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Endlich Spielraum
Endlich Spielraum, Foto: Filip Slapal
Endlich Spielraum, Foto: Hisao Suzuki
Spectrum

Müssen wir als Folge der EU-Erweiterung mit einer Billigkonkurrenz durch die Architekten der Nachbarländer rechnen? Oder gelten Qualität und internationaler Anspruch in diesen Ländern im gleichen Maß wie hierzulande auch?

17. April 2004 - Walter Zschokke
Als die staatliche Topografie der Nachbarländer Österreichs 1990 noch etwas weniger unterteilt war, aber der Eiserne Vorhang bereits gefallen, fragten sich vier neugierige Zeitschriftenmacher in der heute vergriffenen Nummer 2 der �BauArt�, was wohl jetzt mit der Architektur passieren werde, und starteten eine Umschau. Sie hofften, dass nach dem Zusammenbruch der jahrzehntelangen Abschottung im Norden und Osten einem kulturellen Austausch weniger Hindernisse im Wege stehen würden, und befragten Fachleute in der Tschechoslowakei, in Ungarn und Slowenien nach dem Stand in Sachen Architektur. Petr Pelčák, Brünn, Ákos Moravánsky, Budapest, und Andrey Hrausky, Laibach, zeigten die schmalen Strömungen der Veränderung auf, die schon seit einigen Jahren in ihren Ländern im Gange waren. Von 1991 datiert eine Publikation aus der heutigen Slowakei, die einen ähnlichen Überblick bietet.

Trotz der Schwierigkeiten, sich über Zeitschriften und Reisen zu informieren, war in den meisten Fällen ein internationaler Einfluss feststellbar, zugleich spielten jedoch in jedem Land die spezifischen, teils aus den 1930er-Jahren stammenden Architekturtraditionen eine bestimmende Rolle. War es in der Tschechoslowakei die bis 1938 in die Breite entwickelte Moderne, an der man � neben Einflüssen der Postmoderne � Maß nahm, so zog man sich in Ungarn auf eine stark nationalromantisch bestimmte Strömung zurück. Dagegen vermochten die slowenischen Architekten mit Josef Plečnik auf eine traditionale Identifikationsfigur zurückzugreifen, verfügten jedoch mit dessen Schüler und ehemaligen Corbusier-Mitarbeiter Edvard Ravnikar auch über einen qualifizierten Vertreter und Lehrer der Moderne. Nicht zu unterschätzen waren aber die teils noch halb konspirativen Zusammenkünfte junger Architekturfachleute, die in Slowenien sich schon 1982 eine organisatorische Form in der Vereinigung unabhängiger Architekten, DESSA, geben konnten. Die �Piraner Tage der Architektur�, jeweils Anfang November im Adriastädtchen Piran, waren das einzige Architektursymposium im damaligen Jugoslawien, wo Referenten unter anderem aus Österreich, Italien und der Schweiz geholt wurden. Damit gelang es, in der großen Gruppe ein waches Architekturbewusstsein zu schaffen, auch wenn die profunden Kenntnisse internationalen Architekturschaffens die geringen Möglichkeiten der Praxis weit hinter sich ließen.

In Brünn fanden sich Mitte der 1980er- Jahre junge Absolventen der dortigen Technischen Universität zusammen, um ihren Hunger nach architektonischem Wissen sowohl über die eigenen regionalen Wurzeln als auch über das aktuelle internationale Geschehen zu stillen. Wegen der engeren politischen Verhältnisse, die wenig Spielraum ließen, gelang der Schritt zur offiziellen Organisation, die sich nach dem regelmäßigen Ort der Treffen in Prag �Obecní Dům� nannte, erst im Herbst 1989. Seither hat diese Vereinigung jedoch ihre kontinuierlichen Aktivitäten stark weiterentwickelt. Wenn nun eine halbe Generation später immer mal wieder Bauwerke aus der Tschechischen Republik und Slowenien, teils auch aus der Slowakei, in den Fachzeitschriften der westmitteleuropäischen Länder aufscheinen, so steht das mit dieser engagierten architekturkulturpolitischen Vorarbeit in unmittelbarem Zusammenhang. Nachfolgenden jüngeren Studierenden boten sich dadurch Möglichkeiten einer vertieften Bildung, die dann beim Sprung ins Ausland, ob zur Praxis oder zum weiteren Studium, beste Voraussetzungen bildeten. Einige können bereits auf beachtliche Bauten verweisen, für die sie in ihren Ländern auch schon ausgezeichnet wurden.

Natürlich ist es immer ungerecht, einzelne Beispiele stellvertretend für die Leistungen vieler hervorzuheben. Die Auswahl erfolgt daher illustrativ, ist aber eben zwangsläufig etwas zufällig. Das neue Gebäude für die Wirtschaftskammer in Laibach wurde von Jurij Sadar (Jahrgang 1963) und Bostjan Vuga (1966) entworfen und 1999 fertig gestellt. Vor einen achtgeschoßigen Halbtrakt mit klassischen Bürozeilen stellten die Architekten einen unregelmäßig mit mehr Raumhöhe und weniger Geschoßen organisierten Halbtrakt für öffentliche und Veranstaltungsräume. Damit gelang es, dem Bauwerk eine unverkennbare, eigene Fassade zu verleihen, die dennoch die innere Organisation abbildet. Vertikale Raumentwicklungen ziehen sich durch diesen vorderen Bereich, und die von breiten Rahmen gefassten Hauptgeschoße sind sogar leicht gegeneinander verschwenkt. Es handelt sich um ein ausdruckstarkes Bauwerk, das nicht mit teurenMaterialien prunkenmuss.

Anders als früher haben die Architekten heute auch den vollen Zugriff auf die neuesten Technologien, und sie verstehen damit umzugehen. Zugleich agieren sie spielerisch bei der Farbgestaltung. Auch wenn mit dem Bau zum internationalen Standard aufgeschlossen wurde, bleibt die Frage der regionalen Identität nicht unbeantwortet. Das Beispiel zeigt vor allem auch, wie gekonnt jene Gesichtslosigkeit vermieden wurde, die ehemals die staatlichen Wohnsilos ebenso prägte, wie sie heute von rasch hingeklotzten Investorenbauten reproduziert wird.

Die 2001 errichtete Bibliothek der Philosophischen Fakultät an der Masaryk-Universität in Brünn steht in einem Häusergeviert inmitten teils verwilderter Gärten. Ladislav Kuba (1964) und Tomá� Pilař (1965) haben in Brünn und Prag, Letzterer auch in Wien studiert. Der rationale Grundriss koppelt das neue, quadrische Volumen eng an ein bestehendes Institutsgebäude der Blockrandbebauung. Als verbindendes Element dient das großzügige Stiegenhaus, wo in einer weiten, kreisrunden Öffnung die zweiläufige Treppe über einen von den beiden Läufen elegant in Schwebe gehaltenen Absatz nach oben führt. Die nach Osten und Westen geöffneten Längsseiten des anschließenden Bibliotheks- und Lesetrakts werden von einem schleierartig vorgehängten Gitter aus Eichenholzleisten beschattet und tagsüber vor Blicken abgeschirmt. Nachts entsteht natürlich ein Umkehreffekt mit Laternenwirkung. Die Geschoßdifferenzierung wird damit aufgehoben. Der Baukörper erscheint als ein Ganzes, was ihm einen monumentalen Charakter verleiht, der aber wegen der Zartheit der Elemente und der haptischen Qualität des Materials Eichenholz nicht negativ ist. Die betont rationale Architektur des eleganten Bauwerks wurzelt einerseits in der in Tschechien gut vertretenen klassischen Moderne, andererseits mag sie im internationalen Kontext bestens mithalten, auch wenn der Wind der Architekturmoden gerade amDrehen ist.

Damals in der �BauArt� schrieben wir, dass �Ansätze zur Begegnung, die in der Verkleidung eines Entwicklungshelfers oder Therapeuten daherkommen, falsch sind. Eine offene und ehrliche Konkurrenz mit den klassischen Mitteln des Architekten: Projekt und ausgeführtes Bauwerk, verhilft beiden Teilen rascher zu selbständiger Arbeit.� Diesen gedanklichen Ansatz haben nicht wenige Fachleute in Slowenien und Tschechien eingelöst.

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