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Wie wir künftig wohnen könnten
Der Standard

Gemeinschaftsküche, Jeansdämmung und arabischer Luftbrunnen – das Wesen von Wohnhäusern könnte sich in Zukunft sehr verändern. Neue Einfamilienhäuser wird es eher keine mehr geben, so die Einschätzung der befragten Expertinnen und Experten.

22. Dezember 2023 - Julia Beirer
Es wird kein Neubau sein.“ Diese Antwort kam von allen Experten und Expertinnen, die DER STANDARD nach dem Haus der Zukunft befragt hat.  Das Haus der Zukunft existiert bereits, ist sich Madlyn Miessgang sicher. Sie hat Architektur studiert und forscht nun am Future Lab der TU Wien. „Der Bestand ist eine Ressource, die wir adaptieren und nutzen müssen“, sagt sie.

Dass es sich dabei um ein Mehrparteienhaus handelt, ist für Miessgang klar. „Das Einfamilienhaus ist ein Auslaufmodell“, sagt sie,  „das wird sich mit den Ressourcen und auch finanziell nicht mehr ausgehen.“ Dafür werde Gemeinschaft in Zukunft eine tragende Rolle spielen.

Gemeinschaftsräume

Die Pflege von Älteren und Kindern, gemeinsames Lernen, Spielen und auch Kochen könne in Gemeinschaftsräumen stattfinden. So würde Platz im privaten Bereich eingespart, Wohnraum generell verdichtet und effizienter genutzt. Es sei zu hinterfragen, ob künftig jede Wohnung eine eigene Küche brauche, vielleicht genüge auch eine Gemeinschaftsküche für manche.

Manche Gemeinschaftsnutzungen verteilen sich zudem nicht nur innerhalb eines Hauses, sondern können sich auch auf ganze Grätzel erstrecken. Miessgang: „Das Haus der Zukunft muss über die eigene Grundstücksgrenze hinausdenken.“

Flexible Grundrisse

Zudem brauche es auch die Möglichkeit flexibler Grundrisse, damit sich das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner darin verändern kann. 

„In einem Gebäude muss alles möglich sein“, sagt auch Architekt Thomas Romm. Am „nutzungsoffenen“ Bauen werde kein Weg vorbeiführen – und das sind nicht die einzigen Veränderungen, die die Gebäude der Zukunft mit sich bringen.

CO₂-Speicher

Verbundwerkstoffe, sprich Stoffe, die aus mehreren Materialien bestehen, werden laut Romm immer weniger. Stattdessen werde künftig noch mehr auf massive und monolithische Konstruktionen gesetzt. Die Vorteile: Sie sind gut rückbaubar und bieten die Möglichkeit, Wärme zu speichern – und damit auch die Möglichkeit, das „Übel der Techniklastigkeit unserer Gebäude zu überwinden“.

Für Romm ist die Langlebigkeit der Gebäude – und nicht der alle Stoffe bestmöglich rezyklierende Abbruch – die zentrale Voraussetzung für klimagerechtes, kreislauffähiges Bauen. Für den Architekten ist ein Abbruchverbot beziehungsweise das Einholen einer Abbruchgenehmigung unerlässlich – diese ist auch in der Kreislaufwirtschaftsstrategie des Klimaschutzministeriums angekündigt.

Als Architekt wolle Romm zwar, dass auch in Zukunft neu gebaut werden darf – mit diesen Bauten müsse aber Klimareparatur betrieben werden. „Wichtig ist, den Schaden nicht nur zu begrenzen, sondern Gutes zu tun.“ Gebaute Strukturen können CO₂ nämlich über Jahrhunderte speichern. In allererster Linie eigne sich Holz, sofern es nicht verbrannt wird. „Das muss unbedingt verhindert werden“, sagt Romm.

Doch auch in Betonhäusern werden wir in Zukunft nachhaltiger wohnen. Denn der Baustoff könnte schon bald eine weitaus bessere Klimabilanz haben. Daran arbeitet zumindest ein Forschungskonsortium in Österreich. Dort hat man zunächst den Zementanteil reduziert und nun in einem weiteren Schritt verkohltes Altholz hinzugefügt. Der sogenannte Performancebeton verbraucht verglichen mit konventionellem Beton 80 Prozent weniger an CO₂-Emissionen.

Jeans-Dämmung

Um die Temperatur konstant zu halten, spielt die Dämmung eine zentrale Rolle. Bereits in den vergangenen Jahren wurde in Österreich mehr gedämmt – Tendenz weiter steigend. Während der Großteil noch zum günstigsten Schaumstoff, gefolgt von Mineralwolle, sprich Stein- und Glaswolle, greift, könnte sich das in Zukunft ändern. Architekt Peter Schubert tüftelt nämlich bereits an Alternativen.

In den vergangenen Jahren hat er sich mit Stroh beschäftigt, seit Dezember widmet er sich alten Jeans. „Sie bestehen zu mindestens 95 Prozent aus reiner Baumwolle und wärmen gut, darum tragen wir im Winter auch Baumwollkleidung“, sagt der Architekt. Zudem habe Baumwolle mit 450 Grad eine hohe Zündtemperatur. Der Architekt geht davon aus, dass die Entflammbarkeit zudem von 450 auf 1000 Grad mit nur einer Behandlung erhöht werden kann. Doch schon jetzt, ist sich Schubert sicher, erfüllen die zerrissenen Jeans die Anforderungen im Innenausbau.

Da die Herstellung von Baumwolle sehr ressourcenintensiv ist – eine Jean benötige in etwa 8000 Liter Wasser –, wäre es „absurd“, frische Baumwolle als Dämmstoff zu verwenden. Eine Weiterverarbeitung von Jeans zu Reißwolle wäre hingegen klimaschonend.

Das Forschungsprojekt Dämmstoff Himmelblau soll nun beweisen, dass recycelte Jeans der bessere Dämmstoff sind. Vorbild ist laut Schubert ein Projekt in den USA, wo die sogenannte Ultratouch-Jeansdämmung bereits im Baumarkt verkauft wird. „Dort wollen wir auch hin“, sagt Schubert.

Sanierung

Da künftig neben dem Halten von Temperaturen auch die Kühlung von Gebäuden wichtiger wird, blickt Architekt Romm auch in Länder, die von jeher hohen Temperaturen ausgesetzt sind. Künftig könnten auch in Österreich arabische Luftbrunnen verbaut werden. Dabei strömt Luft durch das Erdreich oder unterirdische Hohlräume und zurück in den Wohnraum, wo die Temperatur konstant gehalten werden kann. Eine Imitation davon gab es bereits in den Gründerzeithäusern in Wien.

Damit Gebäude künftig thermisch optimiert und damit der Energiebedarf gesenkt wird, braucht es laut Heinrich Schuller künftig den Beruf eines Sanierungscoachs. Dieser würde planen, die Baustelle koordinieren und sich um Förderungen kümmern.

Unerlässlich sei zudem, dass Häuser künftig in ihre Einzelteile zerlegt und diese wiederverwendet werden können. Dämmstoffe, Verkleidung, Fassade – einfach alles soll auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden können. Derzeit gebe es zwar die Möglichkeit, etwa Fenster zerstörungsfrei auszubauen, es werde allerdings selten gemacht, weil die Technik schlicht zu teuer sei. „Der Modulbau ist nichts Schlechtes“, sagt Schuller. Im Gegenteil, dadurch könne die Qualität auch besser werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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