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nextroom fragt: Dietrich I Untertrifaller Architekten
nextroom fragt: Dietrich I Untertrifaller Architekten, Pressebild: Dietrich | Untertrifaller Architekten

Das Spektrum der Bauaufgaben von Dietrich | Untertrifaller Architekten reicht von großvolumigen Projekten und städtebaulichen Strukturen über Bauen im Bestand bis hin zum Einfamilienhaus. Das beugt jeder Spezialisierung vor, hält wach und fordert Kreativität und Forschergeist. Helmut Dietrich und Much Untertrifaller im Interview mit Martina Pfeifer Steiner.

19. Februar 2019
In welchen Bürostrukturen arbeiten Sie?

Durch die fünf Standorte in Bregenz, Wien, St. Gallen, Paris und München arbeiten wir in relativ dezentralen, weitgehend autarken Strukturen. Seit einigen Jahren sind wir in der Geschäftsführung zu viert, mit Dominik Philipp, der sich eher auf das Organisatorische konzentriert und Patrick Stremler – wenn man kategorisieren will – auf den Städtebau. Es gibt natürlich auch bei uns zweien Neigungen, die wir zu nutzen verstehen. Much ist bei Wettbewerben und Entwurfskonzepten sehr stark involviert, wie bei den Veranstaltungszentren und Konzerthäusern zum Beispiel, mein Schwerpunkt ist vielleicht etwas regionaler – Vorarlberg, Schweiz, Deutschland – und im Holzbau. Da gibt es natürlich vieles dazwischen, wir versuchten von Anfang an jeweils unsere Stärken herauszubilden und so die Projekte gemeinsam aufzugleisen.
Wir wollen bei einem internationalen Team von zirka neunzig MitarbeiterInnen die Hierarchie so flach wie möglich halten. Es gibt jedoch kein Projekt, bei dem nicht einer von uns Geschäftsführern involviert ist. Das ist uns immer sehr wichtig, dass wir die Gesamtverantwortung übernehmen können. Eine so große Struktur darf sich nicht verselbständigen und Dinge produzieren, die nicht im Geiste der Bürogeschichte sind. Um diese Philosophie zu vermitteln, organisieren wir bürointerne Vorträge und Exkursionen zu unseren Bauten. Die Strategie war im Prinzip immer, dass wir dort gerne mit einem Büro vertreten sind, wo wir große Aufträge haben. Das ist zwar mit ziemlichem Reiseaufwand verbunden, aber wir sind der Meinung, dass man so ganz anders agieren kann.
Was wir auch für wenig sinnvoll halten – die totale Spezialisierung. Wir haben klarerweise schon Schwerpunkte wie Wohnbau, Veranstaltungszentren, Schul- und Sportbau oder als grundsätzliche Themen Energieeffizienz, Nachhaltigkeit, den Holzbau. Das hat uns ja auch die Türen nach Frankreich geöffnet. Aber wir versuchen trotzdem immer die Vielfalt beizubehalten. Es ist zudem eine große Qualität, uns kleineren Aufgaben zu widmen, vom Einzelmöbel über Wohnungsumbauten bis zum Einfamilienhaus. Letzteres nicht weil wir das a priori so toll finden, sondern weil es vor allem im ländlich-alpinen Raum landschaftsprägend ist. Zudem hat man dabei mehr Spielraum, das Ergebnis ist schneller sichtbar, man kann an Prototypen arbeiten. Außerdem ist die Abwechslung auch für die MitarbeiterInnen motivierend. Und das hat auch Einfluss auf die Großprojekte, wenn man so arbeitet. Wir wagen zu behaupten, dass die Detailtiefe bei unseren Bauten, egal wie groß sie sind, ziemlich hoch ist.

Was inspiriert Sie?

M. U. Schwer zu sagen, weil uns wirklich so viel interessiert und wir wahnsinnig neugierig sind. Landschaften, Zusammenhänge, Programme, Bauherren, Aufgaben die neu sind. Vielleicht bin ich nicht ein Abenteurer im klassischen Sinn, aber das Neue, Unbekannte reizt mich – ich muss allerdings das Gefühl haben (bau)kulturell einen Beitrag leisten zu können. Kraftquelle ist schon zum Großteil meine Tätigkeit, ich bin sehr belastbar, sowohl zeitlich als auch von der Mobilität her. Ich fliege ja immer Bregenz – Wien – Paris, und das nicht nur für drei Besprechungen, sondern ich belohne mich dann auch immer mit Ausstellungen oder was es sonst noch Interessantes zu erleben gibt. Der ständige Ortswechsel, damit einhergehend auch jener der Themen, bedeutet für mich ebenfalls Inspiration. Und tendenziell arbeite ich lieber an vielen Projekten gleichzeitig, mit kurzer Dosis, die sich gegenseitig befruchten.
H. D. Mich inspiriert einerseits die Landschaft, das natürliche Umfeld aber auch die Baukultur, die natürlich viel mit Traditionen oder Typologien zu tun hat. Zum Beispiel ist das Bregenzerwälder-Haus ein extrem beeindruckender Bautypus, der mich seit Beginn des Studiums beschäftigt, mit seinen unglaublichen Raffinessen, und wie man verschiedenste Funktionen in eine klare Form gießt. Das ist für mich ein endloser Quell an Inspiration. Genauso die Architekturgeschichte, die vielen wunderbaren Beispiele bis in die jüngste Vergangenheit. Auch die Kunst, die künstlerischen, grafischen Arbeiten, Skulpturen. Ja, auch die Fülle des Lebens, die mannigfaltigen Aspekte und kulturellen Äußerungen, die es wert sind, darüber nachzudenken, was für Lebens-, was für Wohnräume, Behausungen wir denn eigentlich schaffen wollen. Und wo können wir mittels Architektur positiv einwirken, die Möglichkeiten vergrößern oder verbessern? Kraft schöpfe ich persönlich eher durch Rückzug, Ruhe, Lesen, sehr intensiv durch Filme und Musik.

Was begrenzt die Verwirklichung Ihrer Visionen?

Mangelnde Weitsicht ist ein Thema, mit dem wir uns oft herumschlagen müssen. Im realen Baugeschehen trifft man auf Bauherren-, auf Behörden- oder auf der ausführenden Seite auf Leute, die eine enge Sichtweise haben. Und vielleicht richtet die Spezies der Projektmanager tatsächlich am meisten an und erschwert die Verwirklichung der Visionen. Das ist beispielsweise ein Grund, warum wir gerne auch kleine Projekte bauen. Das Gegenüber ist dann tatsächlich ein Bauherr und Nutzer. Heutzutage wird hauptsächlich hinterfragt, wieviel Gewinn kurzfristig übrig bleibt und nicht ob etwas Sinn macht, Qualität und Langlebigkeit bietet. Der wirtschaftliche Druck ist aber auch für ein Architekturbüro groß, und man hätte selber gerne mehr Freiraum. Jetzt könnte man natürlich sagen, ich arbeite nicht für Leute mit so einem engen Weltbild oder nur unter Bedingungen die alles ermöglichen und überlasse die gebaute Umwelt den Investoren-Architekten. Wir versuchen halt weiter voller Neugier Antworten zu geben, die Qualität haben und Bedingungen oder Strukturen im Rahmen der Möglichkeiten verbessern.

Welches Ihrer Projekte möchten Sie hervorheben?

Das ist in unserem Fall nicht ganz einfach zu beantworten, weil wir ja eigentlich Vielbauer sind. Meilensteine, die eine wesentliche Entwicklung im Büro und Folgeprojekte nach sich gezogen haben, könnten wir eher hervorheben: Angefangen mit dem Festspielhaus oder später dann die Wiener Stadthalle. Thematisch sind sicherlich der Schulbau – in Klaus – und Sportbau – ETH Zürich oder aktuell der Olympiapark in München – zu nennen sowie das Konzert- und Kongresshaus in Straßburg. Solche Schlüsselprojekte bringen uns sowohl typologisch als auch architektonisch-gestalterisch und programmatisch weiter.
Es gibt jedoch auch Einfamilienhäuser, die Aufsehen erregt haben. Diese kleineren Projekte sind teilweise stilprägend geworden, zum Beispiel das Haus Sutterlüty, das Haus Rüscher oder Innfeld im Bregenzerwald. Es hat ein Gesinnungswandel stattgefunden, den wir nie für möglich gehalten haben. Offensichtlich haben diese Häuser Nachahmer gefunden und aus dieser vom Tirolerhaus verbrämten Rustikalität, den schlecht proportionierten Neubauten sind relativ stimmige Hauslandschaften im Bregenzerwald geworden. Auch das Angelika Kauffmann Museum in Schwarzenberg ist hervorzuheben, weil es zeigt, dass Bauten – in diesem Fall 500 Jahre alt – mit ihren konstruktiven, materialseitigen und formalen Qualitäten Bestand haben. Man kann hier bezüglich Konzepten, Langlebigkeit, Flexibilität und Umnutzungsmöglichkeiten sehr viel lernen.
Oder im Wohnbau – wir machen extrem viel davon, und gelten vielleicht nicht als die großen Experimentierer. Aber für uns ist entscheidend, dass wir – gerade im sozialen Wohnbau – innerhalb der ökonomischen Möglichkeiten sehr gebrauchstüchtige und wirklich gut nutzbare Wohnungen planen, mit kommunikativen Erschließungszonen und Gemeinschaftseinrichtungen. Es ist allerdings anzumerken, dass uns das in Wien, in Frankreich, in der Schweiz sowieso, eigentlich überall gelingt, nur Vorarlberg ist eine große Ausnahme. Gemeinschaft ist hier bei den Bauträgern nicht einmal Thema! Wenn man bedenkt, dass Vorarlberg vor zwanzig Jahren diesbezüglich das innovativste Bundesland war, ist es eigentlich tragisch, dass dies nicht einmal der Markt mehr einfordert und nichts davon übrig geblieben ist.

Worüber sollten ArchitektInnen reden, einen Diskurs anzetteln?

Architekten sollten nicht nur über Gestaltung sondern auch über Programme reden – und zwar in allen Maßstäben – sowie über die Qualität von Siedlungsstrukturen. Vor allem in Österreich klafft ein großes Loch zwischen Raumplanung und Architektur. Wir dürfen uns da nicht zurücklehnen und müssen uns proaktiv im Diskurs über Lebensraum und Qualität einbringen und uns trauen polarisierende Haltungen zu beziehen, wenn es um massive Landschaftsveränderungen oder nachteilige Projekte geht, auch mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit gegenüber den eigenen – z. B. wirtschaftlichen – Interessen.
Die Intelligenz der Programme – das ist auch so ein Reizthema. Es müsste vielseitigere Instrumente zur Projektfindung geben, der Architekturwettbewerb ist dazu nur beschränkt geeignet. Unser Berufsstand wartet meist nur darauf, dass irgendwelche Programme vorgelegt werden und erfüllt sie dann bestmöglich. Noch vor zwanzig Jahren konnte man bei einem Wettbewerb durchaus erfolgreich sein, wenn man die Rahmenbedingungen nicht einhielt, weil man von einer optimaleren Lösung überzeugt war. Heute darf sich die Jury gar nicht trauen, ein solches Projekt zu prämieren. Und ein mäßig gut ausgeschriebener Wettbewerb kann von einer Jury auch nicht gerettet werden. Wir Architekten müssten schon von vornherein an den Programmen mitarbeiten.
Wir sollten uns auch grundsätzlich stärker positionieren, nämlich gesellschaftlich. Das muss ja nicht unbedingt an vorderster Front sein, aber wir haben doch Betätigungsfelder und Kontakte, die uns ermöglichen Einfluss auszuüben. Das muss nicht medial ausgerichtet werden, das kann im Dialog passieren. Die Barrieren zwischen den diversen Haltungen sind ohnehin so groß, da ist es sicher zielführender, im persönlichen Diskurs etwas zu verändern versuchen, als diese zu verschärfen. Der positive Aspekt an diesen vielfältigen negativen Entwicklungen ist, dass die Bereitschaft sich Gedanken zu machen, sich zu engagieren, in letzter Zeit doch größer geworden ist.
»nextroom fragt« ist ein neues Format für die in der nextroom Architekturdatenbank vertretenen PlanerInnen und Planer, das Raum für eine übergeordnete Eigenpräsentation schafft. Fünf gleichbleibende Fragen laden ein, Einblicke in den Arbeitsalltag und die Bedingungen für Architektur zu geben - ungeachtet ob aus der Sicht junger oder arrivierter, großer oder kleiner Büros.

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