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Mehr nicht!
Karge Materialien, harte Kanten und spröde Details statt pathetischer Überhöhung: das Besucherzentrum vom Team MSP-H neben dem Konzentrationslager Mauthausen.
30. April 2004 - Walter Zschokke
Mauthausen war als vorerst einziges Konzentrationslager mit Stufe III klassifiziert, wo mit härtesten Haftbedingungen, durch Unterernährung, Überarbeitung, Demütigung, Psychoterror, durch Prügel, Folter, Erschießen und in der Gaskammer die eingelieferten Menschen in den Tod getrieben oder geradewegs ermordet wurden. Bis zum Frühjahr 1943 betrug die mittlere Überlebensdauer eines Häftlings maximal sechs Monate, danach, weil die SS sie in ihren Rüstungsbetrieben benötigte, etwa neun bis zwölf Monate, ab Winter 1944/45 jedoch nur mehr fünf Monate. Von den über 200.000 Menschen, die in Mauthausen und den Außenlagern festgehalten wurden, sind 100.000 getötet worden. Über 50.000 starben allein in den letzten Monaten vor der Befreiung.
Die von gedrungenen Wachttürmen verstärkte Mauer aus Granitblöcken hält breit die flache Hügelkuppe neben dem Steinbruch besetzt. Das neue Besucherzentrum liegt seitlich davor, verschwindet aber in einer Stufe des Terrainverlaufs. Erst von den Parkplätzen her tritt es mit einer schweigenden Betonmauer in Erscheinung, die von zwei gleichwertigen Durchlässen unterbrochen wird. Lose ausgelegte, schwere Steine - sie stammen von der Böschungsmauer, die sich an dieser Stelle befand - schaffen Distanz, zeugen aber unmissverständlich von der menschenschinderischen Arbeit im Steinbruch. Damit sind wir beim Thema.
Es geht um Erinnern, um Gedenken, um Trauer über das, was Menschen von anderen Menschen an diesem Ort angetan wurde. Der Zeitzeugen werden immer weniger, und nachgeborene Generationen müssen sich ihren eigenen Zugang zu historischen Fakten und Geschehnissen suchen und schaffen. Dies geschieht ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des nationalsozialistischen Terrors mit einer deutlichen Zeichensetzung: Innerhalb der aus den Jahren 1938 bis 1945 stammenden Gebäude des Lagers sollen keine Nutzungen verbleiben, die das Authentische des Ortes und seine Bedeutung als Gedenkstätte relativieren. Die Büros der Verwaltung sowie Anlagen für die physischen Bedürfnisse der Besucher, aber auch erstmals Räume zur Vermittlung der Erinnerung galt es in einer angemessenen Anlage zusammenzufassen und außerhalb der Gedenkstätte an leicht erreichbarer Stelle anzuordnen. Die der Enkelgeneration zuzuzählenden Wiener Architekten Herwig Mayer, Christoph Schwarz und Karl Peyrer-Heimstätt wollten architektonisch mit dem Bestehenden in keiner Weise in Beziehung treten. Ihr Konzept einer in die Erde versenkten Anlage will nicht erläuternde Architektur sein. Sie wollten gar „Nichtarchitektur“ schaffen.
Die Grundrissstruktur des neuen Besucherzentrums ist unhierarchisch. Die beiden Durchlässe verlängern sich in den Komplex hinein, der obere bis zu einer Außentreppe, die auf das Feld vor der Lagermauer führt. Der untere mündet in einen kahlen Lichthof. Quer zu den Erschließungsgassen ziehen sich streifenartig Bauvolumen und schmale Höfe, im Inneren des Hauptgebäudes als Querwege unter Oberlichtern akzentuiert. So folgen sich gestaffelt, zuerst direkt an der Mauer, der verglaste Körper von Shop und Besuchererstinformation sowie eine Toilettenanlage; dann eine offene Hofzone; dann der von zwei Querwegen durchzogene Hauptbaukörper des Besucherzentrums und zum Abschluss wieder eine Hofzone. In diesem strukturierten Feld sind im Mittelteil Ausstellungs-, Seminar- und Filmvorführräume angeordnet, im hinteren seitlichen Randbereich das Archiv, die Bibliothek, ein Medien- und ein Meditationsraum. Im vorderen dann ein einfaches Café und die Büros der Verwaltung. Ein Streifen in der Mitte und die Randbereiche sind zweigeschoßig belegt, für den Ausstellungsraum und die Filmvorführräume wird die Gebäudehöhe ausgenützt. Störungen, wie beim Aushub gefundene Kellerräume, werden neutral integriert.
Dass das Bauwerk in die Erde eingesenkt wurde, ist auch im Gebäudeinneren präsent durch Ausblicke in von hohen Betonmauern gefasste Höfe, auf Treppen, die hinauf und hinaus führen, durch die Lichtführung aus über Kopf liegenden, verglasten Oberlichtbändern. Unterstützt wird die räumliche Grunddisposition durch die sparsame Materialisierung in Sichtbeton, geglättetem Betonestrich, Glas, feuerverzinktem Eisen, grau beschichteten Fensterprofilen und Eichenholz für die wenigen Möbel und die Parkettböden in Räumen längeren Aufenthalts.
Nun könnte man einwenden, das sei ein verbreitetes Merkmal zeitgenössischer Architektur. Das stimmt einerseits und andererseits wieder nicht. Die Kargheit, die Orthogonalität, die harten Kanten und spröden Details mögen anderswo auch zu finden sein. Hier im Besucherzentrum der Gedächtnisstätte Mauthausen wird jedoch eine falsch klingende Überhöhung vermieden, auch wenn eine areligiöse Sakralität mitschwingt, was aber den Themen Erinnern und Gedenken an die Opfer entspricht. Mit der zeitgenössischen Architektur wird eine falsche Historisierung vermieden. Zudem bekommt man nie den Eindruck, dass sich hier jemand über eine pathetisch metaphernreiche „Gedenkarchitektur“ profilieren wollte, wie dies in anderen Fällen, ob Mahnmal oder Abdankungshalle, zur Genüge geschehen ist. Eher erscheint das Bauwerk aussageverwandt mit Werken der konkreten Kunst. Die Elemente sind einfach da, vielleicht da und dort einen einzigen, kleinen Schritt über dieses „da sein“ hinaus gestaltet, dass sie so weit dienlich werden wie unbedingt nötig, aber nicht bequem. Mehr nicht. Dieser Versuch, „Nichtarchitektur“ zu schaffen, mündet in ein Bestreben, die Elemente nicht aufzuladen, sondern möglichst bedeutungsleer zu lassen und bloß Räume und Raumkonfigurationen anzubieten, die für Gedanken und Gedenken Platz bieten.
Der längliche Quader für Shop und Erstinformation lehnt sich an die Schildmauer zum Parkplatz an, hofseitig ist er raumhoch verglast, die Einsicht wird durch vertikal dahinter montierte Bretter verwehrt. Hinaus schauend, sieht man etwa so viel wie durch einen Lattenzaun. Der Ausstellungsbereich ist von Betonscheiben eingefasst, jene an der Vorderseite zum Hof ist über dem Boden durch einen Lichtspalt abgesetzt. Auch zur Deckenplatte öffnet sich über die ganze Länge ein Spalt, der über Streiflicht den Raum mild beleuchtet. Der breitere Oberlichtstreifen über dem Querweg trennt den hohen vom niedrigen Ausstellungsbereich. Die Lichtflut lässt etwas aufatmen nach den nicht leicht zu verarbeitenden Inhalten der Ausstellung. Die Filmvorführräume sind als karge Auditorien mit tiefen Stufen gestaltet, die zum Sitzen und Vorbeigehen ausreichen. Oben an der Rückseite öffnen sich Türen zur hinteren, entsprechend höher liegenden Hofzone, die als Pausenfoyer dient.
Fast versteckt im oberen Seitenbereich befindet sich ein kleiner, hoher Meditationsraum. Er öffnet sich blickgeschützt auf eine räumlich gefasste Wasserfläche. Die Sitzbank, gleich gehalten wie die übrigen Sitzmöbel, besteht aus einem länglichen mit Eichenholz furnierten Quader, der von zwei kräftigen Stahlblechen gestützt wird. Bequem sind sie nicht, denn nicht zum Ruhen, zum Denken soll man hier kommen.
Die von gedrungenen Wachttürmen verstärkte Mauer aus Granitblöcken hält breit die flache Hügelkuppe neben dem Steinbruch besetzt. Das neue Besucherzentrum liegt seitlich davor, verschwindet aber in einer Stufe des Terrainverlaufs. Erst von den Parkplätzen her tritt es mit einer schweigenden Betonmauer in Erscheinung, die von zwei gleichwertigen Durchlässen unterbrochen wird. Lose ausgelegte, schwere Steine - sie stammen von der Böschungsmauer, die sich an dieser Stelle befand - schaffen Distanz, zeugen aber unmissverständlich von der menschenschinderischen Arbeit im Steinbruch. Damit sind wir beim Thema.
Es geht um Erinnern, um Gedenken, um Trauer über das, was Menschen von anderen Menschen an diesem Ort angetan wurde. Der Zeitzeugen werden immer weniger, und nachgeborene Generationen müssen sich ihren eigenen Zugang zu historischen Fakten und Geschehnissen suchen und schaffen. Dies geschieht ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des nationalsozialistischen Terrors mit einer deutlichen Zeichensetzung: Innerhalb der aus den Jahren 1938 bis 1945 stammenden Gebäude des Lagers sollen keine Nutzungen verbleiben, die das Authentische des Ortes und seine Bedeutung als Gedenkstätte relativieren. Die Büros der Verwaltung sowie Anlagen für die physischen Bedürfnisse der Besucher, aber auch erstmals Räume zur Vermittlung der Erinnerung galt es in einer angemessenen Anlage zusammenzufassen und außerhalb der Gedenkstätte an leicht erreichbarer Stelle anzuordnen. Die der Enkelgeneration zuzuzählenden Wiener Architekten Herwig Mayer, Christoph Schwarz und Karl Peyrer-Heimstätt wollten architektonisch mit dem Bestehenden in keiner Weise in Beziehung treten. Ihr Konzept einer in die Erde versenkten Anlage will nicht erläuternde Architektur sein. Sie wollten gar „Nichtarchitektur“ schaffen.
Die Grundrissstruktur des neuen Besucherzentrums ist unhierarchisch. Die beiden Durchlässe verlängern sich in den Komplex hinein, der obere bis zu einer Außentreppe, die auf das Feld vor der Lagermauer führt. Der untere mündet in einen kahlen Lichthof. Quer zu den Erschließungsgassen ziehen sich streifenartig Bauvolumen und schmale Höfe, im Inneren des Hauptgebäudes als Querwege unter Oberlichtern akzentuiert. So folgen sich gestaffelt, zuerst direkt an der Mauer, der verglaste Körper von Shop und Besuchererstinformation sowie eine Toilettenanlage; dann eine offene Hofzone; dann der von zwei Querwegen durchzogene Hauptbaukörper des Besucherzentrums und zum Abschluss wieder eine Hofzone. In diesem strukturierten Feld sind im Mittelteil Ausstellungs-, Seminar- und Filmvorführräume angeordnet, im hinteren seitlichen Randbereich das Archiv, die Bibliothek, ein Medien- und ein Meditationsraum. Im vorderen dann ein einfaches Café und die Büros der Verwaltung. Ein Streifen in der Mitte und die Randbereiche sind zweigeschoßig belegt, für den Ausstellungsraum und die Filmvorführräume wird die Gebäudehöhe ausgenützt. Störungen, wie beim Aushub gefundene Kellerräume, werden neutral integriert.
Dass das Bauwerk in die Erde eingesenkt wurde, ist auch im Gebäudeinneren präsent durch Ausblicke in von hohen Betonmauern gefasste Höfe, auf Treppen, die hinauf und hinaus führen, durch die Lichtführung aus über Kopf liegenden, verglasten Oberlichtbändern. Unterstützt wird die räumliche Grunddisposition durch die sparsame Materialisierung in Sichtbeton, geglättetem Betonestrich, Glas, feuerverzinktem Eisen, grau beschichteten Fensterprofilen und Eichenholz für die wenigen Möbel und die Parkettböden in Räumen längeren Aufenthalts.
Nun könnte man einwenden, das sei ein verbreitetes Merkmal zeitgenössischer Architektur. Das stimmt einerseits und andererseits wieder nicht. Die Kargheit, die Orthogonalität, die harten Kanten und spröden Details mögen anderswo auch zu finden sein. Hier im Besucherzentrum der Gedächtnisstätte Mauthausen wird jedoch eine falsch klingende Überhöhung vermieden, auch wenn eine areligiöse Sakralität mitschwingt, was aber den Themen Erinnern und Gedenken an die Opfer entspricht. Mit der zeitgenössischen Architektur wird eine falsche Historisierung vermieden. Zudem bekommt man nie den Eindruck, dass sich hier jemand über eine pathetisch metaphernreiche „Gedenkarchitektur“ profilieren wollte, wie dies in anderen Fällen, ob Mahnmal oder Abdankungshalle, zur Genüge geschehen ist. Eher erscheint das Bauwerk aussageverwandt mit Werken der konkreten Kunst. Die Elemente sind einfach da, vielleicht da und dort einen einzigen, kleinen Schritt über dieses „da sein“ hinaus gestaltet, dass sie so weit dienlich werden wie unbedingt nötig, aber nicht bequem. Mehr nicht. Dieser Versuch, „Nichtarchitektur“ zu schaffen, mündet in ein Bestreben, die Elemente nicht aufzuladen, sondern möglichst bedeutungsleer zu lassen und bloß Räume und Raumkonfigurationen anzubieten, die für Gedanken und Gedenken Platz bieten.
Der längliche Quader für Shop und Erstinformation lehnt sich an die Schildmauer zum Parkplatz an, hofseitig ist er raumhoch verglast, die Einsicht wird durch vertikal dahinter montierte Bretter verwehrt. Hinaus schauend, sieht man etwa so viel wie durch einen Lattenzaun. Der Ausstellungsbereich ist von Betonscheiben eingefasst, jene an der Vorderseite zum Hof ist über dem Boden durch einen Lichtspalt abgesetzt. Auch zur Deckenplatte öffnet sich über die ganze Länge ein Spalt, der über Streiflicht den Raum mild beleuchtet. Der breitere Oberlichtstreifen über dem Querweg trennt den hohen vom niedrigen Ausstellungsbereich. Die Lichtflut lässt etwas aufatmen nach den nicht leicht zu verarbeitenden Inhalten der Ausstellung. Die Filmvorführräume sind als karge Auditorien mit tiefen Stufen gestaltet, die zum Sitzen und Vorbeigehen ausreichen. Oben an der Rückseite öffnen sich Türen zur hinteren, entsprechend höher liegenden Hofzone, die als Pausenfoyer dient.
Fast versteckt im oberen Seitenbereich befindet sich ein kleiner, hoher Meditationsraum. Er öffnet sich blickgeschützt auf eine räumlich gefasste Wasserfläche. Die Sitzbank, gleich gehalten wie die übrigen Sitzmöbel, besteht aus einem länglichen mit Eichenholz furnierten Quader, der von zwei kräftigen Stahlblechen gestützt wird. Bequem sind sie nicht, denn nicht zum Ruhen, zum Denken soll man hier kommen.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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