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Begegnung zwischen Landwirtschaft und Architektur – Theresa Reisenhofer verortet sich
Begegnung zwischen Landwirtschaft und Architektur – Theresa Reisenhofer verortet sich, Foto: Silvester Kreil

Theresa Reisenhofer, Gründerin von super tomorrow architecture

9. August 2022 - Ella Felber, Silvester Kreil
Auf dem selbst gestalteten und gebauten Holztisch steht eine Flasche vom eigenen Apfelsaft. Durch die Fenster der großzügigen alten Wohnküche sehen wir umzäunte Wiesen, und Schafe. Auf diesem Hof in der Oststeiermark treffen sich Familie, Landwirtschaft und Architektur.

„Mich interessiert das Planen und Bauen am Land viel mehr als in der Stadt. In alten Dorfstrukturen, wie dem Angerdorf, gab es in der Mitte einen gemeinschaftlichen Platz, oder offene Vorzonen zu den Häusern, davon kann man viel lernen. Heute bauen wir hingegen Punkthäuser mittig ins Grundstück, eingezäunt mit hohem Sichtschutz und Thujenhecken. Unser neoliberales System hat jede:n zu einer Insel werden lassen. Es gibt keine richtigen Dorfkerne, keine Gemeinschafts-Infrastruktur mehr. Gesetze, Raumplanung und Flächenwidmung müssen dahingehend endlich besser werden. Die Landschaft ist ein wichtiges Allgemeingut – für mich gilt: ‘alles ist Landschaft’. Statt Neubau-Einfamilienhaussiedlungen als Parzelle, Parzelle, Parzelle, könnten wir Ortskerne wieder dichter und gemeinschaftlicher gestalten, sozusagen ein Angerdorf 2.0. Mithilfe von Baukultur-Richtlinien, die tatsächlich sinnvoll sind, und größer angelegten Bebauungsplänen könnte ein kollektives Identitätsbewusstsein für das Dorf als Lebensraum geschaffen werden.

Eine überdimensionierte Villa zu planen interessiert mich nicht. Mir sind detailliert überlegte Projekte, in denen man gut leben kann, wichtiger. Neben sozialer Nachhaltigkeit, macht mir zirkuläres Bauen Spaß. Wir haben zum Beispiel einen alten Holzstall woanders abgebaut, hier am Hof neu aufgebaut, und die überschüssigen Bauteile für Garten, Geländer etc. verwendet. Ich nehme gerne Potentiale von Bestandsgebäuden, an die man im Neubau nicht denkt, in meine Entwürfe auf. Prinzipien in meiner Planung sind intensiv begrünte Flachdächer, das Bauen in Holz- und Ziegelbauweise ohne Styropordämmung, und so wenig Boden wie möglich zu versiegeln. Man müsste jedes Bauvorhaben anhand eines Klimakatalogs prüfen: werden Kriterien nicht erfüllt, wird nicht gebaut. Warum gelingt das beim Ortsbildschutz aber nicht beim Klima? Es stört mich, dass man als Architekt:in scheinbar ständig eine neutrale Haltung haben soll. Architektur ist immer politisch.

Ich bin derzeit selbstständig als technisches Ingenieurbüro für Innenarchitektur, und plane demnächst die ZT-Prüfung zu machen. Zukünftigen Angestellten möchte ich gute Arbeitsbedingungen bieten, mehr als den Mindestlohn zahlen und eine 30 Stunden Woche einhalten. Durch meine Wettbewerbserfahrung und gute Zeiteinteilung sind auch Wettbewerbe in einer regulären Arbeitswoche und ohne Überstunden schaffbar. Mit der Landwirtschaft komme ich dennoch auf 40-50 Arbeitsstunden. Home Office erlaubt es mir vom Hof aus zu arbeiten, und ist auch allgemein ein wichtiges Werkzeug, um den Pendlerverkehr zu verringern, was wiederum der Umwelt und dem Dorfleben zugute kommt.

Am Land bist du selbst als junge:r Architekt:in nicht nur eine Nummer. Wenn du ein Projekt überzeugend machst, bekommst du hier viel eher Vertrauen als in der Stadt. Als ‘Local’ wirst du schnell zu Wettbewerben geladen, die mache ich mit Vorliebe, und kollaboriere dafür derzeit mit anderen Büros. Das braucht Bereitschaft zur Flexibilität, denn ich bin durch die Landwirtschaft örtlich gebunden, und habe ein kleines Kind. Für mich und meine Kolleg:innen in ähnlicher Situation ist Social Media deshalb zur wichtigen Austausch-Plattform geworden.

Gleichzeitig zu arbeiten und ein Baby oder Kleinkind zu betreuen muss in der Gesellschaft und im öffentlichen Raum sichtbarer werden – auch für diese Nutzer:innen braucht es eine adäquate Planung. Mein Sohn ist bei jeder Besprechung sowie bei Architekturveranstaltungen dabei. Sichtbarkeit schafft Sensibilität und die braucht es dringend, auch in der Architekturszene.“

Im steirischen Feistritztal gründete Theresa Reisenhofer 2021 ihr Büro super tomorrow architecture. Sie sucht nach zeitgemäßen Architekturlösungen für den ländlichen Raum und seine Dorfstrukturen. Ihre Planungen sind Beiträge zur kollektiven Landschaft im Kontext der Region. In Zusammenarbeit mit rhp zt-gmbh konnten dieses Jahr Wettbewerbe für eine Aussichtswarte und einen Genossenschaftswohnbau gewonnen werden.
»nextroom fragt« junge Architekt:innen. Sie wählen Orte aus, um dort mit Ella Felber und Silvester Kreil über die Wichtigkeit und Dringlichkeit von Architektur zu sprechen. Warum macht Ihr Architektur? Wie wollt Ihr sie produzieren?

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