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Begegnung beim Stadtbootshaus – Nina Kuess verortet sich
Begegnung beim Stadtbootshaus – Nina Kuess verortet sich, Foto: Ella Felber

Am Grazer Murufer treffen wir auf eine innerstädtisch seltene Bautypologie: ein Bootshaus.

29. November 2022 - Ella Felber, Silvester Kreil
„Die grüne Zunge durch die Stadt sollte erhalten bleiben, sodass wir in unserem Wettbewerbsentwurf das Gebäude an die Straßenkante gesetzt haben. Jetzt lässt sich von der Promenade davor bis zum abgetreppten Dach, das wie eine aufgeklappte Böschung funktioniert, alles öffentlich nutzen. Es bietet Stadtraum, auch wenn das Bootshaus selbst gerade nicht geöffnet ist.

Wir versuchen, in unserer Architektur immer einen Mehrwert zu schaffen. Nicht nur im nachhaltigen Materialdenken, sondern auch in der Platzierung eines Gebäudes, und wie es konzipiert wird. Wir planen für die gewünschte Funktion, die aber stets ergänzbar ist. Beim Stadtbootshaus wollten wir beispielsweise eine hybride Gebäudeform, die sowohl beheizt als auch unbeheizt erweitert werden kann und trotz der Vorgaben durch Altstadt- und Hochwasserschutzzonen sowie Natur- und Artenschutz bestmögliche Flexibilität bietet. Unterschiedlich nutzbare Raumhöhen, Raum-in-Raum-Lösungen und über verschiebbare Fassadenelemente changierende Innen- und Außenräume zu schaffen, ist uns wichtig. Wer weiß schon, was in 15 Jahren sein wird und welche anderen Nutzungen das Gebäude noch durchläuft.

Wir arbeiten gerne mit einer kleinen Palette an Materialien, die dafür durch gezielten Einsatz im Detail eine zusätzliche, spürbare Qualität bringt. Beim Bootshaus haben wir beispielsweise nur drei Materialien eingesetzt und dafür ein Geländer entworfen, orientiert an den Gusseisengeländern mit Ornamenten, um einen Balkon für die Stadt zu schaffen. Platz für solche Ausarbeitungen möchte ich mir und meinem Team weiterhin einräumen.

Ich habe zudem eine Leidenschaft für das Bauen im Bestand, alte Strukturen und die Suche nach Wegen, wie sie weiter oder umgenutzt werden können. Ich finde es immer spannend, Orte weiterentwickeln zu dürfen, oft mit vielen Rahmenbedingungen umzugehen und beispielsweise das Handwerk von früher wieder sichtbar zu machen. Zu meiner Freude, bekommen wir in diesem Bereich vermehrt Anfragen – bei den heutigen Preisen und Abbruchkosten muss man sich ohnehin damit beschäftigen. Der Wert von Gebäudeensembles wird in ländlichen Gebieten besser erkannt und wenn wir vergessene Qualitäten wieder aufzeigen und erklären, dann schätzen die Leute das.

Meiner Erfahrung nach wächst derzeit bei Kund:innen der Anspruch und das Bewusstsein für architektonische Qualitäten, Nachhaltigkeit, intelligente Grundrisse und Detaillösungen. Da ich früh selbstständig war, habe ich von Anfang an den Austausch auf Augenhöhe mit Handwerker:innen und Firmen gesucht, um deren Ansätze zu verstehen – es ist neben Bauherr:in und Planer:in eben auch ihr Gebäude. Wir suchen immer gemeinschaftlich nach Lösungen, um gute Ausführungsqualitäten zu bekommen und im Weiteren das Vertrauen unserer Auftraggeber:innen.

Ich habe das Büro alleine gegründet und über die Jahre konstant Mitarbeiter:innen dazugeholt. Rene Märzendorfer, der die Büroleitung übernommen hat, ist in den letzten vier Jahren sozusagen zu meiner rechten Hand geworden. Mir ist das Team und unser ‘Wohnzimmer-Feeling’ im Büro sehr wichtig. Derzeit sind wir zu acht. Obwohl nicht alle 40h arbeiten, betreut jede:r eigene Projekte und Auftraggeber:innen – vom Entwurf bis zur Ausführung. Ich bin in alle Projekte involviert, oft als Joker und für die Kommunikation zuständig. Es ist aufgrund der Vielfalt unserer Projekte schwer zu sagen, wo die Reise hingeht, ich bin da sehr offen. Uns ist der Anspruch an ein Projekt und dessen Mehrwert für die Umgebung wichtiger als die Typologie selbst.“

KUESS Architektur ZT, gegründet 2016 von Nina Kuess, arbeitet neben Neubauprojekten, Projektstudien und Wettbewerben, vorwiegend an Um- und Zubauten von Bestand in der Steiermark. Das Zusammenspiel von Alt und Neu sowie der Materialeinsatz, Details und die Offenheit für zukünftige Nutzungen stehen im Fokus.
»nextroom fragt« junge Architekt:innen. Sie wählen Orte aus, um dort mit Ella Felber und Silvester Kreil über die Wichtigkeit und Dringlichkeit von Architektur zu sprechen. Warum macht Ihr Architektur? Wie wollt Ihr sie produzieren?

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