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Wo Wohnen und Gewerbe zusammenpassen
Der Standard

Der Gewerbehof in der Seestadt füllt sich mit Nutzern, immer mehr Firmen siedeln sich an. Abseits davon jedoch ist das Fachkonzept „Produktive Stadt“ mit der geplanten Mischung von Wohnen und Gewerbe in Wien gescheitert.

17. November 2025 - Martin Putschögl
Im ersten Stock werden Paneele aus recyceltem Kunststoff hergestellt. Im zweiten Stock surren mehrere Dutzend 3D-Drucker vor sich hin, hier werden Vasen und Kerzenhalter aus Maisstärke produziert, die in die ganze Welt verschickt werden. Und im dritten Stock dreht sich alles um Konfekt und Tafelschokolade, die hier in der Xocolat-Manufaktur hergestellt wird. Die Manufaktur hat sich hier, im Gewerbehof in der Seestadt Aspern, im Mai angesiedelt und beliefert von hier aus nun ihre elf Schokoladengeschäfte in ganz Österreich.

Das fünfstöckige Gebäude an der Ecke Sonnenallee und Mela-Köhler-Straße war ein Experiment der Wirtschaftsagentur Wien, und es scheint jetzt, drei Jahre nach Fertigstellung, langsam aufzugehen. „Wir wussten aber von Anfang an, dass es mindestens drei Jahre dauern wird, bis hier Vollbetrieb ist“, sagt Rainer Holzer, Leiter der Abteilung Immobilien in der Wirtschaftsagentur. Anfang 2023 wurden die ersten Flächen besiedelt, derzeit liegt die Auslastung bei 60 Prozent; für weitere 20 Prozent gäbe es schon Reservierungen, sagt Holzer. Im Laufe des nächsten Jahres soll die volle Auslastung erreicht werden.

Das Gewerbeobjekt wurde als „vertikale Fabrik“ geplant und gebaut, mit dem Bestreben, für Produktion und Gewerbe bodensparend Flächen zu schaffen, die anderswo verschwinden – weil der Wohnbau sich in vielen Gegenden an das Gewerbe immer weiter herangepirscht hat. Hier wurde umgekehrt in einen neuen Häuserblock, der hauptsächlich aus Wohnbauten besteht – darunter viele geförderte –, ein Gewerbeobjekt als Kontrapunkt gesetzt. Leben und Arbeiten, beides wird in der Seestadt großgeschrieben, denn man will eine Schlafstadt unbedingt vermeiden.

Christbaumschmuck für NY

22 Firmen sind jetzt schon da, auf fünf Etagen wird gewerkt und produziert. Die Firma mit dem recycelten Kunststoff im ersten Stock heißt Fantoplast, die beiden Gründer Raphael Volkmer und Max Scheidl erzählen, dass sie aus einem Verein heraus entstanden sind, der im WUK im neunten Bezirk seine Basis hat. Im Gewerbehof war man der allererste Mieter. Aus dem Recyclingmaterial werden dort nun allerlei Sachen hergestellt, etwa Tische für Bars, Sonnenschirmständer oder auch Paneele für Schiebetüren, die man dann anderswo im Gewerbehof wiederfindet. Im nahegelegenen Technologiezentrum der Wirtschaftsagentur in der Seestadt hat man beim kürzlich fertiggestellten dritten Bauteil Fantoplast-Paneele etwa auch in den WCs verbaut, erzählt Holzer.

Die 3D-Drucker laufen bei der Firma Sheyn im zweiten Stock. Sheyn heißt „schön“ auf jiddisch, erklärt Gründer Nicolas Gold. Die Firma hat einen Shop im siebten Bezirk und früher auch dort produziert, doch die Fläche wurde zu klein. Vor einem Jahr zog man in den Gewerbehof. Sheyn verkauft übers Internet 60 verschiedene Designs in 20 Farben, beliefert werden von hier beispielsweise auch das MOMA in New York – jetzt gerade mit Christbaumschmuck aus Maisstärke – oder verschiedene französische Museumsshops. Mehrere Stunden lang braucht ein Drucker für eine kleinere Vase, „bis zu 15 Stunden für große Sachen“, sagt Gold. Eine rote Vase mit den Umrissen Wiens hat man ebenfalls im Angebot.

Neben Xocolat, Fantoplast und Sheyn zählt Holzer auch ein paar Handwerker auf (Tischler, Elektriker), die im Haus arbeiten. Außerdem gibt es hier ein Tonstudio, eine Spezialfirma für Metalldrucke, ein Telemedizin-Unternehmen sowie diverse Geschäfte mit Ladenverkauf vorne an der Sonnenallee oder in der Mela-Köhler-Straße. Ein Bäcker hat sich hier eingemietet, vorerst aber ohne Ladenverkauf.

In der Wirtschaftsagentur werde bereits überlegt, das Konzept Gewerbehof anderswo in Wien ein zweites Mal umzusetzen. Vorerst warte man aber zunächst den Vollbetrieb ab. Die Frage, die anfangs bei jedem Termin mit Interessentinnen und Interessenten als Erstes kam, nämlich „Wie kann das mit den vielen Wohnungen in direkter Nachbarschaft funktionieren?“, sei überhaupt kein Thema mehr, sagt Holzer. „Bei den heutigen modernen Produktionstechniken mit 3D-Druck etc. ist Lärm kein Thema mehr.“ Er wisse von keinem einzigen Konflikt. Die Anlieferung für die Firmen erfolgt über den großen Ladehof, der mit einem Innenhofpark überbaut wurde.

Ladehof ist zu groß

Einige Learnings habe man gemacht, sagt Holzer. Der Ladehof etwa sei sogar etwas zu groß dimensioniert worden, diverse Anschlüsse wie jene ans Stromnetz müsse man dafür eher verstärken. Und für lebensmittelverarbeitende Betriebe sei ein Bodenablauf nötig.

Die Xocolat-Manufaktur hat im Mai die größte Mietfläche bezogen, dafür wurden zwei Tops zusammengelegt. Von Geschäftsführer Werner Meisinger und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden hier 70 verschiedene Sorten Konfekt und rund 200 Sorten von anderen Schokoprodukten hergestellt. Die Fläche im Gewerbehof bekommen zu haben, sein ein Glücksfall gewesen, sagt Meisinger. Im 14. Bezirk seien sich die Leute schon auf die Zehen gestiegen, hier gebe es noch Entwicklungsmöglichkeiten. Weniger glücklich über den viel weiteren Arbeitsweg waren anfangs seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit dem Angebot einer Vier-Tage-Woche sei das dann aber großteils akzeptiert worden.

Der Gewerbehof in der Seestadt galt in der Wirtschaftsagentur auch als Pilotprojekt für das Fachkonzept „Produktive Stadt“, das die Stadt zusammen mit Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung 2017 erarbeitet hat. Neben den „roten Zonen“ im Wiener Flächenwidmungsplan, die rein der betrieblichen und industriellen Nutzung vorbehalten sind, sollte es auf „rosa Zonen“ zu einer Durchmischung kommen. Zahlreiche rosa Zonen wurden definiert, bei einigen Projekten kam es auch zu Verhandlungen mit der Stadt. Realisiert wurde bis dato aber kein einziges Projekt.

Das liegt auch daran, dass so mancher Bauträger die Krise nicht überlebte. Die Süba AG hatte etwa in der Pilzgasse in Floridsdorf ein Plus-Energie-Quartier mit „wohnverträglichem Gewerbe“ und 225 Wohneinheiten vorgehabt. Doch die Süba ist insolvent – ebenso wie 6B47; dieser Bauträger hatte bei der U2 Aspernstraße ein Projekt auf einer rosa Zone geplant.

Rosa Zonen im Rückzug

Dass es irgendwo zu einer Umsetzung gekommen wäre, ist auch Stadtplanungsdirektor Thomas Madreiter nicht bekannt, und der muss es wissen. „Wir hätten uns gefreut über das eine oder andere Projekt“, sagt Madreiter dem STANDARD . Im Zuge der Arbeit am heuer präsentierten Stadtentwicklungsplan 2035 vulgo „Wien-Plan“ habe man aber festgestellt, dass man ohnehin mehr rote Zonen benötige, als im STEP 2025 festgelegt wurden. Resultat: Einige der damals ausgewiesenen rosa Zonen verschwanden wieder, etwa bei der Aspernstraße oder auch bei der großen Brachfläche zwischen Gewerbepark Stadlau und Hirschstettner Straße. Diese Zonen sind jetzt wieder rot.

Großer Diskussionspunkt mit den Bauträgern sei stets der Anteil des geförderten Wohnbaus gewesen, sagt Madreiter. So richtig unglücklich ist er aber nicht darüber, dass nichts umgesetzt wurde. Bei der Fläche südlich des Gewerbeparks habe sich nun, ein paar Jahre später, einfach gezeigt, „dass Wohnen hier nicht verträglich ist“. Die Fläche bei der Aspernstraße sei für eine solche Mischung wiederum einfach zu groß gewesen.

Zwei Grundsätze befolge man, sagt Madreiter: „Erstens: Wir brauchen Flächen für die Wiener Wirtschaft.“ Die Arbeitsplatzentwicklung müsse mit dem Anstieg der Wohnbevölkerung Schritt halten. Zweitens gebe es zwar durchaus Flächen, die für eine Durchmischung geeignet seien. „Grundsatz Nummer eins gilt deshalb aber noch immer.“

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