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Alte Jeans werden zu Lianen – Umbau im Zoom Kindermuseum
Spectrum

Für die neue Ausstellung im Zoom Kindermuseum wurden die historischen Räume durch Um- und Einbauten verändert. Die Materialen wirken wie zufällig ausgewählt, doch dahinter steckt ein Konzept.

12. Januar 2024 - Harald A. Jahn
Das Architekturkollektiv AKT wurde durch den Biennalebeitrag in Venedig 2023 bekannt, bei dem es mit Hermann Czech die ex­klusive Nutzung des österreichischen Pavillons durch die Besucher infrage stellte und einen Teil für Treffen der Anrainer-Community des umgebenden Stadtteils St’Elena öffnen wollten. Das Kollektiv von 22 Architekturschaffenden fand 2019 zusammen; in den Projekten geht es immer um das Aushandeln von Räumen durch die Menschen, um gebaute Architektur, geschaffen für die Interaktion.

Typisch dafür war etwa ein Bühnenbild für das Stück „1922–2022 Frauenleben in Niederösterreich“ im Landestheater St. Pölten. Hier ließ das Kollektiv die Schauspielerinnen mit grauen Kisten agieren, die immer neu angeordnet oder gestapelt wurden: Das Verhältnis der Schauspielerinnen untereinander und zum Publikum wurde damit kontinuierlich verändert. Auch für die eben beendete Ausstellung im Belvedere 21, „Über das Neue. Wiener Szenen und darüber hinaus“, konstruierte AKT ein System von beweglichen, drehbaren Wänden auf Rädern, die bei der Hängung zum Diskurs zwangen – wie viel Platz hat ein Werk, wie interagiert es mit der benachbarten Position?

Ausschließen der Außenwelt

Häufig initiiert die Gruppe aber auch selbst Projekte, in denen sie die heutige Architekturpraxis hinterfragt, greift in Bestandsgebäude ein, erzeugt dort neue Räume, erforscht das Verhältnis von Gesellschaft und Raum: Das Ausschließen der Außenwelt war der Beginn der Architektur, durch Erschließung und Begegnung wird sie zu einem sozialen System. AKT sieht Architektur als Prozess zwischen Menschen, als Eingriff in gesellschaftliche Beziehungen.

Das Zoom Kindermuseum im Museumsquartier ist ein gemeinnütziger Verein, ­eingemietet auf 1600 Quadratmetern im Fürstenhof nahe der Mariahilfer Straße. Außergewöhnlich ist vielleicht die Herangehensweise bei der Gestaltung der Wechselausstellungen: Kurator Christian Ganzer lädt Künstler, Bühnenbildner oder Architekturschaffende ein, die Inhalte zu erarbeiten. Diese waren in den vergangenen 30 Jahren sehr unterschiedlich, Geld, Seifenblasen oder Mozart, bis hin zu sperrigen Themen wie Flucht oder Tod.

Lust auf die Zukunft machen

Nun geht es um die Zukunft, und mit AKT fand Ganzer ein kongeniales Kollektiv, das das Thema künstlerisch-spielerisch erarbeitete. Mit der neuen Mitmachausstellung soll Kindern Lust auf die Zukunft gemacht werden, sie sollen Vertrauen in ihre Kompetenzen gewinnen und für ein kritisches, konstruktives und gemeinsames Agieren sensibilisiert werden.

Die Vorbereitung der Ausstellung „Willkommen in der Zukunft“ lief über ein Jahr. Am Beginn stand die Auseinandersetzung mit dem Begriff: Wie erleben Kinder Zeit? Wie entsteht zum ersten Mal die Erkenntnis, dass Dinge in der Zukunft noch unerreichbar sind? Möglicherweise sind es die Adventkalender, die die Bewegung durch die Zeit erstmals erlebbar machen; die Bewegung durch den Raum ist ja eine der ersten Erfahrungen außerhalb der eigenen körperlichen Bedürfnisse.
Acht Türen, die in verschiedene Korridore führen

Aber auch die Zukunft ändert sich. ­Für Kinder der 1970er-Jahre war das Jahr 2000 die Verheißung einer utopisch-technischen Welt, mit fliegenden Autos und Raumschiffen; für die Kinder von heute ist das Bild wohl weniger eindeutig und eher geprägt von Disruptionen. Gemeinsam mit AKT wollte man allerdings keinesfalls ein dystopisches Zukunftsbild malen, auch keine Technikschau bauen, sondern heutige Themen in die Zukunft transponieren: Nachhaltigkeit, Upcycling, Bezug zur Umwelt.

Den Einstieg macht ein vom Naturhistorischen Museum übernommenes Planetarium. Man steigt auf Berge, um ins Tal zurückzublicken – hier sieht man die Erde auf ihrem Weg durchs Weltall in ihrer Schönheit und Fragilität. Nach dieser Einstimmung stehen die Kinder vor acht Türen, die in unterschiedliche Korridore führen: immer andere Versionen möglicher Zukunft.

Die nächsten beiden Stationen sind der Kreislaufwirtschaft gewidmet. Aus alten Jeans entstehen im Lauf der Ausstellungsdauer immer mehr Lianen, ein Raum-Kunstwerk formt sich, die Kinder von heute hinterlassen jenen von morgen einen Raum, der übermorgen erneut weiterentwickelt wird. Gleichzeitig kann bei den Gesprächen mit den Vermittlern – sie begleiten die Kinder jeweils in Zweierteams durch die Ausstellung – der Ressourcenverbrauch der Kleidung Thema werden.

Goldfische düngen Pflanzen

Um Kreisläufe geht es auch ein Stockwerk höher: Eine aus gelben Schalungsplatten gezimmerte Brücke ist auf Gerüstteilen auf­geständert, ein Kunststoff-Gewächshaus schmiegt sich ins Gewölbe der Decke. Hier wachsen Rohstoffe nach, warten Roboterpflanzen auf Interaktion, Algen liefern Farbe, mit der die kleinen Forscher malen können. In einem Wasserkreislauf düngen Goldfische Pflanzen, die den Fischen wiederum Nährstoffe liefern; all das kann und soll angefasst und untersucht werden.

Auch die Wände des nächsten Raums haben Vergangenheit, wurden allerdings verspiegelt, um einen unendlichen Raum zu erzeugen, der an Serverräume erinnert, die die technische Basis für die heutigen Medien bilden: Der Raum ist sein Inhalt. Eine Musikmaschine erzeugt hier einen Rhythmus, den die Kinder durch gemeinschaftliches Füttern mit Bällen aufrechterhalten müssen.

Bei der Arbeit an der Ausstellung waren nie alle Mitglieder des Kollektivs gleichzeitig am Werk, es entstand in der Technik des „Cadavre Exquis“: Die französischen Surrealisten erfanden das Spiel, bei dem jeder die Zeichnung des Vorgängers fortsetzt, ohne den bisherigen Inhalt zu kennen. Ähnlich konzipierten die in Kleingruppen arbeitenden AKT-Mitglieder die Abfolge der einzelnen Abschnitte. Die improvisiert wirkende Materialwahl ist kein Zufall, AKT griff auch hier auf die Erfahrungen der teilweise selbst initiierten Projekte zurück. Die bestehenden historischen Räume wurden durch Um- und Einbauten verändert, viele Bauteile sind Versatzstücke und Artefakte aus anderen Ausstellungen.

Im abschließenden Raum, der von der Linzer Künstlergruppe Time’s Up entworfen wurde, werden endlich Tickets in das Jahr 2047 ausgegeben. Nachhaltige Verkehrsmittel führen an die Orte, an denen die künftigen Berufe gefragt sind: Gletschermacher:in, Ozeanotekt:in, Hitzebändiger:in – manche dieser heute noch unbekannten Jobs wird es in 25 Jahren wohl tatsächlich geben. Bis dahin muss man sich mit Wünschen begnügen, die die Kinder auf Zetteln formulieren. Und sie sind zahlreich und vielfältig: Neben „gesunde Luft“ oder „genug Essen für alle“ steht auf einigen Zetteln auch schlicht „Ich will ein Pony haben“ – die Hoffnungen für die Zukunft sind so vielfältig wie die Möglichkeiten, die sie bietet.

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Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

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