Bauwerk

Wien Museum
WINKLER+RUCK, Ferdinand Certov - Wien (A) - 2023

Muskelspiel im zarten Kleid

Das neue Wien-Museum am Karlsplatz wird eröffnet. Ein in großen Teilen gelungenes Weiterbauen der Fünfzigerjahre, mit stahlbetonierter Wucht im Inneren und Eleganz in der Fassade – und einem unglücklich überdimensionierten Eingang.

2. Dezember 2023 - Maik Novotny
Dreieinhalb Jahre lang war das Wien-Museum am Karlsplatz die vielleicht öffentlichste Baustelle der Stadt. Das Ausräumen, der Bauzaun, der Abbau der Fassade, der Aufbau des 1150 Tonnen schweren Stahlgerüsts neben der Karlskirche, dessen Einkleidung in rauen Beton, all das ließ sich wie auf einer Bühne mitverfolgen und wurde vom Publikum kommentiert. Eine bewusste Entscheidung, den Prozess des Umbauens nicht, wie in Wien üblich, hinter schönen Schleiern zu verbergen. Als der Bau von Oswald Haerdtl zwischendurch auf seine osteoporotischen Knochen von Stahlbeton und dünnem Mauerwerk reduziert war, schrieben die Zeitungen von „Ruine“, und nicht wenige Passanten meinten, jetzt könne man den Bau auch gleich abreißen. Tat man natürlich nicht.

Jetzt ist die Baustelle abgeschlossen, die Exponate der Dauerausstellung sind eingezogen, am 6. Dezember wird termingerecht eröffnet. Das „Wien Museum Neu“ zeigt eine selbstbewusste Präsenz zwischen den Nachbarn Künstlerhaus, Musikverein und der alles dominierenden Karlskirche.

Zum ersten Mal, denn der Ursprungsbau von Oswald Haerdtl, im April 1959 eröffnet, wirkte immer etwas verzagt, wie ein Tourist vom Stadtrand, der sich ins Zentrum verirrte. Mit seinen Fensterreihen, dem Ausstellungsbetrieb eher hinderlich, ähnelte es mehr dem Verwaltungsbau einer kleinen Gewerkschaft als einem Museum.

Moderat modern

„Der Bau ist bis heute ein ungeliebtes architektonisches Kind der Stadt“, urteilte der Kritiker Friedrich Achleitner in seinem Standardwerk zur österreichischen Architektur. „Die frühen Fünfzigerjahre waren eine denkbar schlechte Zeit für den Bau und die Konzeption eines Museums.“ Dafür spielte das Haus seine Qualitäten im Inneren aus, dessen handwerkliche Details ein erstes Wiederaufblühen von Eleganz in der frühen Nachkriegszeit versprachen. Es war „moderat modern“, wie es 2005 eine Ausstellung im Wien-Museum nannte. Solide statt revolutionär. Spätere Umbauten verwässerten die Intention Haerdtls allerdings.

Nach langwierigen Standort-Debatten wurde beschlossen, das Museum am Karlsplatz zu belassen, der 2013 beschlossene und 2015 durchgeführte Wettbewerb sah die dringend nötige Erweiterung der Ausstellungs- und Lagerflächen vor. Es war die Ära, in der sich Architektinnen und Architekten gerade bei Museumswettbewerben in Spektakel-Großformen überboten, doch gewann unter den 274 internationalen Einreichungen ein relativ moderater Entwurf. Das Team aus Roland Winkler, Klaudia Ruck und Ferdinand Certov stellte Haerdtl keinen Konkurrenten vor die Nase, sondern setzte ihm einen maßgeschneiderten Deckel auf.

„Ich denke, wir haben Oswald Haerdtl lieben und schätzen gelernt“, erinnert sich Roland Winkler. „Wir wollten das, was uns das Gebäude mitgeteilt hat, nicht verstecken oder verbauen, sondern betonen, unterstreichen, vielleicht sogar ein bisschen zelebrieren. Ein Haerdtl in der zweiten Reihe war für uns keine Option. Wir wollten ihn wieder nach vorne holen, sozusagen in die energetische Präsenz des Karlsplatzes.“

Energetische Präsenz

Die Respektsbekundungen vor Haerdtl waren glaubhaft, und das zeigt sich jetzt im Ergebnis – vor allem in der Arbeit mit dem Material. Die alt-neue Fassade beantwortet die Frage, wie viel Originalsubstanz in einem Denkmal stecken muss, wohlüberlegt. Die in den 1980er-Jahren ersetzten Steinplatten wurden durch hellen Kalkstein ersetzt, der dem ursprünglichen Charakter nahekommt. Die Fenster-Trilogie aus Aluminium, grauem Kalkstein und blaugrauem Marmor wurde harmonisch-historisch abgestimmt, die denkmalgeschützte Stiege im Inneren elegant mit den heutigen Normen in Einklang gebracht, an sich eine Unmöglichkeit.

Doch die „energetische Präsenz ist vor allem den zwei neuen Geschoßen zu verdanken, die das Museum endlich zu angemessenem Selbstbewusstsein im Stadtraum verhelfen. Die Fassade der ganz oben thronenden Halle für Wechselausstellungen, verkleidet in Sichtbeton mit unregelmäßig geriffelten vertikalen Graten der Bretterschalung, verbindet rurale Handwerklichkeit mit urbaner Industrie. Im offiziellen Wording ein „Schwebegeschoß“, weil im Wettbewerb eine Aufstockung nicht gewünscht war. Zwar können tausend Tonnen Stahl nicht schweben, doch die Entscheidung, dem Altbau keinen Zweitbau aufzusetzen, sondern einen oberen Abschluss zu geben, war richtig.

Während sich dieser Kubus ganz nach innen wendet, ist das darunterliegende verglaste Fugengeschoß das große Geschenk an die Wiener, denn von hier aus lässt sich die unklare Gegend namens Karlsplatz erstmals visuell erfassen. Selfies von hier werden künftig die sozialen Medien fluten, so viel ist sicher.

Dass von Schweben wirklich nicht die Rede sein kann, spürt man sofort, wenn man den ehemaligen Lichthof im Herz des Museums betritt. Hier wird die ganze Last von Stahl, Beton, Besuchern und Exponaten mit solch sichtbarer Wucht mitten durch Haerdtl und 40 Meter tief in den Wiener Boden transportiert, dass man die stählernen Muskelstränge in den massiven Betonwänden ächzen zu hören glaubt.

Das neue Stiegenhaus, das als Halbzylinder oben in den Raum hineinragt, ist ein skulpturaler Bonus dieses Festivals der Lastabtragung. Das ist visuell beeindruckend – und doch wünscht man sich beim erlebnisdichten Gehen durch die Räume zwischen diesen Massen, dass diese um 20 Prozent größer wären. Viel Luft bleibt, trotz einer Fast-Verdopplung der Ausstellungsfläche, nicht.

Diese innere Hochverdichtung soll der neue Vorbau am Karlsplatz ausbalancieren, doch tut er dies mit einem Zuviel an Leerraum. Mit seinen großen Flächen aus finsterem Sonnenschutzglas wirkt der übergroße Kubus wie das Entree einer südamerikanischen Bank und bringt mit seiner Grobheit die von Winkler, Ruck und Certov fein austarierte Maßstäblichkeit des betonüberschwebten Haerdtl-Baus durcheinander, im Inneren degradiert der überhöhe Raum das sorgsam polierte alte Fifties-Portal zum Schlupfloch.

Hier gilt künftig: Augen zu und durch, denn nach diesem bombastischen Auftakt wird das Ineinandergreifen von Alt und Neu zur idealen Entsprechung des Selbstverständnisses eines städtischen Museums.

[ Eine Publikation zur Architektur des Hauses ist bei Müry Salzmann erschienen. ]

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