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Orbáns Paläste

In Budapest wird das „Hauszmann-Programm“ zum Wiederaufbau zerstörter Bauwerke auf dem Burghügel umgesetzt. Während die Gründerzeitbauten in der Stadt verfallen, sind die neuen Palais eine teure nationale Selbstverwirklichung.
2. September 2025 - Harald A. Jahn
Das Donaupanorama von Budapest ist weltberühmt: Auf dem Burghügel thront der symmetrische Burgpalast mit seiner mittigen Kuppel, rechts ragt der Turm der Matthiaskirche in den Himmel. Zwischen den Repräsentationsbauten liegt die barocke Bürgerstadt mit ihren ein- bis zweistöckigen Wohnhäusern. Die strategisch ideale Lage über der Donau war seit dem 13. Jahrhundert logischer Siedlungs- und Verteidigungsort und Sitz der ungarischen Könige, über die Jahrhunderte wurde das Areal mehrmals Ziel schwerer Angriffe.
Die Prachtbauten auf dem Hügel waren immer auch Projektionsfläche für das Dauerthema ungarische Identität; schon zur k. u. k. Zeit versuchten Architekten, eine eigene Nationalarchitektur zu entwickeln. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Komplex aus Regierungsgebäuden stark beschädigt oder ganz zerstört und in kommunistischer Zeit vereinfacht wieder aufgebaut. Nun wurde der Palast Sitz von Kultureinrichtungen, mit teilweise unbefriedigenden Raumlösungen: Für die Museen sind die Palasträume mit ihren vielen Fenstern wenig geeignet. Die 2010 gebildete Orbán-Regierung beschloss, den Regierungssitz wieder auf den Burghügel zu verlegen und die Museumssituation neu zu ordnen – natürlich auch nach nationalen Gesichtspunkten. 2014 kündigte Orbán das „Nationale Hauszmann-Programm“ an, ein Konzept zum Wiederaufbau der zerstörten Bauwerke auf dem Burghügel und zur Revitalisierung der Bürgerstadt.
Bereits fertiggestellt ist das ehemalige Hauptquartier des Roten Kreuzes, ein eigentlich unpassendes Gründerzeithaus; schon das Originalgebäude ist ein Fremdkörper in der barocken Bebauung gewesen. Gegenüber schälte sich unlängst die neue Kuppel des ehemaligen Kriegsministeriums aus den Gerüsten – hier war nur noch das Erdgeschoß vorhanden –, und nun ist der Wiederaufbau des Palais von Erzherzog Joseph im Rohbau fertig. Umgerechnet 108 Millionen Euro soll das Projekt bis jetzt verschlungen haben.
Zeitgeschichte der Belle Époque
Das im Krieg beschädigte Palais hätte gerettet werden können, wurde aber 1968 abgerissen. Wieso gerade die Festlegung auf einen theoretischen zeitlichen Kanon, auf die Zeitgeschichte der Belle Époque? Die Jahrhundertwende gilt, ähnlich wie in Wien, als die Glanzzeit der Stadt und markiert einen Höhepunkt im nationalen Selbstbewusstsein. Mit dem Ausgleich 1867 wurde Ungarn weitgehend selbstständig, Budapest war um die Jahrhundertwende die am schnellsten wachsende Stadt Europas. Angesichts der Schieflage des Budgets sind die neuen Paläste eine teure nationale Selbstverwirklichung.
Nicht nur die zahllosen Gründerzeit-Wohnbauten der Stadt verfallen, auch bei den historischen Schätzen wie dem Kunstgewerbemuseum, einem Hauptwerk von Ödön Lechner, kommt die Renovierung seit zehn Jahren nicht voran. Mehr noch: Die Fidesz-Regierung ist mit der Mitte-links-Stadtregierung von Gergely Karácsony im Dauerstreit; nicht nur, dass notwendige Budgetmittel für längst überfällige Projekte zurückgehalten werden, versucht János Lázár, Orbáns Infrastrukturminister, einige Deals durchzuziehen, die für die Stadt negative Folgen hätten. Die Grundstücke der staatlichen Eisenbahn in der Umgebung wichtiger Bahnhöfe gehören zu den wertvollsten Ungarns, sind aber größtenteils ungenutzt. Es sind „Brownfields“, ehemalige Gleisfelder und Industriebrachen, aber auch die Bahnhöfe selbst. Ein solches Spekulationsprojekt mit arabischem Kapital auf der Fläche des Güterbahnhofs Rákosrendező nördlich des Stadtwäldchens, genannt „Mini-Dubai“, konnte vorläufig abgewendet werden – zu groß war der Aufschrei angesichts drohender Hunderte Meter hoher Wolkenkratzer sowie zu intransparenten Vorgehens.
Inzwischen hat Lázár begonnen, die Baurechte an bahnnahen Grundstücken im Rahmen von „strategischen Partnerschaften“ an private Investoren zu übertragen. Die Privatunternehmen erhalten die Flächen kostenlos auf 99 Jahre, müssen aber keine Entwicklungsgarantien abgeben: Die Erklärungen enthalten keine Vorschriften für Stadt- oder Bahnentwicklung, die Ausschreibung wurde weder mit der Stadtregierung noch mit den angrenzenden Bezirken abgesprochen. Ergebnis dieser unkontrollierbaren Deals könnten Überbauungen wie am Wiener Franz-Josefs-Bahnhof sein. Die Budapester Stadtpolitik hätte lieber ein anderes Wiener Projekt als Vorbild: die Hauptbahnhofplanung als ein sorgfältig vorbereitetes Programm, bei dem Stadtentwicklung und Bahnausbau von der ÖBB und der Stadt Wien gesteuert wurden und Bauträger auf Grundlage eines soliden Masterplans arbeiteten – mit einem gesunden Mix aus geförderten und frei finanzierten Wohnungen.
Ödön Lechners Postsparkassa
Das vom Lázár-Ministerium erklärte Ziel sind eine rasche Stadterneuerung und Wohnungsbauentwicklung – bei unklaren Planungsbedingungen und rechtlichen Regeln, was Befürchtungen hinsichtlich undurchsichtiger Geschäfte weckt, von denen nur ein kleiner Kreis von Insidern profitiert. Der derzeitige Top-down-Ansatz unter der Führung von Investoren erscheint ohne strenge öffentliche Beteiligung, Aufsicht oder strategische Vision riskant. Während auf dem Burghügel neue Paläste entstehen, ist nun eine lange Liste von echten historischen Gebäuden aufgetaucht, die zum Verkauf stehen, darunter so ikonische Meisterwerke wie Ödön Lechners Postsparkassa. Wenn die Fidesz-Regierung mit ihren Plänen durchkommt, könnte die berühmte Halle des Nyugati-Bahnhofs – vom Büro Eiffel konstruiert – künftig zu einem Veranstaltungszentrum mutieren, Bahnreisen würden weitab des Zentrums enden. In Sichtweite des Burghügels könnte sich plumpe Investorenarchitektur breitmachen: Die Fläche des derzeit heruntergekommenen Déli-Bahnhofs ist wohl die wertvollste der ganzen Stadt. Der (Vorort-)Bahnverkehr könnte nach Kelenföld zurückgezogen werden, eine Verschlechterung für die Pendler; dann werden wahrscheinlich bald neu erbaute Hochhäuser die neuen Kuppeln von Orbáns Palästen überragen. Und während Lázár als Verkehrsminister die Filetstücke „seiner“ Eisenbahn verscherbelt, bricht er in seiner eigentlichen Kernkompetenz Versprechen: Dringend notwendige Investitionen in neues Zugsmaterial werden verschleppt, Pläne zum Bahnausbau storniert, Sanierungen auf ein Mindestmaß reduziert – die Fidesz-Regierung setzt auf Autobahnen.
Die Prachtbauten auf dem Hügel waren immer auch Projektionsfläche für das Dauerthema ungarische Identität; schon zur k. u. k. Zeit versuchten Architekten, eine eigene Nationalarchitektur zu entwickeln. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Komplex aus Regierungsgebäuden stark beschädigt oder ganz zerstört und in kommunistischer Zeit vereinfacht wieder aufgebaut. Nun wurde der Palast Sitz von Kultureinrichtungen, mit teilweise unbefriedigenden Raumlösungen: Für die Museen sind die Palasträume mit ihren vielen Fenstern wenig geeignet. Die 2010 gebildete Orbán-Regierung beschloss, den Regierungssitz wieder auf den Burghügel zu verlegen und die Museumssituation neu zu ordnen – natürlich auch nach nationalen Gesichtspunkten. 2014 kündigte Orbán das „Nationale Hauszmann-Programm“ an, ein Konzept zum Wiederaufbau der zerstörten Bauwerke auf dem Burghügel und zur Revitalisierung der Bürgerstadt.
Bereits fertiggestellt ist das ehemalige Hauptquartier des Roten Kreuzes, ein eigentlich unpassendes Gründerzeithaus; schon das Originalgebäude ist ein Fremdkörper in der barocken Bebauung gewesen. Gegenüber schälte sich unlängst die neue Kuppel des ehemaligen Kriegsministeriums aus den Gerüsten – hier war nur noch das Erdgeschoß vorhanden –, und nun ist der Wiederaufbau des Palais von Erzherzog Joseph im Rohbau fertig. Umgerechnet 108 Millionen Euro soll das Projekt bis jetzt verschlungen haben.
Zeitgeschichte der Belle Époque
Das im Krieg beschädigte Palais hätte gerettet werden können, wurde aber 1968 abgerissen. Wieso gerade die Festlegung auf einen theoretischen zeitlichen Kanon, auf die Zeitgeschichte der Belle Époque? Die Jahrhundertwende gilt, ähnlich wie in Wien, als die Glanzzeit der Stadt und markiert einen Höhepunkt im nationalen Selbstbewusstsein. Mit dem Ausgleich 1867 wurde Ungarn weitgehend selbstständig, Budapest war um die Jahrhundertwende die am schnellsten wachsende Stadt Europas. Angesichts der Schieflage des Budgets sind die neuen Paläste eine teure nationale Selbstverwirklichung.
Nicht nur die zahllosen Gründerzeit-Wohnbauten der Stadt verfallen, auch bei den historischen Schätzen wie dem Kunstgewerbemuseum, einem Hauptwerk von Ödön Lechner, kommt die Renovierung seit zehn Jahren nicht voran. Mehr noch: Die Fidesz-Regierung ist mit der Mitte-links-Stadtregierung von Gergely Karácsony im Dauerstreit; nicht nur, dass notwendige Budgetmittel für längst überfällige Projekte zurückgehalten werden, versucht János Lázár, Orbáns Infrastrukturminister, einige Deals durchzuziehen, die für die Stadt negative Folgen hätten. Die Grundstücke der staatlichen Eisenbahn in der Umgebung wichtiger Bahnhöfe gehören zu den wertvollsten Ungarns, sind aber größtenteils ungenutzt. Es sind „Brownfields“, ehemalige Gleisfelder und Industriebrachen, aber auch die Bahnhöfe selbst. Ein solches Spekulationsprojekt mit arabischem Kapital auf der Fläche des Güterbahnhofs Rákosrendező nördlich des Stadtwäldchens, genannt „Mini-Dubai“, konnte vorläufig abgewendet werden – zu groß war der Aufschrei angesichts drohender Hunderte Meter hoher Wolkenkratzer sowie zu intransparenten Vorgehens.
Inzwischen hat Lázár begonnen, die Baurechte an bahnnahen Grundstücken im Rahmen von „strategischen Partnerschaften“ an private Investoren zu übertragen. Die Privatunternehmen erhalten die Flächen kostenlos auf 99 Jahre, müssen aber keine Entwicklungsgarantien abgeben: Die Erklärungen enthalten keine Vorschriften für Stadt- oder Bahnentwicklung, die Ausschreibung wurde weder mit der Stadtregierung noch mit den angrenzenden Bezirken abgesprochen. Ergebnis dieser unkontrollierbaren Deals könnten Überbauungen wie am Wiener Franz-Josefs-Bahnhof sein. Die Budapester Stadtpolitik hätte lieber ein anderes Wiener Projekt als Vorbild: die Hauptbahnhofplanung als ein sorgfältig vorbereitetes Programm, bei dem Stadtentwicklung und Bahnausbau von der ÖBB und der Stadt Wien gesteuert wurden und Bauträger auf Grundlage eines soliden Masterplans arbeiteten – mit einem gesunden Mix aus geförderten und frei finanzierten Wohnungen.
Ödön Lechners Postsparkassa
Das vom Lázár-Ministerium erklärte Ziel sind eine rasche Stadterneuerung und Wohnungsbauentwicklung – bei unklaren Planungsbedingungen und rechtlichen Regeln, was Befürchtungen hinsichtlich undurchsichtiger Geschäfte weckt, von denen nur ein kleiner Kreis von Insidern profitiert. Der derzeitige Top-down-Ansatz unter der Führung von Investoren erscheint ohne strenge öffentliche Beteiligung, Aufsicht oder strategische Vision riskant. Während auf dem Burghügel neue Paläste entstehen, ist nun eine lange Liste von echten historischen Gebäuden aufgetaucht, die zum Verkauf stehen, darunter so ikonische Meisterwerke wie Ödön Lechners Postsparkassa. Wenn die Fidesz-Regierung mit ihren Plänen durchkommt, könnte die berühmte Halle des Nyugati-Bahnhofs – vom Büro Eiffel konstruiert – künftig zu einem Veranstaltungszentrum mutieren, Bahnreisen würden weitab des Zentrums enden. In Sichtweite des Burghügels könnte sich plumpe Investorenarchitektur breitmachen: Die Fläche des derzeit heruntergekommenen Déli-Bahnhofs ist wohl die wertvollste der ganzen Stadt. Der (Vorort-)Bahnverkehr könnte nach Kelenföld zurückgezogen werden, eine Verschlechterung für die Pendler; dann werden wahrscheinlich bald neu erbaute Hochhäuser die neuen Kuppeln von Orbáns Palästen überragen. Und während Lázár als Verkehrsminister die Filetstücke „seiner“ Eisenbahn verscherbelt, bricht er in seiner eigentlichen Kernkompetenz Versprechen: Dringend notwendige Investitionen in neues Zugsmaterial werden verschleppt, Pläne zum Bahnausbau storniert, Sanierungen auf ein Mindestmaß reduziert – die Fidesz-Regierung setzt auf Autobahnen.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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