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Begegnung in der Oststation – materialnomaden verorten sich
Begegnung in der Oststation – materialnomaden verorten sich, Foto: Silvester Kreil

materialnomaden sind ein 2019 in Wien gegründetes interdisziplinäres Team. Von Andrea Kessler und Peter Kneidiger entwickelt, sind sie ein Zusammenschluss von HarvestMAP und Bauteiler. Ella Felber und Silvester Kreil fragten nach.

25. Januar 2022 - Ella Felber, Silvester Kreil
„Die Oststation ist das Ende eines Tunnels, in dem Kabel vorgespannt wurden, und Teil des historischen Bestandes am Kempelenpark in Wien. In wenigen Wochen wird es die Oststation so nicht mehr geben, denn die Zwischennutzung des Geländes läuft aus, und der Abriss steht an.

Dabei sollte als erstes ein “Stopp!” fallen. Denkt einmal nach, ob das wirklich abgebrochen werden muss. Wir sind fasziniert von der Geschichte, die ein Ort mitbringt. Das ist der Beginn unserer Arbeit. Welche Nutzung hatte das Gebäude? Welche Nutzung kann man für die heutige Zeit adaptieren? Welche Bauteile? Genau das verstehen wir als unsere Aufgabe als Planer:innen, ohne – tabula rasa – alles wegzuschieben. Viele dieser Gebäude bestehen aus Produkten, die noch lange nicht an ihrem Lebensende sind. Es hat die CO2 Belastung schon gegeben, ok, akzeptiert man, muss es aber unbedingt sein, dass man diesen Schaden dann noch vergrößert indem man abreißt, um dann eh wieder irgendetwas hinzustellen? Das ist eine Frage der Wertschätzung von Baukultur, mit allen ihren Werkzeugen: Handwerk, Materialien, und alle Disziplinen, die hineinspielen. Die Stadt ist eigentlich schon gebaut, wir müssen sie nur umbauen.

Am anderen Ende des Tunnels wurde die Weststation von unserer Ausführungsabteilung Bauteiler im angeleiteten Selbstbau zu einer Tischlerei umgebaut. Viele Elemente, die man hier herinnen sieht, sind wieder eingesetzte Bauteile: Fenster, Türen, Glasscheiben, Holz für Zwischenwände. Man könnte es als kleinformatiges Reallabor für Kreislaufwirtschaft im Bauen sehen: vom Abbruch bis zur Entstehung eines neuen Produktes. Die Prototypenentwicklung, die wir in unserem Atelier umsetzen, zeigt, dass sich die planende und die ausführende Seite miteinander austauschen, und voneinander lernen müssen. Ebenso das Handelsgewerbe, um Wertigkeiten in Bestandsmaterialien zu erkennen, und diese in Vermittlung zu bringen. Sodass wir sie als Baustoff erhalten und nicht zu Abfall werden lassen. Dieses Tun und die Widerstände, die es klarerweise gibt, von der Wirtschaft, von der Auftraggeber:innenseite, oder auch von den rechtlichen Randbedingungen, zwingen uns fast in die Neugestaltung der Arbeitsprozesse. Wir arbeiten daran, sie zu standardisieren, und herauszufinden, welche Materialien in welcher Menge im Kreislauf bleiben können, angefangen von Steckdosen, bis hin zu größeren Stahlbeton- oder Holzstrukturen. Es ist allerdings nicht einfach diese Umbauten und Produkte auch bewilligungsfähig zu machen. Diese Prozesse sind noch nicht ausgehandelt. Das räumt unseren Mitarbeiter:innen viel Gestaltungsmöglichkeit in der Entscheidungsfindung ein, und verlangt ihnen gleichzeitig auch sehr viel Flexibilität ab. In dem Sinne ist es eine agile Zusammenarbeit auf verschiedenen Verantwortungsebenen.

Ein großer Teil unserer Arbeit ist der Wissenstransfer. Wir erlernen gemeinsam mit Industriebetrieben, mit Architekturbüros oder auch der Stadtverwaltung den Umgang mit der gebauten Umgebung und bereits bestehenden Bauteilen. Dafür haben wir einige Tools entwickelt, die wir in diversen Projekten mit verschiedenen Unternehmen anwenden und professionalisieren, um Planungs- und Entwurfsgrundlagen zu schaffen. Wie setzten sich die Kosten in einem Bauvorhaben zusammen, und wie sind sie gereiht? Auch um die externalisierten Kosten, insbesondere für Materialien, so gering wie möglich zu halten, und eine Verantwortlichkeit der Bauteileigentümer:innen zu schaffen, die graue Energie ihrer Bauteile in den Kreislauf mit einzubeziehen. Diesen Mut, den wir täglich in unsere Unternehmungen einbringen müssen, genau diesen Mut braucht es in den Verwaltungsebenen, den braucht es auf der Auftraggeber:innenseite und den braucht es auch in den Industriebetrieben.

Für uns gibt es nichts Spannenderes als bestehende Gebäude zu verstehen und zu interpretieren, oder eine Industriehalle zu adaptieren. Oder einmal mit Investoren zusammen etwas zu bauen, sich wirklich hinzusetzen und das hands-on gemeinsam von Anfang bis Ende umzusetzen – das wäre ein Traumprojekt.“

materialnomaden sind ein 2019 in Wien gegründetes interdisziplinäres Team. Von Andrea Kessler und Peter Kneidiger entwickelt, sind sie ein Zusammenschluss von HarvestMAP und Bauteiler. Sie erarbeiten und zeigen den Mehrwert von kreislauffähigen Prozessen in der Baubranche, sind Teil eines europäischen Netzwerkes und Vorreiter:innen in Österreich.
»nextroom fragt« junge Architekt:innen. Sie wählen Orte aus, um dort mit
Ella Felber und Silvester Kreil über die Wichtigkeit und Dringlichkeit von Architektur zu sprechen. Warum macht Ihr Architektur? Wie wollt Ihr sie produzieren?

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