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Begegnung zwischen Umnutzungen – Stijn Nagels verortet sich
Begegnung zwischen Umnutzungen – Stijn Nagels verortet sich, Foto: Silvester Kreil

Stijn Nagels vor dem aufgestockten Wohnbau in der Friedrich-Inhauser-Straße – entstanden in Zusammenarbeit mit Christoph Scheithauer.

20. September 2022 - Ella Felber, Silvester Kreil
Wir spazieren vom Motel One an der Lehener Brücke, einem umgenutzten Bürohaus und eines der ersten Projekte, an dem Stijn Nagels in Salzburg mitgewirkt hat, zu einer kürzlich fertiggestellten Aufstockung eines Wohnbaus im Stadtteil Aigen.

„Ich glaube, die meisten Menschen würden eine ruhige, naturverbundene Atmosphäre, angenehme Raumtemperaturen und einen Ausblick schätzen, doch diese Qualitäten sind im Alltag oft fern. Da die Investor:innen hinter der Baubranche unbedingt schnell und viel bauen wollen, anstatt auf Lebensqualität zu achten, wird oft dort gebaut, wo man eigentlich nicht sollte – es ist laut und heiß, und was tut man? Man baut einen Turm mit Schallschutz und Klimaanlage, mit möglichst billigen Materialien und Arbeitskräften. Das zeigt, dass unsere Gesellschaft auf Symptombehandlung ausgelegt ist: Wir kapseln uns von selbst verursachten Problemen ab, anstatt diese an der Wurzel anzupacken. Die Baubranche ist die meist verschmutzende weltweit, doch weiterhin findet diese massive Bautätigkeit und Spekulation am Immobilienmarkt statt, während viele bereits gebaute Flächen leer stehen. Das geht in die falsche Richtung. Überspitzt gesagt: Die sauberste Architektur ist die, die nicht gebaut wird. Natürlich bin auch ich bereits für Neubauten verantwortlich, aber vor jeder Planung, sollte man sich fragen, braucht man das überhaupt? Könnte ich die Situation auch mit anderen Mitteln verbessern?

Es gibt eigentlich schon fast alles, man muss es nur nutzen und umdenken statt abzureißen und neu zu bauen. Deshalb arbeite ich sehr gerne mit bestehender Substanz. Die oftmals solide Basis bietet große Flexibilität. Hier braucht es eine generelle Bewusstseinsänderung, die lieber schon gestern als heute passiert wäre. Braucht man beispielsweise noch so viele Büro- und Verwaltungsgebäude wie früher? Oder könnte man diese zu Wohnraum in der Innenstadt umbauen?

Mir ist eine bescheidene, zeitlose Architektur wichtig, mit ehrlichen Materialien gebaut, die ich vom Entwurf bis zur Ausführung betreuen kann. Das Mindeste, was man unabhängig vom Budget als Architekt:in tun kann, ist, Räume zu gestalten, bei denen die Proportionen sitzen, die Zusammenhänge passen und der Grundriss funktioniert. Wenn ich ein Projekt (um)plane, strebe ich zudem ein möglichst breites Nutzer:innenspektrum und gesellschaftliche Durchmischung an. Das Projekt in der Friedrich-Inhauser-Straße, das gemeinsam mit Christoph Scheithauer entstand, ist eine Renovierung eines bestehenden Wohnbaus auf klimaneutralen Standard mit Erweiterung um 99 Wohnungen im teuren Stadtteil Aigen. Dieses Beispiel zeigt, dass es auch in einem nobleren Viertel möglich ist, geförderte Mietwohnungen mit hoher Qualität zu erhalten.

Mein Büro ist kleinstrukturiert, aber dynamisch aufgestellt, ich arbeite hauptsächlich alleine, aber hin und wieder auch gerne in Partnerschaften oder zusammen mit jungen Planer:innen. Dieser frische Wind ist sehr inspirierend für mich, und ich versuche, den Entwurfsprozess interaktiv und auf Augenhöhe umzusetzen, sodass es nicht allzu hierarchisch abläuft. Das ergibt eine gute Wechselwirkung. Mein Traumprojekt wäre eins, bei dem das gemeinsame Gut im Zentrum steht, wo auch Investor:innen einsehen, dass das die richtige Nachhaltigkeit ist. Es darf dabei ruhig um viel Geld gehen, solange der Gewinn nicht einseitig ist. Es braucht innovative Investor:innen, die sich trauen, Pilotprojekte zu starten. Daraus können neue Arbeitsgemeinschaften entstehen, die anders bauen wollen.“

Stijn Nagels ist ein belgischer Architekt, der in Salzburg lebt und arbeitet. Seine Projekte beschäftigen sich bevorzugt mit Bauaufgaben im Bestand, Umgestaltungen und Umnutzungen. Neben gebauter Architektur ist er im Vorstand der Initiative Architektur Salzburg und initiierte dort (mit Roman Höllbacher) den Stammtisch Next Generation.
»nextroom fragt« junge Architekt:innen. Sie wählen Orte aus, um dort mit Ella Felber und Silvester Kreil über die Wichtigkeit und Dringlichkeit von Architektur zu sprechen. Warum macht Ihr Architektur? Wie wollt Ihr sie produzieren?

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