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Neuland über dem Fluss
Spectrum

Aus dem dringlichen Bedarf an nutzbarem Grünraum realisieren Metropolen derzeit Utopisches. Auch hierzulande versucht man Neues – und stößt auf altbekannte Grenzen. Eine Nachschau.

6. Mai 2017 - Stephanie Drlik
Zwischen 2006 und 2014 entstand im Südwesten Manhattans, New York, ein 2,4 Hektar großer öffentlicher Park. So weit wäre daran noch nichts ungewöhnlich, obgleich man sich fragen könnte, wo im dicht bebauten Gebiet der Lower West Side Platz für einen derart großen Park war. Um eine Freifläche wie diese zu schaffen, musste rund zehn Meter höher als üblich gearbeitet werden – nämlich auf der Bahntrasse einer stillgelegten Hochbahn. Der High Line Park wurde aus dem dringlichen Bedarf für nutzbaren Grünraum von den Friends of the High Line initiiert und als Private Public Partnership mit der Stadt New York realisiert. Nun schlängeln sich 2,33 Kilometer amerikanisches Parkneuland durch die luftigen Höhen von dreiunddreißig New Yorker Blocks.

Die Idee des High Line Park denken gerade ein paar umtriebige Aktivisten anders herum und legen einen Lowline Park in den unterirdischen Tiefen der Lower East Side Manhattans frei, Terra incognita sozusagen. In einem Lowline Lab wird mittels Spiegeln versucht, Sonnenlicht unter die Erde zu bringen, um eine subterrane Parklandschaft gedeihen zu lassen.

Nur einen Steinwurf vom High Line Park entfernt wird derzeit, nach der Idee des Londoner Heatherwick Studio, Insel-Neuland errichtet. Der 1,1 Hektar große Pier55 Floating Park liegt in bis zu 19 Meter Höhe über dem Hudson River, getragen von 300 gigantischen Betonpilz-Pfeilern. Den Visualisierungen zufolge kann man eine üppig bewachsene Grünoase erwarten, die lediglich durch zwei Brücken mit dem 56 Meter entfernten Ufer verbunden sein wird. Die künstliche Insel für Freizeit und Erholung soll öffentlich nutzbaren Raum für Kulturevents schaffen.

Heatherwick ist auch an einem europäischen Schauplatz ähnlich spektakulär tätig. Ein Park soll künftig North und South Bank Londons verbinden: 6000 Quadratmeter Neuland spannen sich quer über die Themse. Werbesujets zeigen die 366 Meter lange Garden Bridge mit mäandrierenden Spazierwegen durch eine üppig bepflanzte Landschaft. Das Vorhaben wurde als Teil der fußläufigen Erlebbarkeit der Stadt ins Leben gerufen und soll vom Garden Bridge Trust unter Beteiligung der Stadt London finanziert werden. Die politische Entscheidung, die das Projekt nun auf den Weg zur Umsetzung schicken soll, ist noch ausständig.

Freiraumprojekte wie die vorgestellten sind reizvoll, weil sie Utopien verwirklichen und kreative Innovationskraft zeigen. Die Realisierung solch gewagter Ideen spiegelt eine zukunftsgerichtete, couragierte Baukultur wider. Auf der anderen Seite sind derartige Planungen nicht unumstritten – jedes der Projekte hat seine Schwachstellen. Ein großer Kritikpunkt sind die enormen Errichtungs- und Erhaltungskosten, insbesondere wenn mit kommunalen Geldern gearbeitet wird. Für die geplante Garden Bridge etwa wurden Kosten von rund 185 Millionen Pfund und weitere zwei Millionen Pfund pro Jahr für Erhaltung und Betrieb projektiert. Schwierig wird es auch dann, wenn mit öffentlichen Räumen Geld verdient werden soll – so wie mit dem Floating Park, der von Mediengröße Barry Diller und seiner Mode designenden Gattin Diane von Fürstenberg finanziert und betrieben wird.

Der High Line Park muss sich der Kritik stellen, von einer breit getragenen Anrainer-Community initiiert worden zu sein, die ihn heute aufgrund massiver Gentrifizierungstendenzen vermutlich nicht mehr selbst nutzen kann. Dennoch, der Park bleibt eine Erfolgsgeschichte, der fachkundige Qualitätsarbeit zugrunde liegt. Immerhin hatte das New Yorker Landschaftsarchitekturbüro James Corner Field Operations die Projektleitung im Team mit Diller Scofidio & Renfro inne, und der eigens zugezogene niederländische Landschaftsgärtner Piet Oudolf war für die Bepflanzung des artifiziellen Untergrundes zuständig. Neben dem unbestritten hohen Maß an Innovation fällt bei Projekten wie dem Floating Park oder der Garden Bridge das Fehlen entsprechender landschaftsarchitektonischer Planungspartner im Team auf. Denn die Gestaltung mit Pflanzen, die mit extremen Lebensbedingungen auf künstlichem Grund zurechtkommen müssen, erfordert Fachwissen. Dschungelartige Bepflanzungszustände auf Visualisierungen entlocken Landschaftsarchitektinnenund -architekten jedenfalls ein Schmunzeln. Wir dürfen gespannt bleiben, wie die Projekte in Planung sich entwickeln, doch eine Garden Bridge ohne üppigen Garten oder die Insel auf dem Hudson River ohne Schatten spendende Großgehölze scheinen wenig attraktiv.

Auch hierzulande kann man freiräumliches Neuland öffentlich beschreiten. Als innovative Antwort auf die Fragen der dicht bebauten Gebiete entlang des Wienflusses sehen die Architekten Tillner & Willinger mit Auböck & Kárász Landschaftsarchitekten im städtebaulichen Leitbild für das Wiental die Errichtung von drei U-Bahn überspannenden Wiental-Terrassen vor. 2015 haben Tillner & Willinger gleich selbst Hand angelegt und die erste Terrasse im Bereich Pilgramgasse errichtet. Konstruktiv unaufgeregt, neigt sich die 1000-Quadratmeter-Plattform über 13,5 Meter leicht zum Wienfluss ab. Eine raumwirksame Geste, die das regulierte, in diesem Abschnitt leider nicht nutzbare Flussbett erlebbarer macht.

Die Architekten haben das Spiel mit den Höhen auch in der Oberflächengestaltung aufgegriffen und zwischen einem diagonal verlaufenden Betonweg eine künstliche Topografie aus unbehandeltem Lärchenholz modelliert. Dieses Faltwerk und die Neigung zum Wiental erzeugen stellenweise steilere Holzflächen, als es die magistratischen Sicherheitsvorschriften in kalten Wintermonaten erlauben. Für Wien-erfahrene Planungstätige durchaus vorhersehbar, folgte eine Wintersperre der Plattform, die nach anhaltender öffentlicher Kritik schlussendlich durch das Anbringen von Zauntüren undBeschilderung obsolet wurde.

Die Gestaltung mit ein paar Holzbänken und liebesbedürftigen Pflanztrögen überzeugt weniger als die künstliche Topografie, die Leben in die Sache bringt. Für die kontroverse Holzoberfläche gibt es Argumente. Doch neben den vielen Vorzügen, die das Material unbestritten mit sichbringt, wiegt die winterliche Nutzungseinschränkung schwer – der Nutzungsdruck im dicht bebauten Margareten, mit einem Freiraumanteil von nur sieben Prozent, ist enorm. Schade jedenfalls, dass durch die fragliche Oberflächenwahl mehr über Wintersperre und Lärchenbelag nachgedacht werden muss als über die großartige Terrassen-Idee, die in vielerlei Hinsicht Perspektiven schafft.

Interessant wäre, wie die in Sachen Freiraum sachverständige Planungsprofession Landschaftsarchitektur dieses Neuland interpretiert hätte. Nun, vielleicht kommt ja beim nächsten Terrassenbau ein heimisches Landschaftsarchitekturbüro als Generalplaner zum Zug – das wäre zumindest Neuland in der Wiener Vergabepraxis.

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