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anthos 2017/04
Hochwasserschutz
anthos 2017/04
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Hochwasserrückhaltebecken Wohlen

Wasserrückhalt statt Durchleiten mit Vollausbau der Bünz im Siedlungsgebiet: Das 2017 fertiggestellte Bauwerk beeinflusst mit seiner Dimension das Erscheinungsbild, die Nutzungen und die Erlebbarkeit des sanft modellierten Landschaftsraums zwischen Waltenschwil und Wohlen.

Die Abflusskapazität der Bünz zwischen Wohlen und der Mündung in den Aabach in Wildegg war auf gut zehn Kilometern Fliessstrecke im Siedlungsgebiet ungenügend. So betrug das Schadenspotenzial bei einem hundertjährlichen Ereignis rund 30 Millionen Franken. Gegen 20 Brücken waren zu tief, 200 Hektaren Baugebiet lagen in Überflutungsflächen.

Im Evaluationsprozess für den umfassenden regionalen Hochwasserschutz im Bünztal wurden die drei generellen Prinzipien des Hochwasserschutzes – Durchleitung, Umleitung, Rückhalt – untersucht. Die Umleitung über einen Stollen ins Reusstal und die Durchleitung mit Vollausbau des Gerinnes für ein HQ 1001 in allen Gemeinden wurden aus Kostengründen, der Vollausbau aber auch wegen der grossen Auswirkungen auf die Ortsbilder, verworfen. So stand der Rückhalt als drittes Prinzip im Vordergrund. Insgesamt fünf Beckenstandorte wurden evaluiert und ­miteinander verglichen. Für die zwei favorisierten Standorte erfolgten im Anschluss vertiefte Studien. Die Wirksamkeit aufgrund der räumlichen Nähe zum grössten Schadenspotenzial und die geringere Überflutungshäufigkeit des Stauraums gaben den Ausschlag für das Becken vor Wohlen.

Grossbauwerk mit partizipativem Entscheid

Mit 590 000 Kubikmetern Stauvolumen ist das Hochwasserrückhaltebecken in der sanft fallenden Ebene zwischen Waltenschwil und Wohlen von grosser ­landschaftsgestalterischer Relevanz. Vor allem das Dammbauwerk tritt in Erscheinung. Dämme können Anfang und Endpunkt entweder in Hügelkuppen finden, oder sie laufen in sanft modellierten Ebenen langsam aus. In Wohlen liegt aufgrund des Mikro­reliefs eine Kombination dieser Prinzipien auf der Hand. Das Variantenstudium zeigte unterschiedliche Dammführungen bei vorgegebenem Rückhaltevolumen auf. Gewählt wurde im Rahmen des partizipativen Verfahrens jene Variante, welche Bautechnik, Zerschnitt von Kulturland, Ästhetik, ökologisches Potenzial, Funktionalität, Potenzial für die Naherholung und Akzeptanz in ein Gleichgewicht brachte.

Die Dammlänge beträgt 850 Meter, die maximale Höhe 3,80 Meter. Der Längsdamm begleitet die Bünz auf der rechten Uferseite. Er steigt langsam an und geht am höchsten Punkt ins Regulierbauwerk über. Damm, Bünz und Ufergehölz vereinen sich in ein räumlich prägendes Landschaftselement. Der Querdamm spannt sich zwischen dem Regulierbauwerk und dem Hügelzug des Rössligutes auf. Sein Abknicken entwickelt sich aus dem Relief des Hügels und der technischen Einbindungsmöglichkeit heraus. Mit der Zuspitzung zum Siedlungsgebiet erscheint der Damm weniger wuchtig in der Ansicht. Wie ein Scharnier zwischen den beiden Dammteilen liegt das Regulierwerk über der Bünz. Das Bauwerk ist als funktionale, zwei Felder aufweisende Betonbaute mit ritt­lings aufgesetzter Betriebswarte gestaltet.

Damit die Dammhöhe möglichst gering gehalten werden konnte, wurde der Damm für den Überlastfall als vollständig überströmbar konzipiert. Dadurch liessen sich im Vergleich zu einem konventionellen Dammbauwerk mit Dammscharte gut 1,50 bis 2 Meter Höhe einsparen. Die Dammböschungen des Erddammes sind mit Neigungen von 1:4 und 1:3 flach gehalten. Auch die geringere Dammhöhe und die flachen Böschungen verbessern die landschaftliche Einbindung.

Der Einstau des Beckens erfolgt dank einer automatischen Steuerung erst ab einem circa 20-jährlichen Hochwasserereignis. Bis zu einem Volumen von 30,5 Kubikmetern pro Sekunde fliesst die Bünz sicher und ohne Dämpfung durchs Siedlungsgebiet. Dieses Regime ist von Bedeutung, liegt doch mit der Bünzaue in Möriken ein Auenlebensraum, der regelmässige Überflutungen benötigt. Das übersteigende Volumen bis zum HQ 100 von 45 Kubikmetern pro Sekunde wird zurückgehalten.

Chance für neue Lebensräume

Die Revitalisierung und Verbreiterung der Bünz auf 800 Metern Länge bereichern das Landschafts­gefüge. Dank Strukturierung mit punktuellen, strömungslenkenden Massnahmen entwickelte sich in kurzer Zeit ein vielgestaltiges Gerinne mit Breiten- und Tiefenvariabilität. Eine abgesenkte Flutmulde bietet Lebensraum für Feuchtwiesen und Laichgewässer. Sie wird begrenzt durch den Querdamm und ein revitalisiertes Meliorationsgewässer. Luftseitig des Querdamms entsteht eine Fromentalwiese, welche zum Spielen genutzt werden kann. Alle Dammflächen sind extensiv als Magerwiesen genutzt.

Erholungsraum Bünz

Vor den Toren von Wohlen gelegen ist der Beckenraum ein beliebtes Erholungsgebiet. Vor allem der flach ausgebildete Zugang zur Bachsohle mit Spiel- und Erlebnismöglichkeiten zieht viele Leute an. Der Dammkronenweg und der Flurweg entlang der Bünz laden zu Rundwanderungen ein. Auf dem Damm spazierend bietet sich ein prächtiger Ausblick in die Voralpen. Verschiedene Sitzgelegenheiten laden zum Verweilen ein.

Miteinander – füreinander

Das partizipative Verfahren führte als Schlüssel zum Erfolg. Beim Variantenstudium waren alle betroffenen Gemeinden und die regionalen Planungsverbände in den Entscheidungsprozess involviert. Vor Ort erfolgte dann eine neue Zusammensetzung der Begleitgruppe mit Vertretungen aus Standortgemeinden, Landwirten und Naturschutz. Die Bevölkerung wurde laufend mit Projektvorstellungen, Flyern und Baustellenbegehungen informiert.

Bund, Kanton, nutzniessende Gemeinden und Versicherungen finanzierten das Bauwerk solidarisch. Die Gemeinden wurden im jeweiligen Verhältnis zum Nutzen hinsichtlich Reduktion der Hochwassergefährdung belastet.


Anmerkung:
In der Hydrologie bezeichnet «HQ» Hochwasser an Flüssen. «HQ100» ist ein statistisch gesehen alle 100 Jahre auftretendes Hochwasserereignis; ein Jahrhunderthochwasser.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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