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Was haben Sie sich dabei gedacht?
Der Standard

20 Jahre nach Fertigstellung hat unsere Autorin die Architekten ihres Wohnhauses in Ottakring auf ein Getränk zu sich eingeladen und konnte ihnen die brennendste aller Fragen stellen: Wofür ist dieser Schalter neben der Badezimmertür?

4. März 2024 - Ber­na­det­te Redl
Die Zufriedenheit ist Rudolf Szedenik anzusehen. Er klopft gegen die Holzverkleidung im Stiegenhaus und betrachtet die Stufen aus Beton, als hätte er sie selbst gegossen. „Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht“, sagt er und zeigt auf die Holzverkleidung. Und die Stufen, freut er sich, hätten sich gut gehalten. „Das war ein Experiment. Bei diesen Betonteilen ohne Belag ist die Sorge immer groß, dass sie sich schlecht reinigen lassen.“

Szedenik ist Architekt und hat mit seiner Kollegin Cornelia Schindler und dem gemeinsamen Büro SS Plus vor über 20 Jahren das Haus geplant, in dem ich lebe. Heute habe ich ihn und Katja Lederer, die ebenfalls an der Planung beteiligt war und das Büro nun führt, auf ein Gespräch zu mir nach Hause eingeladen.

Als die beiden meine Wohnung betreten, ist ihnen sofort anzumerken, dass Erinnerungen hochkommen. 15 Jahre sei sie nicht mehr hier gewesen, erzählt Lederer. Und es ist klar: Auf beiden Seiten gibt es viele Fragen.

Wer in einem Mehrparteienhaus lebt, will früher oder später einmal wissen: Was haben sich die Planerinnen bei diesem oder jenem gedacht? So geht es freilich auch mir und meinen Nachbarn, die ich vorab in unserer Whatsapp-Gruppe um ihr Feedback und ihre Fragen gebeten haben.

Die meisten von uns sind glücklich in unserer Anlage. Sie wurde gefördert errichtet – somit sind die Mieten günstig. Dazu kommen zahlreiche Gemeinschaftsflächen im Hof und auf dem Dach und vor allem: viel, viel Grün.

Aber natürlich gibt es auch den einen oder anderen Kritikpunkt. Allen voran die Fenster beschäftigen uns sehr. Von innen lässt sich nur ein Teil öffnen. Vor allem das Putzen ist daher eine Herausforderung. In waghalsigen Verrenkungen habe ich schon manche Nachbarn beobachtet, wie sie sich hinauslehnen oder mit selbstgebauten Gerätschaften versuchen, die Außenseiten zu reinigen. Wie kommt man auf so etwas?

„Das ist auf unserem Mist gewachsen, es war eine Entscheidung für die Ästhetik“, gibt Szedenik zu. Manchmal müsse man als Architekt solche Abwägungen machen. Das ist mir klar, doch verstanden habe ich die Sache mit den Fenstern noch immer nicht ganz.

Und der Grundriss? In unserer Drei-Zimmer-Wohnung führt vom Kinderzimmer aus eine Balkontür auf die Terrasse. Als Mutter eines Zweijährigen habe ich sie immer verriegelt und mir oft die Frage gestellt, wieso man so etwas plant. „Für einen Teenager hat das aber Mehrwert“, sagt Lederer. Seien die Kinder einmal älter, wäre es schade, hätte man auf diese zweite Balkontür verzichtet.

Ein viertes Zimmer?

Wir haben genug Platz in unserer 80 Quadratmeter großen Wohnung, dennoch haben wir uns vor allem in den Hochzeiten der Pandemie ein viertes Schlafzimmer statt des langen Gangs oder des großen Vorzimmers sehnlichst gewünscht.

Vor 20 Jahren, erzählt Szedenik, hätte es die Notwendigkeit dafür schlichtweg nicht gegeben. Wer mehr Platz gebraucht hat, konnte sich einfach eine größere Wohnung nehmen – das sei damals noch leistbar gewesen. „Heute bauen wir im Schnitt pro Wohnung fünf oder zehn Quadratmeter kleiner und müssen die Grundstücke sehr dicht bebauen.“ Auf 80 Quadratmetern würde man heute jedenfalls eine Vier-Zimmer-Wohnung planen. Das habe mit Spekulation zu tun, aber auch mit Bodenverbrauch, für den es heute weit mehr Bewusstsein gebe, sagt Szedenik.

Neben der Tür zu unserem Badezimmer gibt es einen Schalter, der uns seit Jahren Rätsel aufgibt. Auf ihm prangt ein oranges Licht, seine Funktion ist uns bis heute unklar. Er steuert weder die Lüftung noch einen Heizstrahler, wie eine Nachbarin unlängst vermutete. Szedenik und Lederer sind sich allerdings sicher, dass er doch etwas mit der Lüftung zu tun haben muss, ganz genau könnten sie es aber auch nicht mehr rekonstruieren. Schade!

Apropos Lüftung: Den Schlitz im Schlafzimmerfenster, durch den kalte Luft strömt, haben wir im Winter immer zugeklebt, weil uns die Zugluft stört. Eine gefährliche Sache, erklärt Lederer, die Schimmelbildung zur Folge haben könnte. Die Luft, die im Bad abgesaugt werde, müsse schließlich von irgendwoher nachströmen, sagt die Architektin. Es sei schon absurd, so Szedenik: „Wir kriegen die Dichtheit der Fenster vorgeschrieben, müssen aber gleichzeitig Lüftungen planen.“

Und warum gibt es im Klo kein Waschbecken, obwohl Platz dafür wäre? Manche Dinge waren auch schon vor 20 Jahren gleich. Es sei mit den Bauträgern immer ein Ringen, vor allem bei der Ausstattung – um Steckdosen, Armaturen, Bodenbeläge.

Nach der Tour durch die Wohnung drehen wir eine Runde durch die Anlage. Szedenik zückt sein Handy und fotografiert – die Fassade, die großzügigen Gemeinschaftsflächen, die hochgewachsenen Bäume im Innenhof.

Auch sie stören manche Nachbarinnen, die dadurch weniger Licht in ihren Wohnungen oder Gärten haben. Auch hier, sagt Szedenik, sei es eine Abwägungssache. Lederer und er freuen sich dennoch über das viele Grün, das über die Jahre hier gewachsen ist. Es sei eines der ersten Projekte gewesen, an dem er beteiligt gewesen sei, bei dem es einen eigenen Wettbewerb für die Freiraumplanung gegeben habe, erzählt der Architekt. Der Bauträger habe ein Gespür für diese Notwendigkeit gehabt.

Auch die Pläne zur Nutzung der Gemeinschaftsflächen sind aufgegangen. In unserem Partyraum wird so gut wie jedes Wochenende ein Fest oder ein Kindergeburtstag gefeiert, der Spielraum ist vor allem im Winter und an Regentagen voll, und im Fitnessraum treffen sich mehrmals wöchentlich Nachbarn für Sportkurse. Daran sehe man, sagt Szedenik: „Wenn ein Gebäude gut angelegt ist, bildet sich eine Gemeinschaft von selbst.“ Schade sei nur, dass diese Großzügigkeit heute im Neubau nicht mehr möglich ist, dadurch würde es weniger Raum für Begegnung geben.

In unserem Hof liegt übrigens ein großer, unförmiger Stein. Was es damit auf sich hat, haben wir uns immer schon gefragt. Nun wissen wir: Das ist Kunst am Bau. Bisher klettern vor allem die Kinder darauf herum. Und was stand auf dem Grundstück eigentlich vorher? Ein einstöckiger Bau mit einer Putzerei darin, erzählt mir Szedenik.

Ich freue mich, dass ich heute so viel über mein Zuhause erfahren habe, und werde es schnellstens meinen Nachbarn erzählen. Und Szedenik und Lederer sind froh über die gute Lebensqualität in „ihrem“ Projekt und auch ein bisschen stolz. Zu Recht, wie ich finde.

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