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Begegnung am Neusiedler See – Nikolaus Gartner verortet sich
Begegnung am Neusiedler See – Nikolaus Gartner verortet sich, Foto: Silvester Kreil
1. November 2022 - Ella Felber, Silvester Kreil
„Der Neusiedler See, wie wir ihn kennen, ist ein artifizieller Naturraum. Das Seeufer, auf dem wir gerade stehen, ist nicht natürlich gewachsen, es wurde aufgeschüttet. Das ist ein exemplarischer Ort für die starken topographischen Veränderungen der letzten 150 Jahre. Der ehemals stark schwankende Wasserstand des Steppensees wurde durch menschliche Eingriffe stabilisiert, das Umland landschaftlich nutzbar gemacht, der Schilfgürtel entstand, und die touristische Kolonialisierung begann.

Im Zuge dieser Kolonialisierung entstanden viele unterschiedliche Bauweisen, die zeigen, dass es keinen Konsens gibt, wie man mit dieser Art von Landschaft umgeht. Das war der Anstoß für meine Untersuchung der Siedlungen innerhalb des Schilfgürtels und an der Uferkante. Historisch sind im See Pfahlbauten entstanden, Seebäder und ganze Dörfer. Nach und nach wurden diese durch massive Bauten auf aufgeschüttetem Terrain ersetzt. Alle Seebäder, wie Breitenbrunn oder Weiden, sind eigentlich künstliche Inseln. Der Umgang mit Grund und Boden zeigt, wie sich Architektur in die Landschaft integriert: Schüttet man auf, um sich den idealen Bauplatz zu schaffen, stellt dies einen gewaltsamen Eingriff dar; schlägt man hingegen nur Pfähle ein, kann Wasser unterhalb durchfließen und das Schilf bis zum Haus wachsen; trägt man den Pfahlbau später ab, bleiben nur die punktuellen Gründungspfähle über, der Naturraum mit seinen Potentialen wird kaum verändert. Letzteres zeigt einen sensiblen und zukunftsfähigen Umgang mit lokalen Gegebenheiten vor und prägt mein architektonisches Verständnis.

Jeder Neubau ist mit Ressourcenverbrauch und Müllaufkommen verbunden. Deshalb würde ich lieber subtraktiv planen: wegnehmen statt hinzufügen, um den Raum und den Ort zu verbessern. Ich hoffe, dass Umweltthemen zum Katalysator für neue Bauweisen und Wohnformen werden – entgegen der derzeitigen dualen Praxis mit Einfamilienhaus und Wohnblock. Die vielen Streckhöfe im Burgenland, beispielsweise, könnten zu Modellen durchmischter Strukturen werden, in denen mehrere Parteien arbeiten und wohnen.

Ich bin im Vorstand des Architekturraum Burgenland, um etwas für die Baukulturvermittlung auf regionaler Ebene zu tun. In meiner Funktion versuche ich an der Programmgestaltung inhaltlich und personell mitzuwirken und zeitgemäße Themen, die das Bauen am Land und die junge Generation betreffen, zu transportieren. Es wäre schade, wenn das enorme baukulturelle Kapital, wie Siedlungsstrukturen und Angerdörfer, durch das neoliberale ‘Jede:r-wie-man-Will’ verloren ginge. Gleichzeitig müssen die sozialen Herausforderungen junger Menschen beachtet werden. Im Burgenland stoßen Bauvorschriften leider häufig auf Unverständnis, da ist Vermittlung gefragt.

Derzeit arbeite ich für 40 Stunden in einem Wiener Büro und nur selten an eigenen Projekten. Wenn ich selbständig arbeite, ist mir neben der Planung die theoretische Auseinandersetzung und Grundlagenforschung wichtig. Nur gezielt jene Projekte anzunehmen, für die man geeignet ist, funktioniert als Strategie, um ein gutes Portfolio aufzubauen. Im Entwurf arbeite ich viel mit dem physischen Modell, auch zur Kommunikation auf der Baustelle. Es ist mir wichtig, den Raum zu sehen und spielerisch operativ Elemente einzusetzen und zu überprüfen. Ich würde mir so etwas wie die Flugscham bei Bauprojekten wünschen. Das würde zu einem sorgsameren Umgang mit Landschaft und Ressourcen führen.“

Nikolaus Gartner ist planender und forschender Architekt. Er organisiert und kuratiert als Vorstandsmitglied Veranstaltungen und Ausstellungen im Architekturraum Burgenland.
»nextroom fragt« junge Architekt:innen. Sie wählen Orte aus, um dort mit Ella Felber und Silvester Kreil über die Wichtigkeit und Dringlichkeit von Architektur zu sprechen. Warum macht Ihr Architektur? Wie wollt Ihr sie produzieren?

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