Bauwerk

Wien Museum
WINKLER+RUCK, Ferdinand Certov - Wien (A) - 2023

Neues Wiener Original

Nach drei Jahren Umbauzeit öffnet am Donnerstag das neue Wien-Museum seine Tore. Die umfassende und sehr dichte Dauerausstellung erzählt die Geschichte der Stadt mit modernen Zugängen und erfrischender Gestaltung. Der Eintritt ist frei!

7. Dezember 2023 - Katharina Rustler
Um zu den großen Highlights zu gelangen, muss man sich etwas gedulden. Die neue Dauerausstellung des Wien-Museums beginnt chronologisch mit den ersten Siedlungen auf dem heutigen Stadtgebiet von vor rund 8000 Jahren. Ein digitales Modell der Stadt zeigt das rasante Wachstum im Zeitraffer: von Vindobona über den Bau der Ringstraße, die Donauregulierung bis hin zur Errichtung der Gemeindebauten sowie zu modernen Erweiterungen.

Ein sehr komprimierter Überblick über den Zeithorizont der umfassenden Präsentation, die den treffenden Titel Wien. Meine Geschichte trägt und in vielerlei Hinsicht für alle gemacht ist. Ihre Neuaufstellung gilt als Herzstück des drei Jahre lang umgebauten Stadtmuseums, das dieser Tage seine Wiedereröffnung feiert. Am Mittwochabend konnten erste Interessierte ins Haus, ab Donnerstag ist das Museum regulär geöffnet. Wobei es für den Andrang in den ersten vier Wochen Timeslots gibt, wie Direktor Matti Bunzl ankündigte.

Durch die moderne Erweiterung des denkmalgeschützten Gebäudes konnte die Museumsfläche von 6900 auf 12.000 Quadratmeter verdoppelt werden. Dabei verteilen sich die etwa 1700 präsentierten Objekte der Dauerausstellung (auf 3300 Quadratmetern) auf drei Etagen. Über der frei zugänglichen Terrasse sowie dem Café thront das neue „Schwebegeschoß“, in dem wechselnde Sonderausstellungen stattfinden werden.

Dort wird man sich ab Februar 2024 dem Architekten der Karlskirche, Johann Bernhard Fischer von Erlach, widmen und anschließend die Präsentation Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann zeigen, die in der Alten Nationalgalerie in Berlin Erfolge feierte. Im Vergleich zur Dauerpräsentation muss das Publikum hier wie gewohnt Eintritt zahlen. Das restliche Museum ist kostenlos zu besichtigen – ein Novum für Österreich. Der gestiegene Budgetbedarf für die nächsten fünf Jahre wird noch erarbeitet, wie es heißt. Für 2024 stehen 27,5 Millionen Euro zur Verfügung, wobei ein Teil aus eigenen Rücklagen stammt.

Der freie Eintritt ist nicht nur ein demokratischer Schritt, um das Haus zugänglicher zu machen, sondern auch ein pragmatischer. Er ermöglicht es dem Publikum, die sehr umfassende Dauerausstellung mehrmals zu besuchen: Wenn man diese zügig besichtigt und dennoch Zeit haben möchte, um auf Details einzugehen, sollte man zwei bis drei Stunden einplanen.

So wirken die ersten Räume im Erdgeschoß, die frühe geologische Fundstücke sowie Ausgrabungen zeigen, etwas gedrückt und verwinkelt. Es benötigt ein paar Augenblicke, um mit der Dichte an Objekten zurechtzukommen. Zwar gewöhnt man sich an sie – sie setzt sich aber im gesamten Haus fort. Zahlreiche Heiligenskulpturen aus Kalksandstein, die einst am Nordturm des Stephansdoms platziert waren, weisen den Weg durch das Mittelalter und die Renaissance. Folgt man ihnen, bietet sich durch Öffnungen in der Decke der Blick in die große Halle.

Inklusiv, kritisch und aktuell

Dort warten die großen Kaliber des Museums. So schweben eine Pferdekutsche der Wiener Bürgermeister, der ikonische Südbahnhof-Schriftzug sowie der zehn Meter lange Wal aus dem Wurstelprater meterhoch in der Luft. Darunter tummeln sich die Originalfiguren des Donnerbrunnens, die zu den wertvollsten Objekten der Sammlung zählen.

1739 entwarf der Bildhauer Georg Raphael Donner den zentralen Brunnen auf dem Mehlmarkt, dem heutigen Neuen Markt. Etwa 100 Jahre später mussten alle Figuren wegen ihrer empfindlichen Blei-Zinn-Legierung durch Bronzekopien ersetzt werden. Warum man die Flussskulpturen nun nicht zum gesamten Ensemble arrangierte, sondern auf einzelnen Sockeln verteilt zeigt, bleibt fraglich.

Ab da erstreckt sich die Schau von Barock und Aufklärung über Biedermeier hin zur Zeit des Baus der Ringstraße – in einem der gelungensten Säle. In dem altrosa getünchten Ambiente vereinen sich Exponate einer Zeit, in der Wien gedieh und boomte. Nicht nur Gemälde von Tina Blau oder Hans Makart berichten davon, sondern auch Alltagsobjekte wie Kleider oder ein erstes Wasserklosett.

Auffallend sind die spielerischen, partizipativen und inklusiven Zugänge, die sich durch die gesamte Dauerausstellung ziehen. So gibt es immer ausreichend Informationen, die durch ergänzende Stationen vertieft werden können. Einzelne Bereiche sind bewusst für Schulklassen gestaltet. Anhand bestimmter Personen – beispielsweise Kaiserin Maria Theresia – werden zeitliche Phänomene aufgegriffen und anhand von Diagrammen oder Zeitstrahlen eingeordnet. Wie viele Herrscherinnen gab es im Europa des 18. Jahrhunderts?

Nach dem Kapitel Wien um 1900, wo Gemälde von Gustav Klimt oder Egon Schiele zu sehen sind, folgt leider ein zu abrupter Übergang hin zum Ersten Weltkrieg und der Zeit des Roten Wien. Hier wollte man zu viel auf zu wenig Raum. Dieses Tempo zieht sich weiter, wobei das Kapitel zum Zweiten Weltkrieg ausführlich gestaltet wurde. Eine Fassadenbeschriftung erinnert an das Schicksal des jüdischen Juweliers Hans Grünsfeld, dessen Geschäft in der Favoritenstraße „arisiert“ wurde.

Generell werden aus heutiger Sicht problematische Aspekte benannt und in Kontext gesetzt. Anhand eines Prunksessels von Otto Wagner (samt versteckter Botschaft) für den umstrittenen Wiener Bürgermeister Karl Lueger wird beispielsweise ohne Umschweife dessen Bezug zum Antisemitismus behandelt – und direkt auf heutige politische Diskussionen verwiesen.

Anders als die ehemalige Dauerschau endet die Neuaufstellung in der Gegenwart mit Themen wie Migration, Umwelt und Soziales. Menschen, die in Wien leben, kommen zu Wort, alltägliche Objekte wie Protestschilder oder ein Foodora-Rucksack stehen für gesellschaftliche Aspekte. So findet sich das Publikum in einem Dschungel aus Fragestellungen wieder, denen sich die Stadt in Zukunft widmen muss: Wie leben wir? Wie gehen wir miteinander um? Wer sind wir?

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