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Angriff auf Metropolis

Los Angeles, Washington, Chicago: Ein Regime attackiert seine Städte. Nicht zum ersten Mal wird hier die Großstadt an sich als Feindbild inszeniert. Eine Geschichte des Anti-Urbanismus von Babylon bis Wien.
13. September 2025 - Maik Novotny
Um Punkt 17.17 Uhr am 13. Mai 1985 positionierte Frank Powell, Leiter der Bomb Squad der Polizei Philadelphia, seinen Hubschrauber über der Adresse 6221 Osage Avenue und drückte auf den Knopf. Sekunden später detonierte sein C-4-Sprengsatz – eine Bauart, die auch in Vietnam zum Einsatz kam – in jenem Haus, in dem sich Mitglieder der Move-Bewegung verschanzt hatten. Sie hatten sich einer Mission verschrieben, die schwarzen Befreiungskampf mit Fundamentalökologie kombinierte, kurz zuvor hatten sie sich ein Feuergefecht mit der Polizei geliefert. Am nächsten Morgen waren elf Menschen in den Flammen umgekommen, darunter fünf Kinder. 250 Nachbarinnen und Nachbarn verloren ihr Zuhause. Es war das erste Mal, dass die USA Bomben gegen Bürger im eigenen Land einsetzte.
Selbst in den USA geriet die Geschichte des „Move bombing“ weitgehend in Vergessenheit, doch einige werden sich dieser Tage an die Bilder von bewaffneten Uniformierten vor rauchenden Silhouetten erinnern. Im Juni rollten Panzer durch Los Angeles, im August schickte das Trump-Regime die Nationalgardisten nach Washington, vor einer Woche drohte der Präsident der Stadt Chicago in einem auf Apocalypse Now verweisenden Meme mit der „Chipocalypse“. Das war, so schrieb die L.A. Times, eine Kriegserklärung eines amerikanischen Präsidenten an eine amerikanische Stadt.
Der Vorwand, es gehe um Kriminalitätsbekämpfung, ist fadenscheinig. Die US-Hochburgen der Mordfälle sind New Orleans, Memphis und Saint Louis. Doch deren Bundesstaaten werden von Republikanern regiert. 38 der 50 größten Städte der USA sind in demokratischer Hand, alle bisher von Trump ins Visier genommenen Städte haben schwarze Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Klar ist: „Großstadt“ wird hier als Chiffre für Botschaften verwendet, die man praktischerweise gar nicht klar aussprechen muss. Sie werden auch so verstanden.
Frage der Wahrnehmung
Es ist nicht das erste Mal, dass der Gegensatz von Stadt und Land instrumentalisiert wird, und nicht zum ersten Mal übertrumpft das Vorurteil die Realität. „Das Verhältnis der Amerikaner zu ihren Städten war schon immer widersprüchlich“, sagt Frank Eckardt, Professor für Stadtsoziologie an der Bauhaus-Universität Weimar im Gespräch mit dem ΔTANDARD. „Der Gegensatz von Stadt und Land ist meist eine Frage der Wahrnehmung. Texas versteht sich als ländlich, aber hier fand das größte Stadtwachstum der letzten Jahrzehnte statt.“
Bemerkenswert sei, so Eckardt, dass die MAGA-Republikaner kein positives Gegenbild zum vermeintlichen Verbrechens-Moloch Großstadt mehr brauchen. „Früher prägte die Kleinstadt-Community mit ihrer Main Street das konservative Idealbild der USA, heute nicht mehr.“ Doch ebenso wenig sei man interessiert daran, den ländlichen Raum zu stärken. „Die großen Infrastruktur-Programme unter Biden wären dem Land zugutegekommen, aber solche Projekte brauchen Zeit, bis man die positiven Wirkungen sieht. Daher spüren die Menschen diese Kürzungen noch nicht. Heute dominiert das Elon-Musk-Mindset des institutionellen Abholzens. Der Staat soll sich heraushalten.“ Wie fast überall auf der Welt dominiert bei den Konservativen inzwischen die Freude an der Destruktion.
Doch nicht nur in den USA wird die Großstadt als Feindbild inszeniert, und der dank Digitalisierung vermeintlich in einer sorglosen Laptop-Lederhosen-Harmonie aufgegangene Gegensatz zum Ländlichen weigert sich beharrlich zu verschwinden. In England zeigt das Brexit-Abstimmungsverhalten in der Stadt und auf dem Land deutliche Unterschiede, in Polen sind das städtisch-liberal-westliche „Polska A“ und das ländlichkatholisch-östliche „Polska B“ feste Begriffe geworden.
Auch in Österreich werden Vorurteile gegen die Hauptstadt immer wieder gerne abgerufen. 1996 titelte die FPÖ „Wien darf nicht Chicago werden“, heute wird eine der sichersten Metropolen Europas mit wohligem Schauer als Messerstecher-Abgrund tituliert, als wäre sie steingewordener True-Crime-Podcast. Das PR-Team von Sebastian Kurz tauschte im Wahlkampf 2017 dessen Meidlinger Identität gegen die eines echten Landburschen, mit Wien als Antipode einer österreichischen Traktor-Skilift-Gipfelkreuz-Identität. Sein in Perchtoldsdorf beheimateter Parteikollege Karl Mahrer, offensichtlich vom Konzept „Großstadt“ überfordert, erzählte 2023 in vieldiskutierten Videos Haarsträubendes über den Wiener Brunnenmarkt.
Hass, Liebe, Hassliebe
Von der biblischen „Hure Babylon“ bis zu Fritz Langs pathossattem Film Metropolis ist Menschheitsgeschichte von Hass, Liebe und Hassliebe zur Stadt geprägt – auch die Architektur. Die um 1900 aufkommende Gartenstadt-Bewegung floh vor dem Schmutz des Industriezeitalters in wohlgeordnete Agrar-Kommunen. Le Corbusier verabscheute die engen Straßen gewachsener Stadtkerne, sein Gegenmodell der Cité Radieuse war zwar alles andere als ländlich, doch klinisch rein und bis ins Detail kontrolliert.
Der deutsche Wissenschafter Bodo Kahmann verweist darauf, dass der Anti-Urbanismus der Neuzeit Hand in Hand mit dem Antisemitismus ging, allen voran im Deutschland des Kaiserreichs und der Nazizeit: „Die Sphäre des Großstädtischen wurde im völkischen Denken im Gegensatz zum Land- und Bauernleben mit den Juden und Jüdinnen identifiziert. Antisemiten entwickeln um den Gedanken eine Obsession, dass die modernen Großstädte einem lustbesetzten Nichtstun Vorschub leisten, worin nicht weniger als die Negation der Opferbereitschaft für die Volksgemeinschaft gesehen wird.“
Heute, so Kahmann, findet sich diese Feindschaft zur Stadt als Ort freigeistiger Ausschweifung im radikalen Islam. Dessen Rechtfertigung für den Pariser Terroranschlag 2015 war, dass jene Stadt „die Hauptstadt der Prostitution und des Lasters“ sei. Ob diesem Hass auf die Freiheiten der Stadtluft auch eine große Portion heimliches Begehren innewohnt, ist eine Frage für die Psychologie.
Wie der Kampf um Chicago ausgehen wird und mit welchen Waffen er ausgefochten wird, werden die kommenden Wochen zeigen. Es wird nicht der letzte Angriff auf Metropolis sein.
Selbst in den USA geriet die Geschichte des „Move bombing“ weitgehend in Vergessenheit, doch einige werden sich dieser Tage an die Bilder von bewaffneten Uniformierten vor rauchenden Silhouetten erinnern. Im Juni rollten Panzer durch Los Angeles, im August schickte das Trump-Regime die Nationalgardisten nach Washington, vor einer Woche drohte der Präsident der Stadt Chicago in einem auf Apocalypse Now verweisenden Meme mit der „Chipocalypse“. Das war, so schrieb die L.A. Times, eine Kriegserklärung eines amerikanischen Präsidenten an eine amerikanische Stadt.
Der Vorwand, es gehe um Kriminalitätsbekämpfung, ist fadenscheinig. Die US-Hochburgen der Mordfälle sind New Orleans, Memphis und Saint Louis. Doch deren Bundesstaaten werden von Republikanern regiert. 38 der 50 größten Städte der USA sind in demokratischer Hand, alle bisher von Trump ins Visier genommenen Städte haben schwarze Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Klar ist: „Großstadt“ wird hier als Chiffre für Botschaften verwendet, die man praktischerweise gar nicht klar aussprechen muss. Sie werden auch so verstanden.
Frage der Wahrnehmung
Es ist nicht das erste Mal, dass der Gegensatz von Stadt und Land instrumentalisiert wird, und nicht zum ersten Mal übertrumpft das Vorurteil die Realität. „Das Verhältnis der Amerikaner zu ihren Städten war schon immer widersprüchlich“, sagt Frank Eckardt, Professor für Stadtsoziologie an der Bauhaus-Universität Weimar im Gespräch mit dem ΔTANDARD. „Der Gegensatz von Stadt und Land ist meist eine Frage der Wahrnehmung. Texas versteht sich als ländlich, aber hier fand das größte Stadtwachstum der letzten Jahrzehnte statt.“
Bemerkenswert sei, so Eckardt, dass die MAGA-Republikaner kein positives Gegenbild zum vermeintlichen Verbrechens-Moloch Großstadt mehr brauchen. „Früher prägte die Kleinstadt-Community mit ihrer Main Street das konservative Idealbild der USA, heute nicht mehr.“ Doch ebenso wenig sei man interessiert daran, den ländlichen Raum zu stärken. „Die großen Infrastruktur-Programme unter Biden wären dem Land zugutegekommen, aber solche Projekte brauchen Zeit, bis man die positiven Wirkungen sieht. Daher spüren die Menschen diese Kürzungen noch nicht. Heute dominiert das Elon-Musk-Mindset des institutionellen Abholzens. Der Staat soll sich heraushalten.“ Wie fast überall auf der Welt dominiert bei den Konservativen inzwischen die Freude an der Destruktion.
Doch nicht nur in den USA wird die Großstadt als Feindbild inszeniert, und der dank Digitalisierung vermeintlich in einer sorglosen Laptop-Lederhosen-Harmonie aufgegangene Gegensatz zum Ländlichen weigert sich beharrlich zu verschwinden. In England zeigt das Brexit-Abstimmungsverhalten in der Stadt und auf dem Land deutliche Unterschiede, in Polen sind das städtisch-liberal-westliche „Polska A“ und das ländlichkatholisch-östliche „Polska B“ feste Begriffe geworden.
Auch in Österreich werden Vorurteile gegen die Hauptstadt immer wieder gerne abgerufen. 1996 titelte die FPÖ „Wien darf nicht Chicago werden“, heute wird eine der sichersten Metropolen Europas mit wohligem Schauer als Messerstecher-Abgrund tituliert, als wäre sie steingewordener True-Crime-Podcast. Das PR-Team von Sebastian Kurz tauschte im Wahlkampf 2017 dessen Meidlinger Identität gegen die eines echten Landburschen, mit Wien als Antipode einer österreichischen Traktor-Skilift-Gipfelkreuz-Identität. Sein in Perchtoldsdorf beheimateter Parteikollege Karl Mahrer, offensichtlich vom Konzept „Großstadt“ überfordert, erzählte 2023 in vieldiskutierten Videos Haarsträubendes über den Wiener Brunnenmarkt.
Hass, Liebe, Hassliebe
Von der biblischen „Hure Babylon“ bis zu Fritz Langs pathossattem Film Metropolis ist Menschheitsgeschichte von Hass, Liebe und Hassliebe zur Stadt geprägt – auch die Architektur. Die um 1900 aufkommende Gartenstadt-Bewegung floh vor dem Schmutz des Industriezeitalters in wohlgeordnete Agrar-Kommunen. Le Corbusier verabscheute die engen Straßen gewachsener Stadtkerne, sein Gegenmodell der Cité Radieuse war zwar alles andere als ländlich, doch klinisch rein und bis ins Detail kontrolliert.
Der deutsche Wissenschafter Bodo Kahmann verweist darauf, dass der Anti-Urbanismus der Neuzeit Hand in Hand mit dem Antisemitismus ging, allen voran im Deutschland des Kaiserreichs und der Nazizeit: „Die Sphäre des Großstädtischen wurde im völkischen Denken im Gegensatz zum Land- und Bauernleben mit den Juden und Jüdinnen identifiziert. Antisemiten entwickeln um den Gedanken eine Obsession, dass die modernen Großstädte einem lustbesetzten Nichtstun Vorschub leisten, worin nicht weniger als die Negation der Opferbereitschaft für die Volksgemeinschaft gesehen wird.“
Heute, so Kahmann, findet sich diese Feindschaft zur Stadt als Ort freigeistiger Ausschweifung im radikalen Islam. Dessen Rechtfertigung für den Pariser Terroranschlag 2015 war, dass jene Stadt „die Hauptstadt der Prostitution und des Lasters“ sei. Ob diesem Hass auf die Freiheiten der Stadtluft auch eine große Portion heimliches Begehren innewohnt, ist eine Frage für die Psychologie.
Wie der Kampf um Chicago ausgehen wird und mit welchen Waffen er ausgefochten wird, werden die kommenden Wochen zeigen. Es wird nicht der letzte Angriff auf Metropolis sein.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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