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Da war doch noch was
Spectrum

Hinsichtlich des Heumarkt-Projekts wurden fast nur die Themen Weltkulturerbe, Hochhaus und Canaletto-Blick diskutiert. Der Abriss des Hotels Intercontinental stößt dagegen auf wenig Interesse. Gelegenheit für eine Denkmaldebatte.

19. August 2017 - Monika Platzer
Wie eine Luftblase ist das Versprechen der Wertinvest, das Hotel Intercontinental Wien zu neuem Leben zu erwecken, geplatzt. Noch im Jahr 2014 wurde der Bau anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der Eröffnung mit einer in Gold gehaltenen Publikation gewürdigt. Das aufwendig gestaltete Buch mit dem bedeutungsvollen Titel „Seit 1964 Tor zu Welt“ wurde stilgerecht in der Bar des Hotels gefeiert und bildete den strategischen Auftakt der Marketingoffensive für die Neugestaltung des Areals Heumarkt. Im Rückblick liest sich die Headline des Newsletters der Wertinvest vom 25. August 2014 – „Das Hotel Intercontinental Wien feiert 50 Jahre, und die Planung der Neugestaltung geht zügig voran“ – fast zynisch, denn die Lebenszeit des Hotels hat sich inzwischen dramatisch verkürzt. Es soll in Kürze durch einen Neubau an leicht verschobener Stelle ersetzt werden.

In der sehr emotional geführten Diskussion um das Heumarkt-Projekt fokussieren Debatte und Kritik fast nur auf die Themen Weltkulturerbe, Hochhaus und Canaletto-Blick. Dass das Hotel Intercontinental, ein Bau der Arbeitsgemeinschaft der Architekten Carl Appel, Walter Jaksch und des amerikanischen Architekturbüros Holabird & Root, entgegen der Absicht des von der Wettbewerbsjury preisgekrönten Entwurfs abgerissen werden soll, stößt medial hingegen kaum auf Interesse. Dabei hat man hier in den 1960er-Jahren am Puls der Zeit gebaut. Der Auftraggeber, die Fluglinie PANAM, setzte mit diesem Hotel einen architektonischen Akzent für den wirtschaftlichen Aufschwung Österreichs. Bereits ab 1947 war mithilfe des Marshallplans in den Fremdenverkehr investiert worden. Hotelketten wie das Hilton und das Intercontinental begannen auch verstärkt nach Europa zu expandieren.

Voraussetzung für den Konzern war eineprominente innerstädtische Lage, darin spiegelten sich das Selbstbewusstsein und der Führungsanspruch der amerikanischen Nation, die Integration Europas in ein marktorientiertes kapitalistisches Wirtschaftssystem voranzutreiben. Die architektonische Großstruktur setzte sich bewusst von ihrer Umgebung ab, der formale Kontrast zur historischen Stadt gehörte zur Programmatik, die sich international in allen Häusern der Hotelkette finden lässt. Am Stadtpark gelegen, ragt der zwölfstöckige Stahlbetonskelettbau in die Höhe. Seine Fassade besteht aus weißem Kunststein und etwas zurückversetzten grauen Glasmosaikflächen. Die Rückfront wurde t-förmig ausgebildet, um die geforderte Anzahl von 500 Zimmern unterzubringen.

Schon damals wurde eine Abmachung mit dem Wiener Eislaufverein getroffen, der 5000 Quadratmeter Grund für die Errichtung abtrat und im Gegenzug für eine Million US-Dollar ein neues Verwaltungsgebäude und eine Kälteanlage für die Kunsteisbahnerhielt, die im Sommer für das Hotel die Klimatisierung übernahm. Das Bauensemble Hotel und Eislaufverein entsprach ganz den Chiffren einer internationalen Moderne. Gerade in der transparenten Sockelzone und dem vorspringenden Bar- und Nachtklubbereich werden Reminiszenzen an das Four Seasons Hotel in New York wach. Wurde im äußeren Erscheinungsbild bewusst das Vokabular einer West-Moderne eingesetzt, bezog man sich im Inneren auf Lokalkolorit. Kristalldeckenleuchten und -luster, imperial angehauchte Vorhänge in den Gästezimmern sowie die goldüberzogenen Säulen im Foyer und die abstrakte Wiener Werkstätten-Optik der Spannteppiche erinnern an die glorreiche Vergangenheit Wiens. Die Dichotomie global–lokal setzte sich im imposanten Schriftzug auf dem Dach weiter fort.

Die Kritik an dem Bau setzte unmittelbar ein, Friedrich Achleitner bezeichnete ihn in der „Presse“ vom 21./22. März 1964 als „Eine Masse ohne Maß“ und bemängelt die „kalte merkantile Pracht“ des Gebäudes. Der Achleitner'sche Blick auf die Epoche der Nachkriegsmoderne war allerdings zeitgebunden und wurde inzwischen von ihm selbst revidiert. Die bis heute in Verwendung befindlichen Begrifflichkeiten, die das Baugeschehen nach 1945 bis in die 1960er-Jahre klassifizieren – Architektur des Wiederaufbaus, funktionalistische Architektur, Bauwirtschaftsfunktionalismus – transportieren Wertungen, die auf bestimmte Narrative zurückgehen. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Qualitäten der inzwischen gefährdeten Bauten findet kaum statt. Perpetuiert werden die bis heute anhaltenden Vorurteile gegenüber der Nachkriegsmoderne durch unreflektierte Legitimationsrückgriffe auf Kritiken von Zeitgenossen, bei denen es jedoch nie um eine generelle Verurteilung der Dekade ging. Stereotyp werden die gängigsten Totschlagargumente (bautechnische Mängel, unzureichende Energiebilanz, Nutzungsänderung) als Abbruchgrund von Bauten nach 1945 ins Spiel gebracht.

Inzwischen sind viele der Schlüsselbauten der Nachkriegsmoderne zerstört. Das in Béton brut gehaltene Kongresszentrum in Bad Gastein beispielsweise – eine Inkunabel der österreichischen Nachkriegsarchitektur –steht bis heute nicht unter Denkmalschutz und ist massiv gefährdet. Eine parlamentarische Anfrage zu diesem Bauwerk ist derzeit im Laufen. International existieren bereits viele Best-Practice-Beispiele, in denen vorbildhaft mit Bausubstanz aus dieser Zeit umgegangen wurde. Das Interesse Österreichs an seiner Nachkriegsmoderne ist dagegen verschwindend gering. Dabei ist das Hotel Intercontinental nicht nur architekturhistorisch relevant, sondern gleichzeitig auch ein wichtiges Zeitdokument – diente es doch als Propagandainstrument, in dem sich die Vorherrschaft der Amerikaner im Kampf der Systeme des Kalten Krieges manifestierte.

Dass als einziges disloziertes Zitat einer ehemaligen Bauikone der Nachkriegsmoderne der „imperial“ anmutende Luster der Intermezzo-Bar in den zukünftigen Neubau übersiedeln soll, ist beschämend. Mit dem zunehmenden Schwund und der groben Überformung dieser unterschätzten Bauten verliert das Stadtbild an Identität. Ist es nicht hoch an der Zeit, sich abseits vom viel beschworenen Canaletto-Blick mit dem baulichen Erbe der Zweiten Republik auseinanderzusetzen und eine zeitgemäße Denkmaldebatte zu führen?
Monika Platzer ist, nach einem Studium der Kunstgeschichte an der Universität Wien, seit 1998 im Architekturzentrum Wien tätig. Forschungsschwerpunkt: österreichische Architektur- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts.

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