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Dieses Projekt hält Wort: Malmös Neubauviertel am Hafen
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Das Neubauprojekt Westhafen in Malmö, Västra Hamnen, löst alle Versprechen farbenfroher Renderings ein: Hier wechseln sich gelb gepflasterte Gassen ab mit Platzaufweitungen, Weilern, Grün­inseln; zu entdecken gibt es Steinbrunnen, Sitzecken, Tümpel.

23. Februar 2024 - Harald A. Jahn
Es ist dies ein Bonmot unter Stadtplanern: Das beste Stadtentwicklungsgebiet Kopenhagens ist in Malmö. Die beiden Städte am 15 Kilometer breiten Øresund sind durch die im Sommer 2000 eröffnete Brücke über die Meerenge deutlich aufeinander zugerückt, das schwedische Malmö wurde zum Einzugsgebiet der dänischen Hauptstadt.

Auf der Kopenhagener Seite quert die mit der Brücke verbundene Autobahn das Entwicklungsgebiet Ørestad, das eher schroff und gar nicht „hygge“ wirkt; in Malmö entstand dagegen ein Projekt, das alles hält, was die farbenfrohen Renderings von Neubauvierteln anderswo versprechen.

Malmö teilte das Schicksal vieler Arbeiter- und Hafenstädte: Eine lange Krise der Schwerindustrie vernichtete Zehntausende Arbeitsplätze und hinterließ Brachflächen in durchaus attraktiver Lage am Meer. Die Erholung begann Ende des 20. Jahrhunderts, mit der Øresundbrücke kam der Boom in die „kleine Großstadt“, die mit ihren Pflasterstraßen und Backsteinbauten ein wenig an Gent oder Antwerpen erinnert.

Der „Förstadts­kanalen“ um das Zentrum definiert die Grenze zwischen Stadt und Hafen. Hier steht auch der alte Kopfbahnhof, ebenfalls ein historischer Backsteinbau; früher war hier Endstation, heute geht es weiter zu der Brücke, die alles verändert hat.

Neue Landmarks

Jenseits der Gleistrasse Richtung Meer sieht es sofort völlig anders aus – der Platzbedarf der Industrie hat eine ganz andere Maßstäblichkeit entstehen lassen, weite Betonflächen prägen das Bild. Folgt man dem „Vorstadtkanal“ jedoch ein Stück weiter nach Westen, trifft man auf neue Landmarks: Das Hafenmeistergebäude von 1910 wurde um einen Zubau ergänzt, eine braune, stark gefaltete Blechstruktur der Architekturbüros Terroir und Kim Utzon umgreift den Altbau und soll als Scharnier Richtung Hafen fungieren.

Dreieckige Blech- und Glasflächen wechseln sich ab, dabei wirkt die dunkle Konstruktion angenehm harmonisch; der Verlockung, hier einen allzu harten Kontrast zum historischen Ziegelbau zu erzeugen, sind die Architekten nicht erlegen. Nun hat hier im „Tornhuset“ die World Maritime University ihren Sitz, und zusammen mit den drei in der Höhe gestaffelten Hochhaustürmen dahinter – sie gehören zum ebenfalls neuen Veranstaltungs-, Konzert- und Konferenzzentrum – wurde das Ensemble zum Instagram-tauglichen Symbol des neuen Malmö.

Hinter dem Blechscharnier führt eine baumlose und daher leider etwas ungastliche Straßenachse Richtung Hafen und zur neuen grünlich schimmernden Orkanen-Universität. Von der öffentlichen Uni-Bibliothek im fünften Stock geht der Blick weit über das Areal, über historische und neue Hallenbauten, und hinter einer inzwischen zum Medienzentrum verwandelten Backsteinhalle sticht ein Projekt im Wortsinn heraus: Der Turning Torso von Santiago Calatrava ist mit 190 Metern nicht nur der zweithöchste Wolkenkratzer Skandinaviens, sondern auch das weithin sichtbare neue Wahrzeichen der Stadt – symbolträchtig hat er den 2002 abgebauten gigantischen Kockumskran abgelöst.

Wohnen und Freizeit verdrängen auch hier die Schwerindustrie, heute steht der Kran in Südkorea. Der Trauer der Bevölkerung über diesen Verlust Rechnung tragend, hat die Hyundai-Werft den Kran am neuen Standort in Asien „Tränen von Malmö“ getauft.

Unverkitscht und viel Grün

Im Jahr 2001 begann auf dem früheren Gelände der Kockums-Werft dann mit einer internationalen Wohnbaumesse die große Entwicklung, die die Westhafeninsel inzwischen prägt. Dabei war der Beginn ebenso holprig wie die nicht fertiggestellten Straßen, die sich durch das Ausstellungsgelände zogen; noch während der Messe wurden die Musterhäuser bezogen, aber erst nach ihrem Ende konnte das Areal ohne Eintrittskarte betreten werden. Hier im Westhafen entstand mit „Bo01“ („Wohnen 01“) ein Stadtviertel, das zum Besten gehört, was zeitgenössische Stadtentwicklung zu bieten hat.

Ein Wasserlauf markiert das Entrée in ­diesen fast dörflich wirkenden Bereich mit seinem unregelmäßigen Straßennetz, das bewusst an malerische mittelalterliche Siedlungsstrukturen angelehnt wurde. Gelb gepflasterte Gassen ohne Gehsteige wechseln sich mit kleinen Platzaufweitungen, Weilern, Grüninseln ab, die Kleinteiligkeit der Strukturen ist der menschlichen Schaulust angepasst, überall verzahnt sich die Aufmerksamkeit des Flaneurs mit Kleinigkeiten am Straßenrand – ein schön geformter Steinbrunnen, dessen Wasser in eine offene Regenablaufrinne plätschert, gemütliche Sitzecken, eine dicht überwachsene Pergola über Fahrradabstellplätzen, ein Tümpel mit einer Bank zur Rast.

All das wirkt selbstverständlich und unverkitscht, die Vielfalt an Gebäudeformen bleibt durch den häufigen Einsatz von Backstein und das viele Grün harmonisch, jede Ecke bietet neue angenehme Eindrücke – und das Calatrava-Hochhaus ist als Orientierungspunkt fast immer über den niedrigen Wohnhäusern zu sehen.

Von diesem Turm führt eine etwas breitere Achse zum Meer, sie endet in einem zur Hälfte über die Küstenlinie hinausgeschobenen quadratischen Steinplatz und teilt die Promenade in einen nördlichen grünen und einen südlichen urbanen Bereich. Entlang der Wasserkante schützt eine ebenfalls unregelmäßig geformte Zeile mehrgeschoßiger Wohnbauten das Idyll vor den Westwetter­lagen, die Sturm und Regen von der See ­herantragen.

Nachhaltigen Bauen mit inno­vativen Umweltlösungen

Das Ufer ist Aushängeschild des Quartiers und neuer Treffpunkt der Malmöer; entworfen hat sie Thorbjörn Andersson, ein Star der schwedischen Landschaftsarchitektur. Während im Norden Rampen über die Steinböschung hinweg zum Wasser führen und eine große Liegewiese Badegäste anlockt, bildet im Süden eine lange Holzbank den Abschluss der Promenade zum Meer. Beide enden gemeinsam an einem Pier mit Miniaturleuchtturm und dahinter liegendem Jachthafenbecken, vom kleinen Platz drum herum sieht man von den Café-Gastgärten in der Ferne die Brücke, mit der alles begonnen hat.

Inzwischen wächst Västra Hamnen, der Westhafen, weiter, und auch wenn die neueren Bauten großvolumiger sind als die „Dorfhäuser“ der Bauausstellung, sollen die Prinzipien des nachhaltigen Bauens mit inno­vativen Umweltlösungen weiterhin gelten und weiterentwickelt werden – vom Regenwassermanagement über die lokale Energieerzeugung bis hin zum Abfallmanagement.

Malmö mit seinen billigeren Lebenshaltungskosten ist zum Magnet für Bürger aus Kopenhagen geworden, und wahrscheinlich wird die Øresundbron nicht die einzige Verbindung bleiben: Nach der Fertigstellung des Fehmarnbelttunnels zwischen Deutschland und Dänemark wird der Frachtverkehr über den Øresund zunehmen, die Kopenhagener Metro soll die Brücke vom Personenverkehr entlasten und bis hierher verlängert werden – mit einer Fahrzeit von nur 20 Minuten wird Malmö dann praktisch zum Stadtteil von ­Kopenhagen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

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