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Die Postsparkasse in Budapest: Der Gaudí des Ostens
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Österreich hatte Otto Wagner, Spanien Gaudí und Ungarn Ödön Lechner. Der Kassasaal seiner Postsparkasse in Budapest wurde lange als Möbellager genutzt, bis man ihn rekonstruierte: Die Bankschalter wurden neu angefertigt, die Holzbänke durch moderne Sitzmöbel ersetzt. Nun ist der Saal ein Kundencenter.

22. Dezember 2023 - Harald A. Jahn
Das Jahr 1896 war bedeutsam für Budapest: Das 100-Jahr-Jubiläum der Landnahme der ungarischen Stämme wurde gefeiert und im Liget, dem Stadtwäldchen, eine große Landesausstellung verwirklicht, mit einem eklektischen Schlösschen als Zentrum. 1873 waren Buda und Pest vereinigt worden, wie in Wien formte eine „Gründerzeit“ die Großstadt neu. In diesem Taumel wurde das „europäische Entwicklungsland“ zu einem Land manch falscher Träume, aber auch echter Möglichkeiten, die ungelösten Probleme der Ethnien schwelten unter der Oberfläche, überlagert vom Bauboom.

Nicht nur im Liget entstanden historisierende Ausstellungsbauten, ein Gebäude war aber ganz anders: das neue Museum für Kunstgewerbe, entworfen von Ödön Lechner, dem „Gaudí Osteuropas“. Seine farbenfrohen, organischen und gesamtheitlichen Entwürfe waren so irrational aufwendig wie die des Kollegen, doch arbeiteten sie unabhängig voneinander; auch charakterlich unterschieden sie sich. Anders als der tief religiöse Gaudí, der sein letztes Lebensjahrzehnt fast nur der Sagrada Familia widmete und sich sogar dem Zölibat verschrieb, war Lechner ein Lebemann und liebte es noch als alter Herr, mit den Straßenmädchen zu scherzen. Zufällig verstarben beide an einem 10. Juni, an dem heute der „Weltjugendstiltag“ gefeiert wird.

„Aber die Vögel werden es sehen!“

Lechner hatte in Paris den neuen Stil des Art Nouveau kennengelernt und sah in ihm die Möglichkeit, einen eigenständigen ungarischen Baustil zu schaffen. Ab 1893 entstanden seine Budapester Hauptwerke: das Kunstgewerbemuseum, die Ladislauskirche, das Geologische Institut und die Postsparkasse. Dann geriet er wegen der teuren Dekorationen immer stärker unter Druck; gefragt, ob man zumindest die von der Straße nicht sichtbaren Teile der Dächer unbedingt mit der teuersten Keramik eindecken müsse, antwortete er: „Aber die Vögel werden es sehen!“

Gaudí baute für Gott, Lechner für die Vögel – und für sein Land, für das er eine moderne Nationalarchitektur schaffen wollte, mit orientalischem Einschlag für ein Volk, das tausend Jahre zuvor aus dem Osten nach Europa eingewandert war. Lechner stammte aus einer alten ungarisch-deutschen Familie – fast alle Architekten des betont nationalistischen Jugendstils waren entweder deutscher oder jüdischer Herkunft.

Dabei gab es damals bereits ein östlich geprägtes Gebäude mit byzantinisch-maurischen Anklängen und glasierten Ziegeln: Ausgerechnet Otto Wagner hatte hier 1873 ein Frühwerk verwirklicht, die Synagoge der orthodoxen Juden in der Rumbach utca; später wollte er nicht daran erinnert werden. Lechners Frühwerke ähneln dagegen den Palais der französischen Renaissance, wie das erst unlängst zum Luxushotel verwandelte Ballettinstitut auf der Andrassy út 25 gegenüber der Oper; mit den bunten Fliesendekorationen am Thonet-Haus in der Vaci út näherte er sich 1889 der Sezession ungarischer Art. Die große Wende zu seinem typischen Stil kam 1890/91 mit der Arbeit am Kunstgewerbemuseum.
Bienen als Symbol für die Sparsamkeit

Dann entstanden die Meisterwerke: 1899 das Geologische Institut mit dem blauen Keramikdach, zwei Jahre später die Postsparkasse als Krönung seiner Arbeit – kurz vor ihrem Wiener Pendant, mit dem Otto Wagner nun bei seinem typischen Stil angekommen war. Beides sind konstruktiv völlig zeitgemäße Bauwerke aus Stahlbeton, die äußere Gestaltung könnte aber kaum unterschiedlicher sein. Die kühle Postsparkasse in Wien mutierte inzwischen zur Universität, das bunte Pendant in Budapest wurde Teil der Nationalbank, damit passen Lechners Dekorationen auch weiterhin: Bienen als Symbol für die Sparsamkeit streben Bienenstöcken zu, die auf der Attika des Hauses thronen. Sie sind aus Pyrogranit, einem von Vilmos Zsolnay erfundenen frostfesten Keramikwerkstoff. Den Nektar liefern die Blumenmosaike auf den weißen, wenig plastischen Verputzflächen, die relativ glatten Fassaden sind den schmalen umgebenden Straßen angepasst.

Das Dach ist an den Schatz von Nagyszentmiklós angelehnt, ein Goldfund aus der Awarenzeit, der von Ungarn als identitätsstiftendes Erbe der Steppenvölker betrachtet wurde: Die Gestaltung ist so prachtvoll wie der Rest des Gebäudes, über den grün und gelb glasierten Ziegeln der Giebelschmuck aus Blumenranken, Stierköpfen und Schlangen – ein Vogel müsste man sein!

Früheres Herzstück des Hauses war der Kassasaal, gekrönt von einer Kuppel aus einer Stahlrahmen-Gitterkonstruktion: In das Tragegerüst waren sechseckige, wabenförmige Glassteine eingelegt und ließen Licht in die darunter liegende Halle, auch hier die Anspielung auf Bienenstöcke. Die Kuppel war allerdings etwas zu avantgardistisch und musste bereits in den 1930er-Jahren nach Feuchtigkeitsschäden abgetragen und durch ein schlichtes Glasdach ersetzt werden.

Märchenhafte Lichteffekte

Der Jugendstil war als Erinnerung an die Monarchie unmodern geworden, der Saal wurde vereinfacht, Lechners Mobiliar entsorgt. In den jüngsten Jahren wurden hier Möbel gelagert, bis entschieden wurde, ihn zu rekonstruieren – seit September 2023 dient der ehemalige Kassasaal als Kundencenter für den Vertrieb staatlicher Wertpapiere und zur Betreuung institutioneller Klienten. Beim Umbau wurden die Erweiterungen in den Innenhof entfernt und der Saal wieder zu einem einheitlichen harmonischen Raum.

Die historischen Bankschalter wurden neu angefertigt, die verloren gegangenen Holzbänke durch moderne Sitzmöbel ersetzt – der Altbestand hätte heutigen Anforderungen wohl nicht entsprochen. Die Kuppel in ihrer ursprünglichen Ausführung wurde nicht rekonstruiert; die neue Glaskonstruktion folgt zwar etwa der historischen Form, ist aber zeitgemäß. Trotzdem schade: Einst wurden vor allem die märchenhaften Lichteffekte der Wabenkonstruktion bewundert.

Leider kann die Postsparkasse nicht besichtigt werden, was derzeit für fast alle Budapester Bauten Lechners gilt. Die Sanierung des Kunstgewerbemuseums wird noch Jahre dauern, Führungen durch das Geologische Institut sind nur nach Voranmeldung möglich. Die Renovierung dieses Bauwerks rückt nun auch in den Fokus, nachdem ein Teil der Dachbekrönung abgestürzt ist: Auf der Spitze des Mitteltraktes tragen vier Riesen aus Pyrogranit die Weltkugel – die Risse in den Figuren haben nur die Vögel gesehen.

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