsten Architekturgenuss. Dazu braucht man nicht einmal Architekt oder Architektin zu sein. Man muss sich bloß einlassen auf das Medium Architektur und die ganzen begleitenden und dem schnellen Effekt nachhechelnden Trittbrettideologien über Bord werfen, da sie nur den Blick verstellen. Es mag helfen, wenn man den Ariadnefaden eines oder einer langjährigen Architekturbetrachtenden aufnimmt, ihnen nachfolgt, und ihre Erkenntniswege nachgeht, um irgendwann eigene Wege suchen zu können.

Das Wichtigste dabei ist Unvoreingenommenheit. Denn jede vorgefasste Meinung, jedes Schon-wissen-Wollen stört den Erkenntnisprozess. Vergessen Sie Stilgeschichte und angelernte Erkennungsmerkmale, die nur dazu dienen, als Erste oder Erster eine kategorielle Zuweisung verlauten zu lassen. Verlegen Sie sich aufs Schauen. Auf ein abwartendes Schauen, das nicht vorschnell wissen will. Ein Bauwerk hat so viele Elemente und Aspekte, dass man lange hinschauen kann, bis man es durchgeschaut hat.

Das will nicht heißen, dass die Entwicklungen der Baustile nicht auch ein Interesse wert wären; aber erst, wenn das absichtslose Schauen erlernt wurde, denn dann erweist sich die Architekturgeschichte als so komplex und differenziert, dass oberflächliche Stil- und Bedeutungszuweisungen nicht mehr interessieren.






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