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nextroom fragt: Stefan Marte
nextroom fragt: Stefan Marte © Faruk Pinjo

So unterschiedlich die marte.marte architekten auch im Entwurfsprozess zusammenarbeiten, was Kraftquellen und Haltung betrifft sind die Brüder im absoluten Gleichklang. Bei Vorträgen oder Interviews gilt was der eine sagt, auch für den anderen. Stefan Marte im Interview mit Martina Pfeifer Steiner.

1. Oktober 2017
In welchen Bürostrukturen arbeiten Sie?

Wir arbeiten seit über 25 Jahren zusammen. Schon während der Studienzeit durfte ich als jüngerer Bruder bei Bernhards Wettbewerben mitmachen, die wir zum Glück nie gewonnen haben - das waren wertvolle Lehrjahre! Unsere Herangehensweise an einen Entwurf ist so unterschiedlich, wie man sich das nur vorstellen kann und damit ergänzen wir uns auf außergewöhnliche Weise. Wenn wir einander jedoch bei Vorträgen oder Interviews zuhören, staunen wir selbst, wie synchron wir da geschaltet sind, deswegen machen wir solche Angelegenheiten lieber einzeln.
Der Entwurfsfindung geht immer ein intensiver Prozess voran. Wir kennen einander ja so gut, dass keiner dem anderen etwas vormachen kann. Frei nach Giacometti - der sagte, dass diese Figuren, die uns heute dermaßen bezaubern, oft so entstanden sind, dass er in größter Verzweiflung einfach weitergekämpft habe, ohne Aussicht, dass dies noch irgendwohin führen könne – uns geht es genauso. Schlussendlich kommt dann doch noch das Verborgene zu Tage, wenn man die Kraft aufbringt und weiterarbeitet. Irgendwann bewegen wir uns vom Skizzenpapier irgendwo anders hin um Abstand zu gewinnen, sprechen nur noch über Thema, Fragestellung oder den Knoten, den wir da sehen und im Beschreiben der eigenen Bilder, im Querdenken, Weiterstricken lassen wir uns inspirieren. Zurück im Büro fängt einer an zu zeichnen und der andere ist davon völlig überrascht. Wir entwickeln ja Konzepte oder Strukturen oder Fassaden in unserem eigenen Denkraum, die im jeweiligen Erfahrungsschatz noch nicht abgespeichert oder programmiert sind und somit neu entstehen. Wir schätzen diese Kultur der hochgradigen Missverständnisse sehr, sie beinhaltet großes Potential.

Was inspiriert Sie?

Wie Stephen Spielberg einmal so schön sagte, alles was er jemals geschaffen habe sei nicht im dunklen Kämmerlein passiert, sondern er ließe sich immer und überall von Vielem und Jedem inspirieren und versuche für sich das richtige herauszunehmen und auf seine ganz eigene Art zu interpretieren, etwas Neues daraus zu schaffen. Und so sehe ich das auch. Wir sind im höchsten Maße inspiriert von vielen Architekten-Kollegen auf der ganzen Welt, von den jungen im Land bis zu den Größen, da schauen wir interessiert hin. Auch die Kunst inspiriert uns sehr, wie dieses `Burnout´-Bild des Künstlers und Freundes Hubert Dobler, das in meinem Büro hängt. Eine großformatige Radierung mit Motorradspuren, was auch schon die Brücke zu unserer wichtigen Kraftquelle schlägt. Motocross und Enduro ist beider Leidenschaft. Und meine Familie mit diesen wunderbaren Kindern (7 Töchter), die für mich natürlich an erster Stelle steht, ermöglicht mir dies auch. Schon mit acht bzw. 10 Jahren waren wir die Benzinbrüder, berauscht vom Klang des Zweitakters, dem nächsten Ausritt ins Gelände mit allem was dazu gehört. Zweimal im Jahr gibt es Fixpunkt der Reise ins Piemont. Inzwischen sind das nicht nur Kraftquellen sondern Rettungsinseln. Da klinken wir uns komplett vom Alltag aus, dann sind wir einfach weg.

Was begrenzt die Verwirklichung Ihrer Visionen?

Die Antwort ist leider naheliegend, das muss wohl jeder einmal ansprechen, dass wir Architekten größtenteils als Kostenrechner und in der Projektsteuerung verkommen. Architektur sei 5 % Inspiration und 95 % Transpiration, das haben schon viele gesagt und als Student willst du es nicht glauben. Wir versuchen durch unsere Arbeit Außergewöhnliches zu schaffen, städtebauliche Verbesserungen mit den positiven Auswirkungen auf das soziale Umfeld herbeizuführen, wir wollen Architektur schaffen, die emotional berührt, mit Freude, die nicht nur pragmatische Raumprogramme erfüllt. So! Und die Realität: Du gewinnst im Idealfall einen Wettbewerb mit einem Entwurf der durchaus begeistert, doch am Tag an dem du angerufen wirst, dass du gewonnen hast, weißt du welcher Leidensweg vor dir liegt. Und das passiert doch immer wieder. Da werden einfach Entscheidungen bezüglich Kosten, Terminen gefällt, die oft nicht zusammenstimmen, von Menschen, die mitunter keine Liebe zum Projekt haben. Uns bleibt es dann die Benchmarks zu erreichen. Wie schon Raimund Abraham sagte: Ab dem Moment, wenn man den Entwurfsbleistift hinlegt und es an die Realisierung geht, wird man nur noch zum Verteidiger seines eigenen Projektes.
Der Wohnbau ist aus meiner Sicht derzeit einer der schlimmsten Schauplätze für Architekten, weil dort die Architektur von den Verkäufern gemacht und einem ständig gesagt wird, was sich verkaufen lässt und was nicht. Bei öffentlichen Gebäuden wie Schulbauten ist man vielleicht durch das Raumprogramm eingeschränkt, was voll in Ordnung ist, aber man kann Architektur machen. Wenn es um Kulturbauten geht, hat man zwar auch den Kosten- und Termindruck, doch ist hier aus der Aufgabe heraus etwas möglich und es steht nicht `Rendite´ in großen Lettern darüber.

Welches Ihrer Projekte möchten Sie hervorheben?

Viel Herzblut wird immer bei den Projekten vergossen, die uns aktuell beschäftigen. Das Museum des NS-Dokumentationszentrums in Berlin und die Landesgalerie Niederösterreich in Krems muss ich auch deshalb hervorheben, weil wir vor sechs, sieben Jahren entschieden hatten die Brücken zum Wohnbau abzubrechen um uns auf andere sinnvolle und mögliche Bauaufgaben zu konzentrieren, sprich Sonderbauten. Wir nahmen verstärkt an Museumswettbewerben teil, waren zwar immer in den Preisträgerrängen, und dann – oh Wunder – gewannen wir in Berlin mit einem absolut radikalen Projekt. Ein bedeutendes Ereignis in unserem Werdegang, doch das Schicksal hatte nicht unbedingt den leichtesten Weg für uns bereit. Der Deutsche Bund ist sicherlich die größte und härteste Bauherrschaft die man sich nur vorstellen kann. Wir sind also seit 2011 unermüdlich an diesem Projekt dran, in zig-Tausenden Stunden, doch mit unermesslicher Freude.
Und die Landesgalerie in Krems ist noch einmal die Krönung des Ganzen. Schon in der Ausschreibung stand geschrieben, dass ein Leuchtturmprojekt mit internationaler Strahlkraft gewünscht wäre. Das hat man zwar schon öfter gelesen, aber hier war es ernst gemeint! Sie wollten nicht irgendein `Kistl´ worin die Kunst verschwindet, sondern etwas Spezielles für diesen Ort und die bedeutende Sammlung des Landes Niederösterreich. Wir versuchten wieder einen anderen Weg zu beschreiten und entwickelten das Konzept anhand einer Modellstudie, die auf einem quadratischen Grundriss basiert. Dieser Fußabdruck liegt geordnet und klar in der schönen Altstadt-Struktur von Krems. Die einzelnen Geschoße entwickeln sich wie verdrehte, gestapelte Schubladen in die Höhe, die untere Kontur, wird mit der oberen in geraden Linien verbunden, es entsteht ein dynamischer Baukörper mit leichter Torsion, der sich bis zur obersten Ebene dem Weltkulturerbe Wachau zuwendet.
Die Galerie in Krems ist aus unserer Sicht eine unglaubliche Erfolgsgeschichte, denn mit wie viel Enthusiasmus und Rückhalt dieses Projekt realisiert wird, das ist schon außergewöhnlich. Wir haben das Gefühl, da ist ein Zenit erreicht, an Freude, an verspielter Leichtigkeit, unglaublich toll, dass wir das bauen dürfen, denn normalerweise nehmen solche Geschichten einen anderen Verlauf.

Worüber sollten ArchitektInnen reden, einen Diskurs anzetteln?

Die ganz große Qualität des Architekten ist gewiss, dass er der Mastermind sein muss und die Verantwortung übernimmt, wie der Dirigent im Orchester. Wenn der nicht alles im Griff hat, wie spielen die dann? Wie klingt das dann? Diese Diskussion um die Filetierung unserer Arbeit in Entwurfs- und Ausführungsarchitekten, das ist des Hasen Tod! Solche Tendenzen findet man leider schon in der Ausbildung. Wenn jeder irgendeine filetierte Verantwortung übernimmt, und einer beim anderen anknüpft dürfen wir uns nicht wundern, wenn lauter Instant-Geschichten raus kommen, die gut ausschauen, schnell entstehen und genauso schnell wieder verschwinden.
Das Bild des Architekten ist insofern in Gefahr, dass es ganz unterschiedliche Sichtweisen von Außen gibt. Früher, so hört man zumindest, war der Architekt eine angesehene Lichtgestalt der Respekt entgegen gebracht wurde und dessen Wort Bedeutung hatte. Das sehe ich für heute auch noch so, dass diese Wertschätzung dem Architektenberuf adäquat wäre. Im Idealfall gestaltet der Architekt unser aller Umfeld, den sozialen Lebensraum und ist für die Entwicklung der Baukultur verantwortlich. Wir sollten alle darum bemüht sein, einen möglichst guten Job zu machen. Dann müssen wir nicht darüber reden, was der Architekt alles kann, sondern sind mit unserer Verantwortung in allem ein Vorbild und vielleicht wird die Wichtigkeit dieses Berufstandes auch in der Öffentlichkeit besser wahrgenommen.
»nextroom fragt« ist ein neues Format für die in der nextroom Architekturdatenbank vertretenen PlanerInnen und Planer, das Raum für eine übergeordnete Eigenpräsentation schafft. Fünf gleichbleibende Fragen laden ein, Einblicke in den Arbeitsalltag und die Bedingungen für Architektur zu geben - ungeachtet ob aus der Sicht junger oder arrivierter, großer oder kleiner Büros.

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