Artikel
Naturjodeln im Kanton Isfahan

Das Klanghaus Toggenburg in der Ostschweiz ist ein Gebäude wie kein anderes. Ein Tempel der lokalen Musikkultur, der gebaut ist wie ein Instrument. Das Material Holz wurde dabei konstruktiv an seine Grenzen gebracht.
14. Juni 2025 - Maik Novotny
Mit schweizerischer Pünktlichkeit beginnt der Jodelklub Waldstatt Echo seinen Gesang. Mehrstimmig schallt es in den großen Raum, die Bergkulisse lugt durch die Fensterfront. Den Jodelklub gibt es seit über 75 Jahren, den Raum, in dem er gerade singt, erst seit heute. Es ist der Beginn eines zwölfstündigen Musikmarathons, es folgen unter anderem: Alphorn, Streichquintett, mehrere Orchester, ein Obertonchor, zwei Clowns. Zwischendurch klingeln Kuhglocken draußen auf der Wiese.
Rund 5000 Besucherinnen und Besucher stiegen an diesem Maiwochenende einen Berg in der Ostschweiz hinauf, wie Pilger versammelten sie sich vor einem Gebäude, das auf den ersten Blick, und auch auf den zweiten und alle folgenden Blicke, in keine Typologie passen will: das Klanghaus Toggenburg. Der Grundriss eine Art Ypsilon mit konkaven Schwüngen, drei große Glasfronten zum Berg und zum Tal. Es liegt passgenau eingebettet in eine sanfte Senke zwischen dem kleinen Schwendisee und dem Hang ins Tal, von gegenüber grüßt der Säntis. Die alpine Tourismusbranche bemüht allzu gern den Kitschbegriff vom „Kraftort“, aber hier scheint er ganz unesoterisch angemessen. Alles greift harmonisch ineinander.
Im feierlichen Hochamt der Klanghaus-Eröffnung kulminiert eine lange und sehr schweizerische Geschichte. Das Toggenburg, die Gegend im Süden des Kanton St. Gallen unweit der österreichischen Grenze, ist bekannt für ihr Musikkultur, allen voran die Naturjodler. Es ist jedoch auch eine Abwanderungsregion. Ein Abwanderer kehrte vor langer Zeit zurück: Peter Roth, der in Zürich Musik studierte und dann hier als Chorleiter arbeitete. Er hatte die Idee, der Heimat etwas zurückzugeben, und erwarb das heruntergekommene Naturfreundehaus Seegütli in Aussichtslage auf 1200 Meter Seehöhe. Der ideale Ort für seine Idee eines Klanghauses, das die Musikkultur bündeln würde – und praktisch der einzig mögliche, denn hier im Naturschutzgebiet wäre ein Neubau auf der grünen Wiese nie genehmigt worden. Peter Zumthor wurde kontaktiert, aus dem Architekturwettbewerb zog er sich jedoch zurück, jener wurde gewonnen von Marcel Meili (Meili Peter Architekten) aus Zürich.
Begehbare Echokammer
Der Wunsch aller Beteiligten: kein abgeschlossener Konzertsaal für ehrfürchtige Frontaldarbietungen, sondern eine Art XL-Stube für Einheimische und Gäste. Ein Gebäude wie ein begehbares Instrument. Eine Echokammer, von der aus man Richtung Felswand jodeln kann und die das Echo dann wieder perfekt einfängt. Als Baustoff wählte Marcel Meili Holz, das „Material des Tales“, aus dem Haus- und Instrumentenbau vertraut. Doch das Klanghaus ist ein Bau, der nicht nach den Regeln der Holzkonstruktion arbeitet, die sich rechte Winkel und Regelmäßigkeit wünscht, sondern nach der Maßgabe der Akustik: Resonanzräume, gefasst mit Wänden, die mal in sanften Schwüngen, mal in spitzen Winkeln verlaufen. Die konkaven Außenräume dienen als Freilichtbühnen für den Klang der Natur, im Inneren gruppieren sich drei kleinere Musikräume um einen großen Saal in der Mitte.
Zwei raumhohe Tore teilen ihn in zwei Teile, ihre Oberflächen mit Mandala-artigen Ornamenten perforiert. Eine Idee von Marcel Meili, angeregt inspiriert durch den Aali-Qapu-Palast in Isfahan aus dem 16. Jahrhundert mit seinen zart ins Holz gesägten Instrumentensilhouetten. Dahinter schwingen Klangscheiben aus Bronzeblech, einer Erfindung des Klangkünstlers Andres Bosshard, der ebenso wie Christian Zehnder, Musiker und bis zur Eröffnung künstlerische Leiter des Klanghauses, das Konzept gemeinsam mit den Architekten entwickelte.
Doch zuerst sah es so aus, als sollte das Echo ungehört verhallen. Eine Volksabstimmung zum Bau scheiterte 2015 an vier Stimmen. Die Kosten schienen vielen zu hoch, und schließlich musiziert man im Toggenburg ja zu Hause und im Wirtshaus. Mit zusätzlichen Spenden und reduziertem Budget versuchte man es wieder, 2019 gab eine zweite Volksabstimmung grünes Licht. Marcel Meili, der kurz zuvor verstarb, erlebte den Erfolg nicht mehr, Planung und Bau wurden von den Zürcher Partnerarchitekten Staufer&Hasler in seinem Sinne weitergeführt.
Mehrklang statt Eindeutigkeit
Ein Wesenskern des Hauses sei das Prinzip der visuellen Akustik, erklärt Architektin Astrid Staufer, Professorin für Hochbau an der TU Wien. „Ein Zeichen für die Augen, dass man die Ohren öffnen soll. Eine Architektur, die Klang evoziert und der Dominanz des Visuellen etwas entgegensetzt.“ Daher die Schallwellen in den Holzschindeln, daher die Anklänge an den Instrumentenbau. Zu plakativ durfte es allerdings nicht werden, denn, so Staufer: „Kommt so viel Sinnlichkeit zusammen, bewegt man sich architektonisch schnell am Abgrund zum Kitsch.“ Raumerlebnisse sollten sich daher nicht episodisch hintereinander, sondern gleichzeitig ereignen.
Harmonischer und bisweilen auch dissonanter Mehrklang statt Eindeutigkeit also. Das beantwortet auch die Frage: Was hat nun eigentlich Isfahan in der Ostschweiz zu suchen? „Es geht beim Klanghaus immer um einen Kulturtransfer, um Belebung statt Erstarrung“, so Staufer. „Die Volksmusik hier wurde immer schon von außen befruchtet, es kamen neue Instrumente hinzu, und das Hackbrett stammt ursprünglich tatsächlich aus Persien.“ Ebenso wie beim Instrumentenbau war hier höchste Handwerkskunst auch in der Architektur gefordert, denn für die konstruktive Umsetzung der von der Akustik diktierten Form gab es keine Präzedenzfälle – und manches, wie zwei spitz zulaufende Wände aus Holzschindeln, lief auch der Logik des Materials entgegen. „Vieles haben wir dann gemeinsam vor Ort gelöst, und es freut mich, dass wir Marcel Meilis Idee mit neuen Ideen im Detail so umsetzen konnten, wie er es sich gewünscht hätte.“
Ob die Akustik auch wirklich exakt so funktioniert, wie man sie in zehn Jahren Arbeit ausgetüftelt hatte, ließ sich allerdings wirklich erst bei der Eröffnung nachprüfen. Die strahlenden Gesichter des Jodelklubs Waldstatt Echo legten nahe, dass man mit der Nachhallzeit, dem Echo und auch mit den dezenten persischen Untertönen sehr zufrieden war.
Rund 5000 Besucherinnen und Besucher stiegen an diesem Maiwochenende einen Berg in der Ostschweiz hinauf, wie Pilger versammelten sie sich vor einem Gebäude, das auf den ersten Blick, und auch auf den zweiten und alle folgenden Blicke, in keine Typologie passen will: das Klanghaus Toggenburg. Der Grundriss eine Art Ypsilon mit konkaven Schwüngen, drei große Glasfronten zum Berg und zum Tal. Es liegt passgenau eingebettet in eine sanfte Senke zwischen dem kleinen Schwendisee und dem Hang ins Tal, von gegenüber grüßt der Säntis. Die alpine Tourismusbranche bemüht allzu gern den Kitschbegriff vom „Kraftort“, aber hier scheint er ganz unesoterisch angemessen. Alles greift harmonisch ineinander.
Im feierlichen Hochamt der Klanghaus-Eröffnung kulminiert eine lange und sehr schweizerische Geschichte. Das Toggenburg, die Gegend im Süden des Kanton St. Gallen unweit der österreichischen Grenze, ist bekannt für ihr Musikkultur, allen voran die Naturjodler. Es ist jedoch auch eine Abwanderungsregion. Ein Abwanderer kehrte vor langer Zeit zurück: Peter Roth, der in Zürich Musik studierte und dann hier als Chorleiter arbeitete. Er hatte die Idee, der Heimat etwas zurückzugeben, und erwarb das heruntergekommene Naturfreundehaus Seegütli in Aussichtslage auf 1200 Meter Seehöhe. Der ideale Ort für seine Idee eines Klanghauses, das die Musikkultur bündeln würde – und praktisch der einzig mögliche, denn hier im Naturschutzgebiet wäre ein Neubau auf der grünen Wiese nie genehmigt worden. Peter Zumthor wurde kontaktiert, aus dem Architekturwettbewerb zog er sich jedoch zurück, jener wurde gewonnen von Marcel Meili (Meili Peter Architekten) aus Zürich.
Begehbare Echokammer
Der Wunsch aller Beteiligten: kein abgeschlossener Konzertsaal für ehrfürchtige Frontaldarbietungen, sondern eine Art XL-Stube für Einheimische und Gäste. Ein Gebäude wie ein begehbares Instrument. Eine Echokammer, von der aus man Richtung Felswand jodeln kann und die das Echo dann wieder perfekt einfängt. Als Baustoff wählte Marcel Meili Holz, das „Material des Tales“, aus dem Haus- und Instrumentenbau vertraut. Doch das Klanghaus ist ein Bau, der nicht nach den Regeln der Holzkonstruktion arbeitet, die sich rechte Winkel und Regelmäßigkeit wünscht, sondern nach der Maßgabe der Akustik: Resonanzräume, gefasst mit Wänden, die mal in sanften Schwüngen, mal in spitzen Winkeln verlaufen. Die konkaven Außenräume dienen als Freilichtbühnen für den Klang der Natur, im Inneren gruppieren sich drei kleinere Musikräume um einen großen Saal in der Mitte.
Zwei raumhohe Tore teilen ihn in zwei Teile, ihre Oberflächen mit Mandala-artigen Ornamenten perforiert. Eine Idee von Marcel Meili, angeregt inspiriert durch den Aali-Qapu-Palast in Isfahan aus dem 16. Jahrhundert mit seinen zart ins Holz gesägten Instrumentensilhouetten. Dahinter schwingen Klangscheiben aus Bronzeblech, einer Erfindung des Klangkünstlers Andres Bosshard, der ebenso wie Christian Zehnder, Musiker und bis zur Eröffnung künstlerische Leiter des Klanghauses, das Konzept gemeinsam mit den Architekten entwickelte.
Doch zuerst sah es so aus, als sollte das Echo ungehört verhallen. Eine Volksabstimmung zum Bau scheiterte 2015 an vier Stimmen. Die Kosten schienen vielen zu hoch, und schließlich musiziert man im Toggenburg ja zu Hause und im Wirtshaus. Mit zusätzlichen Spenden und reduziertem Budget versuchte man es wieder, 2019 gab eine zweite Volksabstimmung grünes Licht. Marcel Meili, der kurz zuvor verstarb, erlebte den Erfolg nicht mehr, Planung und Bau wurden von den Zürcher Partnerarchitekten Staufer&Hasler in seinem Sinne weitergeführt.
Mehrklang statt Eindeutigkeit
Ein Wesenskern des Hauses sei das Prinzip der visuellen Akustik, erklärt Architektin Astrid Staufer, Professorin für Hochbau an der TU Wien. „Ein Zeichen für die Augen, dass man die Ohren öffnen soll. Eine Architektur, die Klang evoziert und der Dominanz des Visuellen etwas entgegensetzt.“ Daher die Schallwellen in den Holzschindeln, daher die Anklänge an den Instrumentenbau. Zu plakativ durfte es allerdings nicht werden, denn, so Staufer: „Kommt so viel Sinnlichkeit zusammen, bewegt man sich architektonisch schnell am Abgrund zum Kitsch.“ Raumerlebnisse sollten sich daher nicht episodisch hintereinander, sondern gleichzeitig ereignen.
Harmonischer und bisweilen auch dissonanter Mehrklang statt Eindeutigkeit also. Das beantwortet auch die Frage: Was hat nun eigentlich Isfahan in der Ostschweiz zu suchen? „Es geht beim Klanghaus immer um einen Kulturtransfer, um Belebung statt Erstarrung“, so Staufer. „Die Volksmusik hier wurde immer schon von außen befruchtet, es kamen neue Instrumente hinzu, und das Hackbrett stammt ursprünglich tatsächlich aus Persien.“ Ebenso wie beim Instrumentenbau war hier höchste Handwerkskunst auch in der Architektur gefordert, denn für die konstruktive Umsetzung der von der Akustik diktierten Form gab es keine Präzedenzfälle – und manches, wie zwei spitz zulaufende Wände aus Holzschindeln, lief auch der Logik des Materials entgegen. „Vieles haben wir dann gemeinsam vor Ort gelöst, und es freut mich, dass wir Marcel Meilis Idee mit neuen Ideen im Detail so umsetzen konnten, wie er es sich gewünscht hätte.“
Ob die Akustik auch wirklich exakt so funktioniert, wie man sie in zehn Jahren Arbeit ausgetüftelt hatte, ließ sich allerdings wirklich erst bei der Eröffnung nachprüfen. Die strahlenden Gesichter des Jodelklubs Waldstatt Echo legten nahe, dass man mit der Nachhallzeit, dem Echo und auch mit den dezenten persischen Untertönen sehr zufrieden war.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom