Beitrag

nextroom fragt: AllesWirdGut
nextroom fragt: AllesWirdGut, Portraitfoto: Hertha Hurnaus

Aus dem Verhältnis zum Ort und dem Charakter der Aufgaben entwickeln AllesWirdGut ihre Projekte, die eines gemeinsam haben: Die Suche nach Mehr mit angemessenen Mitteln. Gute Architektur soll nicht mehr kosten – sie muss mehr können. Andreas Marth, Herwig Spiegl, Friedrich Passler und Christian Waldner im Interview mit Martina Pfeifer Steiner.

2. April 2019
In welchen Bürostrukturen arbeiten Sie?

Von Anfang an sind wir eigentlich in einer kontinuierlichen Kurve nach oben gewachsen. Ein großer Sprung war wohl die Eröffnung unseres Büros in München. Nach jahrelangen Bemühungen gewannen wir 2012 endlich einen Wettbewerb und hatten innerhalb kürzester Zeit viele Projekte in Deutschland.
Wir selbst involvieren uns stark in die Entwicklung und Konzeption bei den Wettbewerben. Es gibt jedoch eine eigene Gruppe, die ausschließlich Wettbewerbe macht. Zweimal die Woche gibt es mit allen vier Partnern und den Projektteams einen Workshop. Wer von uns die Leitung übernimmt, ergibt sich: da steht einfach einer kurz auf, weil er gerade Kapazitäten oder Interesse hat. Wird der Wettbewerb gewonnen, bleibt demjenigen selbstverständlich die Projektleitung.
Rund dreißig Wettbewerbe machen wir im Jahr, und das war von Anfang an unsere Strategie der Auftragsakquise. Schon beim Diplom an der TU Wien haben wir – damals zu fünft mit Ingrid Hora, die sich nach zwei Jahren der Kunst zuwandte – ausgemacht, dass wir uns zusammentun, wenn einer mal einen Wettbewerb gewinnt. Das passierte dann mit dem Mehrzweckhaus in Fließ Andreas und Friedrich tatsächlich. Vielleicht sollten wir dazusagen, dass alle aus Tirol bzw. Südtirol kommen und natürlich zuerst unser heimatliches Netzwerk nutzten. Jedenfalls nannten wir uns AllesWirdGut, suchten sofort ein Lokal mit großem Schaufenster im 4. Wiener Gemeindebezirk und kümmerten uns parallel schon um Folgeprojekte. Die Präsenz im Stadtraum war auch total wichtig. Und das war richtig, denn die Einladung für den Wettbewerb zur Gestaltung der Don Gil-Filialen ergab sich beispielsweise, weil zufällig ein Chef der Modekette gegenüber wohnte.
Wir hatten gleich einen guten Lauf und konnten fast jeden zweiten Wettbewerb gewinnen. Das war vor mittlerweile zwanzig Jahren. Wer hätte gedacht, dass wir heute auf 1.100 Quadratmetern mit insgesamt – inklusive München – siebzig MitarbeiterInnen arbeiten. Man könnte fast sagen, dass wir uns nicht von unseren Leuten trennen können, denn kaum gewinnen wir einen größeren Wettbewerb, bauen wir das Team aus. Und es gibt auch unter uns so eine Dynamik, dass immer einer pusht, weil zum Beispiel das Thema so spannend ist.
Wir haben aber auch Glück, dass die Leute bei uns bleiben wollen. Vielleicht bieten wir entsprechende Möglichkeiten und Chancen. Wir sorgen für ein möglichst ausgeglichenes, anregendes Umfeld und investieren bewusst in den Arbeitsplatz. So konnten wir vor einem Jahr zu den zwei Etagen des Bürogebäudes im bisher eher extensiv genutzten Erdgeschoß eine Kantine einrichten und eine Köchin anstellen. Die besten Ideen entstehen ja beim gemeinsamen Mittagessen, beim Zusammensitzen mit Kaffee und Kuchen oder beim Afterwork-Bier. Geeignet ist die Location auch für Veranstaltungen und Präsentationen, bis hin zum Candlelight-Dinner mit Projektpartnern. Zudem empfinden wir es als Bereicherung, dass wir wieder mit einem großen Schaufenster unter ‘alles isst gut’ im Stadtraum präsent sind.

Was inspiriert Sie?

Unsere Zusammenarbeit ist sehr inspirierend, nämlich insgesamt, mit allen Inputs die auch aus dem Team kommen. Wir suchen das Neue, wollen uns verändern, wenn das eine fertig ist, suchen wir den nächsten Reiz, nie die Wiederholung, immer nach einer weiteren Verbesserung. Doch müssen wir auch feststellen, dass die klassischen Inspirationsquellen ein bisschen ins Hinterland verschwunden sind. Früher hielten wir uns oft in Bibliotheken auf, blätterten in Zeitschriften, Büchern. Heute hat der vermeintliche Alleskönner Internet alles abgelöst, das hat natürlich eine andere Qualität und Geschwindigkeit. Auch wenn wir bestens ausgestattet sind mit all diesen Journalen – wir haben sogar jemanden im Büro, der für die Anschaffung von Büchern zuständig ist – nehmen wir uns genaugenommen zu wenig Zeit, um darin zu schmökern.
Andererseits muss ja jeder seine Inspiration aus allen Lebenssituationen speisen und einen hohen Aufmerksamkeitslevel halten. Wir haben selbstverständlich auch ein Leben parallel zur Architektur und zu unserer Arbeit, ob es jetzt Kinder, Familie, Hobbys sind oder Schitouren, Konzerte, Kino, Lesen, was auch immer. Wir sind sicher nicht die Leute, die rund um die Uhr um die Architektur kreisen. Wobei, mitunter gibt es schon Exkursionen mit dem gesamten Büro, wie letztens nach Vorarlberg. So ein Atelierbesuch bei geschätzten Kollegen im Bregenzerwald zeigt doch ein Gegenmodell auf und die mannigfaltigen Entdeckungen geben Energie und viel Anregung.

Was begrenzt die Verwirklichung Ihrer Visionen?

Mit Rahmenbedingungen umzugehen haben wir wohl von Anfang an gelernt. Doch wir suchen unsere Herausforderungen und die Dinge an denen wir Freude haben jedenfalls selbst. Ein Beispiel: im geförderten Wohnbau gibt es ein dermaßen enges Kostenkorsett, dass wir architektonisch keine besonders spektakulären Objekte umsetzen könnten, da suchen wir uns die Qualitäten halt anderswo, versuchen möglichst gute soziale Komponenten einzubringen, möglichst gute Grundrisse, möglichst effizient zu sein, möglichst gute Erschließungstypologien neu zu entwickeln, städtebaulich möglichst gut zu integrieren. Da gibt es einfach andere Themen, als ein Stück aufsehenerregender Architektur hinzustellen. Wir versuchen eigentlich generell mit unseren Bauwerken eine Geschichte zu erzählen, das hängt nicht von finanziellen Mitteln ab, um diese am Ende auch räumlich lesbar zu machen. Es geht immer ums Geld, das sind einfach die Parameter, mit denen wir arbeiten müssen, doch wir suchen danach, das Bestmögliche im Rahmen der Möglichkeiten herauszuholen.
Das Hinderlichste für Visionen sind zum einen Unbeweglichkeit und zum anderen fehlende Bereitschaft zur Solidarität im erweiterten Sinn. Auch das Kostenthema lässt sich von verschiedenen Seiten her beurteilen und lösen, wenn man prinzipiell bereit ist, von vorgefassten Standpunkten abzurücken und Anderes zuzulassen, wenn man versteht, dass man gemeinsam an einem Resultat arbeitet. Man braucht schon ein Gegenüber, das auch mal über etwas Neues nachdenken kann und sich darauf einlassen. Nur so können die Visionen Schritt für Schritt verwirklicht werden. Und es fehlt ein Qualitätsbewusstsein für das Bauen, man fühlt sich als Architekt oft allein gelassen.

Welches Ihrer Projekte möchten Sie hervorheben?

Es gibt sehr viele Projekte, die auf unserem bisherigen Weg sehr wichtig sind und man hat natürlich immer die aktuellsten im Kopf: Ein sehr großes in München, die Neue Mitte – Perlach Plaza mit einem urbanen Nutzungsmix aus Einzelhandel, Gastronomie, Wohnen und Hotel als Visitenkarte des neuen Quartiers. Ebenfalls in Bau ein Projekt in Zusammenarbeit mit Hertl.Architekten – der Bruckner Tower in Linz, ein lebendiges, dichtes Angebot aus Wohnen, Arbeiten und Bildung als Landmark in der Stadtlandschaft. Die Durchmischung der Stadt, ist das Thema das uns immer wieder beschäftigt. Auch beim ersten Baustein – ein Wohn- und Geschäftshaus – und einem weiteren – ein Wohnhochhaus mit rund 340 Wohneinheiten – des städtebaulichen Entwicklungsgebietes Nordbahnhof Wien.
Ohne das erste Projekt gäbe es kein zweites. Das Dorfzentrum in Fließ war in dieser Hinsicht ein Markstein. Vielleicht konnte Andreas damals mit den Ratschlag an den Bürgermeister einen Wettbewerb durchzuführen, den Impuls liefern, für die bemerkenswerte Dorferneuerung über zwei Jahrzehnte in Fließ. Aktuell planen wir dort wieder ein Freizeitzentrum.
Wichtige Projekte waren 2003 die Fußgängerzone und Platzgestaltung in Innichen, Südtirol, und später ebendort das Zivilschutzzentrum, 2005 das Opernfestspielareal im Römersteinbruch St. Margarethen, 2007 ein Maßstabssprung mit dem Landesamtsgebäude Niederösterreich (zusammen mit feld72 und FCP), damals Österreichs größtes Büro-Passivhaus, in der kleinteiligen Altstadt von Krems. Schlüsselprojekte waren auch die Bürobauten Doppelmayr Hohe Brücke in Wolfurt, Vorarlberg, und die kürzlich fertiggestellte Firmenzentrale der FUNKE Mediengruppe in Essen, Deutschland. Ebenso das vielbeachtete Sozialprojekt der Caritas ‘magdas Hotel’ in Wien und des Weiteren zahlreiche Wohnbauten in Österreich, Deutschland und Luxemburg.

Worüber sollten ArchitektInnen reden, einen Diskurs anzetteln?

Besonders spannend ist das Thema der Stadterweiterung. In diesem Zusammenhang könnte man fragen, warum man sich heute keine neuen Stadtgründungen zutraut. Das wäre doch eine interessante Diskussion: Warum muss Wien in die Höhe wachsen oder sich weiter ausdehnen? Warum baut man nicht eine ökologische Musterstadt? Man bräuchte eigentlich nur Geduld. Bis eine solche Stadt entsprechende Lebensqualität, Durchmischung und Heterogenität entwickeln kann, das würde zwar ein paar Jahrzehnte dauern, denn es beginnt ja damit, dass Bäume länger brauchen, bis sie schön groß sind. Die Stadtplanung als solches ist einfach das Thema der Zukunft.
Was auch noch spannend wäre, sich genauer anzuschauen: Viele rechtliche Rahmenbedingungen mit denen wir arbeiten müssen – und das ist in Deutschland noch evidenter als in Österreich – basieren auf den Prinzipien der klassischen Moderne. Und da sind wirklich Gebäudeabstände, Belichtung etc. gemeint. Stadträume, die von uns sehr geschätzt werden, die Altstädte, egal wo auf der Welt, würden der Überprüfung nach unserem heutigen gesetzlichen Regelwerk überhaupt nicht standhalten. Zwar haben wir in Österreich relativ hohe Dichtezahlen, doch es geht trotzdem nicht nur um die Baudichte, sondern um die stadträumliche Qualität. Dass wir um Nachverdichtung nicht herum kommen, wissen wir längst. Mehr Grün und versickerungsfähige Flächen, das alles ist unbestritten. Aber interessant: je mehr sich die Gebäude eigenverschatten, desto weniger überhitzt die Stadt. Bei dieser Qualität gibt es plötzlich eine Umkehr, wenn Häuser schlechter belichtet und Ausblicke eingeschränkt sind. Unter dieser Betrachtungsweise könnte man hinterfragen, ob jede Wohnung wirklich von früh bis spät Sonne braucht. Man müsste das Instrumentarium der Stadtplanung einfach um viele Facetten erweitern. Das ist noch eine recht junge Wissenschaft und hat eine gewisse Stagnation erlebt. Heute hätte man jedoch neue, auch technische Möglichkeiten, an dieses Thema heranzugehen.
Andere Sichtweisen sollten wir auch auf Planungskonventionen bezüglich Haustechnik lenken. Das Gebäude ist technischer und technischer geworden und schön langsam beginnt der Diskurs, wieder mehr auf die architektonischen als auf die technischen Qualitäten zu fokussieren. Man besinnt sich wieder auf Orientierung, Bautiefe, intelligente Lüftungssysteme, geht weg davon, alles mit Haustechnik kompensieren zu wollen. Dazu wären jedoch auch die NutzerInnen gefragt. Wir haben uns an ein Komfortniveau gewöhnt und unser Behaglichkeitsempfinden extrem eingegrenzt, seitdem jedes Auto eine Klimaanlage hat. Das bedeutet einen Rieseneinfluss auf die Anforderungen an Dämmstoffe, Haustechnik etc. Wenn wir über Energieeinsparung reden wollen, sollten wir weniger an Kunststoffdämmungen und Klimaanlagen denken, sondern auch mal an einen Wollpulli im Winter oder ein dünnes Leiberl im Sommer.
»nextroom fragt« ist ein neues Format für die in der nextroom Architekturdatenbank vertretenen PlanerInnen und Planer, das Raum für eine übergeordnete Eigenpräsentation schafft. Fünf gleichbleibende Fragen laden ein, Einblicke in den Arbeitsalltag und die Bedingungen für Architektur zu geben - ungeachtet ob aus der Sicht junger oder arrivierter, großer oder kleiner Büros.

teilen auf