Beitrag

nextroom fragt: Biennale speciale
nextroom fragt: Biennale speciale, Pressebild: Darko Todorovic

Das große, übergeordnete Thema zur 16. Architekturbiennale 2018 in Venedig ist „Freespace“. Prämissen für die Zusammenstellung und Arbeit der drei geladenen Teams des Beitrags im österreichischen Pavillon waren Kooperation und Koexistenz. Begriffe wie „Abweichung“, „Atmosphäre“ und „Schönheit“ materialisieren sich in einer dreiteiligen ineinander greifenden, konzeptionell und materiell vielschichtigen Rauminstallation. Kommissärin Verena Konrad, LAAC, Henke Schreieck und Sagmeister & Walsh im Interview mit Martina Pfeifer Steiner.

29. Mai 2018
Verena Konrad: Der Österreich-Beitrag „Thoughts Form Matter“ ist ein Plädoyer für eine gestalterische Praxis, die sich als ein Formulieren von Ideen versteht. Architektur als kulturelle Praxis setzt auf Inhalt statt auf gebaute Funktionsschemen. Der Inhalt ist eine Vision von Zusammenleben und das Vermögen, bestehende Regelwerke zu hinterfragen und neu zu erfinden. Im Streben nach diesem kontextuell immer wieder Neuen entstehen Dinge von Bedeutung. Im Kleinen wie im Großen. In Relation zum Vorhandenen. Im Rück- und Ausblick auf das, was denkbar ist. So haben sich die drei geladenen Teams sowohl mit dem räumlichen wie auch historischen Kontext der Biennale di Venezia und mit dem Generalthema „Freespace“ auseinander gesetzt, dem Ort und seinen Bezügen, mit der Biennale als institutioneller Größe, mit dem Pavillon, der von den BesucherInnen mitrezipiert wird.
Es war für uns ein schneller Entschluss hier räumlich zu werden, hier auch zu bauen und in der jeweiligen Profession zu agieren, das heißt als ArchitektInnen, DesignerIn und als Kuratorin das zu tun, von dem wir glauben, dass wir es gut können. Wir deuten „Freespace“ als räumliches wie auch ideelles Konstrukt, als komplex dynamisches System, als wandlungsfähige Sphäre, geprägt durch Koexistenz. Drei Rauminstallationen, die teilweise ineinander übergehen, materialisieren bzw. visualisieren zentrale Begriffe wie „Atmosphäre“, „Abweichung“ und „Schönheit“ als Ausformulierungen dieses Gedankenkonstrukts und laden die BesucherInnen ein, sich selbst in diesem Gefüge als AkteurInnen zu positionieren, und Haltung einzunehmen.


LAAC „Sphäre 1:50.000“

Kathrin Aste und Frank Ludin gehen stark auf den 1934 gebauten Pavillon ein. Zwei Jahre vor seinem Tod fügte Josef Hoffmann eine bogenförmige Gartenmauer hinzu. LAAC deuten diese Geste als Abweichung, als Revolutionieren des eigenen Entwurfs. Bezugnehmend auf diese Bogenform schreiben sie eine scheinbar euklidische Kreis-Spiegelfläche in den gesamten Pavillon, die sich schon am Eingang andeutet und im Garten auf einen wahrhaft glänzenden Höhepunkt zustrebt. Die radikale Inszenierung der verspiegelten Oberfläche dieses Boden-Körpers bedeutet eine räumliche Abweichung und lässt eine völlig neue Wahrnehmung des Ortes zu.

Katrin Aste: Wir haben diesen „Freespace“ nicht als Komfortzone verstanden, sondern als etwas sehr Vielschichtiges und Anspruchsvolles. Aus dem Manifest von Grafton Architecs zum Generalthema haben wir einen Satz sehr ernst genommen: „We see the earth as a client“ und in diesem Zusammenhang ein Projekt entwickelt, das die angesprochenen Begriffe Koexistenz und Kontext thematisiert. So ist die Sphäre konsequenter Bezugsraum für alle natürlichen und kulturellen Ereignisse. ArchitektIn zu sein bedeutet für uns auch, sich den Freiraum zu nehmen auf das Mögliche, das Potentielle, auf das Unbestimmte, Unerwartete, Unangepasste, das Eigenwillige, auf Kontingenz zu setzen. Freiraum ermutigt zum Widerstand gegen das Absolute und bedingt die Abweichung von der Norm.
Geometrisch bezugnehmend auf die Bogenform der Gartenmauer, misst der gewölbte, durchgängige Bodenkörper einen Radius von 128 Metern. Sei es nun eine Folge der Anwendung des Goldenen Schnitts im historischen Entwurf oder einfach purer Zufall, sie steht somit im Verhältnis von 1:50.000 zur Erde, die gekrümmte Flache ist also wie die Erde selbst ein Körper. Sie veranschaulicht einen Raum, in dem man sich sieht, wo man nicht ist und vergegenwärtigt jenen Ort, an dem man sich befindet. Sie krümmt, verzerrt, transloziert und ermöglicht einen maßstäblichen Sprung, einen Sprung in ein Außen, in ein Außerhalb des Gegebenen und Vorstellbaren. So wird der Spiegel zum Instrument der Abweichung anstatt der Symmetrie. Die Oberfläche der Sphäre ist eine verletzliche. Sie ist nicht nur reflektierend im Sinne optischer Wirksamkeit, sondern reagiert auch in ihrer Materialität auf atmosphärische Einflüsse wie Licht, Temperatur und Regen. Es entsteht ein gegensätzlicher Raum, ein verletzbarer, heißer und kalter Raum, der verschmutzt und zerkratzt. Ein Raum, der sich in seiner Übersteigerung jeglicher herkömmlichen Funktion widersetzt und gerade darin seine gesellschaftliche Funktion unterstreicht. Die eingeschriebene Sphäre schafft so einen neuen Kontext. Eine neue räumliche Konfiguration, die das Außen, Innen, Oben, Unten, Da und Dort auflöst. Die Folge ist eine Synthese, basierend auf der Anerkennung des Komplexen, Ambivalenten, Unbeständigen und Fragmentarischen. Durch dieses Verständnis von Raum werden Ort und Identität, werden Form und Materialität in Relation gebracht.


Henke Schreieck „Layers of Atmosphere“

In ihrer Rauminstallation nehmen Dieter Henke und Marta Schreieck die Symmetrie der zwei identen Räume des Hoffmann-Baus auf und tauchen sie in völlig unterschiedliche Atmosphären. Die begehbare Holzkonstruktion füllt den gesamten Raum und erst durch vertikale wie horizontale Begehung erschließen sich die Gegensätze: hell und dunkel, dicht und licht, konstruktiv und poetisch. Eine Brücke verbindet West und Ost. Symmetrie entsteht damit über die Eingangsportale plötzlich auch in der Vertikalen. Im Licht- bzw. Luftraum des Atriums wandelt man hier in die Atmosphäre des (fern-) östlichen Teiles, Papierschichten fallen aus den Oberlichten hinunter auf die Spiegelfläche, man schaut nach unten um das Oben zu sehen. Alles soll und darf begangen wie begriffen werden.

Marta Schreieck: Die Holzkonstruktion aus massiver Eiche besetzt mittig den Hauptausstellungsraum. Auf den ersten Blick ein simples Gestell, auf den zweiten irritieren die fehlende Durchgängigkeit der vertikalen und der Höhenversatz der horizontalen Stäbe innerhalb des quadratischen Rahmenkonstrukts. Dies ergibt Leerräume, welche eine Spannung erzeugen, wie Pausen in der Musik, andererseits eine differenzierte Maßstäblichkeit mit unterschiedlicher Raumdimension – einem Raumplan gleich. Für uns bedeutet „Freespace“ die Auseinandersetzung mit dem Raum an sich, mit der Beziehung der Räume untereinander und zum Außenraum. Es geht um die Qualität, um Raumsequenzen, Atmosphäre, Licht, Material, Oberfläche, Haptik und um das Erlebnis den Raum mit allen Sinnen erfahrbar zu machen, durch Begehung und Durchschreiten. „Freespace“ ist die Freiheit Vorgaben zu verändern und Qualitäten einzufordern. Wir wollen mit unserer Installation Atmosphären erzeugen, die berühren und Emotionen evozieren. Es sind Objekte, die auf Raum und Installation reagieren, Assoziationen erwecken und Bezugsfelder zu unserer Arbeit herstellen.
In Zukunft dürfen wir auch den öffentlichen Raum nicht nur als Außenraum verstehen. Wir denken, dass man diesen auch in die Gebäude hineinziehen, die Bauten öffentlich zugänglich machen muss, weil die Ressourcen knapper werden und es wäre adäquat, der Öffentlichkeit wieder etwas zurückzugeben, wenn gebaut wird!


Sagmeister & Walsh „Beauty = Function“

Zwei pinke Streifen auf der Spiegelfläche des Außenraums stellen sich als Verbindung in Form eines Istgleich-Zeichens der zwei abgedunkelten Räume mit Sitzmöbelrondo von Stefan Sagmeister und Jessica Walsh heraus. „Beauty“ und „Funktion“ verformen sich jeweils am Plafond in Lettern einer Videoprojektion. Die haptischen Erfahrungen machen hier andere, stellvertretend und virtuell. Hochtransformative Materialien wie Sand und „Slime“, visuell wie akustisch übersteigert, stimulieren in Absenz des eigentlichen Reizes.

Stefan Sagmeister: Schönheit hat für uns etwas mit dem Willen zur Gestaltung zu tun. Ein gemeinsames Merkmal guter Arbeiten ist, dass den Menschen, die dahinter stehen, die Formfindung ein großes Anliegen ist. Mit der These: „Beauty = Function“, stellen wir kein Regelwerk auf, sondern kommunizieren unseren Erfahrungswert. Wir verweisen damit auf die Notwendigkeit, ästhetische Bedürfnisse des Menschen als Grundbedürfnis anzuerkennen. Es braucht einen neuen ästhetischen Diskurs als kritische Praxis, einen Diskurs, der sich nicht selbst genügt, sondern Teil des Nachdenkens über die Qualität von Gestaltung und ihrer Wirkung ist. Ästhetik als Theorie der sinnlichen Wahrnehmung kann hier viel mehr leisten, als Beurteilung von Artefakten zu sein. Eine an Funktion und ökonomischer Effizienz orientierte Welt produziert ästhetisch konsumierbare Werbeträger, als Produkte, aber auch in Form von Gebäuden.
Das Istgleich-Zeichen ist eine Ausgleichsfläche, ein In-Beziehung-Setzen, eine Flache, in der Funktion und Ästhetik einander als Bilder begegnen. Welche Funktion hat Schönheit für das Leben von Menschen? Welche Funktion hat die Schaffung gestalterisch hochwertiger Räume für Gemeinschaft? Design hat den Anspruch, etwas zu machen das unterstützt, das subjektiv erfahrbar und erfassbar ist, einem menschlichen Maßstab im Denken und Fühlen folgt, ein Instrumentarium schafft, das das Spiel nicht selbst bestimmt, sondern hilft, Autonomie zu wahren. Es geht um die Betroffenheit des Subjekts, das Aktivieren eines Sensoriums, die Lust am Schauen und Fühlen, um eine Körperlichkeit im Räumlichen, die aber auch imaginiert sein kann.
Schönheit hat auch für den öffentlichen Raum große Bedeutung, wie das Beispiel der High Line – eine Parkanlage auf einer ehemaligen Hochbahn-Güterzugstrecke in Manhattan – zeigt. Mit viel Liebe wurde dieser Prototyp eines öffentlichen Raumes gestaltet und damit wird hier die Schönheit Zentrum des Erfolges: 600.000 Besucher hatte man erwartet und es sind aktuell 6 Millionen im Jahr! Zudem gab es dort in den sieben Jahren ihres Bestehens noch kein einziges Verbrechen oder Vandalismus. Das hat unserer Meinung nach durchaus mit der Schönheit in der Gestaltung zu tun!
»nextroom fragt« ist ein neues Format für die in der nextroom Architekturdatenbank vertretenen PlanerInnen und Planer, das Raum für eine übergeordnete Eigenpräsentation schafft. Fünf gleichbleibende Fragen laden ein, Einblicke in den Arbeitsalltag und die Bedingungen für Architektur zu geben - ungeachtet ob aus der Sicht junger oder arrivierter, großer oder kleiner Büros.

teilen auf

Schlagwort

nextroom fragt: