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Bioregionale Wunderkammer

Umbau einer Industriehalle durch BC Architects & studies und Assemble mit Atelier Luma

10. April 2024 - Jenny Keller
Sonnenblumen, Salz, Algen, Reis und Stein aus Steinbrüchen sind die Rohstoffe der Region um Arles. Befände sich das Magasin Électrique der Stiftung Luma geografisch weiter östlich, westlich oder nördlich (südlich ist nur noch das Mittelmeer), sähe die ehemalige Industriehalle, umgebaut von BC architects & studies (vgl. wbw 5 – 2021, S. 24 – 29), Assemble und dem Atelier Luma mit Sicherheit anders aus. Das Gebäude steht als Prototyp seiner Art in Arles und zeigt, was es bedeutet, mit biologischen Baustoffen sowohl kreislaufgerecht als auch umweltschonend zu bauen: Regionale Materialien kommen zum Einsatz, in diesem Fall aus einem Umkreis von 70 Kilometern.

Seit der Eröffnung 2023 sind die ehemaligen Hallen der französischen Bahn, SNCF, Vorzeigeobjekte der bioregionalen Baukunst und des ressourcenbewussten Designs. Und als solche, finanziert von einer Roche-Aktionärin, auch der Kritik – und vielleicht auch dem Neid – ausgesetzt. Denn Atelier Luma kann sich nicht nur die jahrelange, wenig lukrative Forschungsarbeit an neuen Baustoffen leisten. Es hat auch die finanziellen Mittel, die gute Tat nach aussen zu tragen und erhält entsprechend Aufmerksamkeit. Doch alles der Reihe nach.

Case Study House

Die Baslerin Maja Hoffmann hat sich mit der Gründung von Luma Arles, einer Stiftung, die sich der Kunst und dem experimentellen Design verschreibt, ein Museum, zahlreiche Ausstellungsorte und Ateliers auf einem ehemaligen Industriegelände geleistet, «um die Gegenwart und die Zukunft, das Persönliche und das Kollektive zu hinterfragen», wie die Mäzenin anlässlich der Eröffnung in einer Pressemitteilung zitiert wird. Die Camargue im Süden Frankreichs war schon der Sehnsuchtsort ihres Vaters Luc Hoffmann, eines studierten Zoologen, leidenschaftlichen Ornithologen und Gründungsmitglieds des WWF. Wie ihr Vater, von dem sie ein Vermögen erbte, gibt auch Maja Hoffmann der Gesellschaft und der Natur etwas zurück, indem sie mit der Stiftung Luma an neuen Möglichkeiten der Kreislaufwirtschaft forscht und das ökologisch sinnvolle, zirkuläre Denken unterstützt. Ausserdem sind viele der Bauten auf dem Areal, so der Museumsturm von Frank Gehry und die Ausstellungsorte in den historischen Gebäuden sowie der Landschaftspark von Bas Smets, für ein interessiertes Publikum öffentlich zugänglich. In der fraktalen Fassade aus rostfreiem Stahl des Gehry-Baus spiegelt sich der stahlblaue Camargue-Himmel in der Sonne. Er soll hier nicht weiter Beachtung erhalten, abgesehen von einigen seiner Innenwände, die aus Meersalz- und Algenfliesen bestehen. Algen lassen sich, wenn man sie zu dünnen Fäden verarbeitet, mit dem 3-D-Drucker zu beliebigen Formen wie Vasen, Platten oder Sitzobjekten drucken. Solche Erkenntnisse über bioregionale Baustoffe haben die Forscherinnen, Designer und Architektinnen aus der ganzen Welt, die für Luma arbeiten, in einem sechsjährigen Prozess erlangt. Sie untersuchten die Ressourcen der Camargue daraufhin, ob sie als Material für Bauprodukte oder Designobjekte geeignet sind, anstatt als Abfälle dem Kreislauf entzogen zu werden.

Als Design-Forschungsprogramm der Stiftung wurde Atelier Luma 2016 gegründet und besteht aus einem multidisziplinären und internationalen Team von momentan 13 Personen, geleitet vom Architekten Daniel Bell, der aus Irland stammt. Er war auch Projektleiter beim Umbau von BC und Assemble. Mit ihm arbeiten Designerinnen, Ingenieure, Wissenschaftler und Expertinnen aus den Bereichen Kultur, Handwerk, Geistes- und Sozialwissenschaften.

Angewandte Forschung leisten

Daniel Bell erklärt, wie vor den eigentlichen Umbauarbeiten in Arles Wettbewerbe veranstaltet wurden, um herauszufinden, wie man Salz der Camargue als Material für Möbel oder Oberflächen in den Gehry-Turm integrieren oder wie mithilfe von Pflanzen Stoffe natürlich eingefärbt werden könnten. Ein Gobelin in einem Café auf dem Gelände zeugt heute davon. Bell erzählt auch, dass sie nach der sechsjährigen Forschung lokale Partnerfirmen finden mussten, um die Produkte in einem grösseren Massstab produzieren zu können. Ein bekanntes Problem der bioregionalen Baustoffe, die nicht erst seit Maja Hoffmann oder nur in Arles erforscht werden: Meist ist ihre Anwendung auf Sonderanfertigungen und Ausnahmebewilligungen beschränkt. So sind sie nicht auf dem herkömmlichen Markt erhältlich und oft nicht offiziell feuerbeständig, weil sie nicht zertifiziert sind. Den biobasierten Baustoffen fehlt eine Lobby, und dadurch sind sie weit von einem sich finanziell lohnenden Skaleneffekt entfernt. Die quasi selbstlose Pionierarbeit, wie sie in Arles geleistet wird und wie sie sich Maja Hoffmann leisten kann, ist also wichtig.

Aber Projekte wie das in Arles werden oft als wenig relevant belächelt oder als weltfremd abgetan. Gerade deshalb entwickelt Atelier Luma Prozesse, die auch in anderen Regionen zur Anwendung gelangen könnten, erklärt Bell. Die Idee dahinter: Exportiert wird nicht das Produkt, sondern eine Methode und ein Verfahren. Dazu wurde mit den Kartografen von Terra Forma eine Darstellungsweise entwickelt, die hilft, die Projekte und die Arbeit von Atelier Luma in Workshops vor Ort oder in Büchern zu vermitteln.

Man erfährt dabei, dass die Gewinnung der Salzpaneele, wie sie im Gehry-Turm zur Anwendung gekommen sind, einige Schwierigkeiten birgt, sind doch die Fliesen nur zwischen Mai und September zu «ernten», dann, wenn der Wasserspiegel tief ist und die Salinen die Salzkristalle an die Oberfläche schaffen.

Natürlich ist nicht alles natürlich

Die Halle mit den blauen Holzgestellen im Magasin Électrique ist robust, laut, kalt und darf schmutzig werden. Hier wird unter anderem in Holzwerkstätten gearbeitet. Daneben befinden sich ein ruhiger Ausstellungssaal und ein grosser multifunktionaler Raum für Theater und Konferenzen. Die bestehende Tragstruktur aus Eisenträgern und -säulen im ganzen Haus wurde durch Stampflehmwände mit dekorativen Stürzen aus Holz ergänzt. Die Wände teilen die ehemals zusammenhängende Halle in zwei Zonen, sorgen für eine gute Raumakustik und formen Treppen- und Nebenräume. Mit dem Steinstaub regionaler Kalksteinbrüche wurden die Stampflehmwände – die Expertise von BC Studies – eingefärbt und veredelt. Die Terrazzoböden im Konferenz- und Theatersaal, auch Agora genannt, bestehen aus wiederverwendeten Dachziegeln. Aus Abbruchstein wurden Waschbecken und Ablagen hergestellt, Sonnenblumenstängel sind als natürliches MDF zu Paneelen verarbeitet, die auch eine akustische Wirkung aufweisen. Von der Blüte bis zum Stiel findet die regionaltypische Blume, im kollektiven Gedächtnis verewigt durch van Gogh, als Ganzes Verwendung. Die ehemalige Industriehalle wurde innengedämmt um die historische Fassade zu erhalten, wobei als Dämmmaterial Reisstrohplatten zum Einsatz kamen. Die Nebenprodukte des Camargue-Reises finden nicht oft Eingang ins Bauen, aus Angst davor, dass das hydrophile Material zu viel Feuchtigkeit aufnimmt. Seit dem Bau der Maison Électrique ist dies aber empirisch widerlegt. Insgesamt spricht Bell von 18 verschiedenen Materialien, die für den Umbau verwendet worden sind. Tragende Wände, aber auch Leichtbauwände wurden aus landwirtschaftlichen Nebenprodukten, Erd- und Mineralienabfällen hergestellt. Auch Türgriffe und Leuchten sind das Ergebnis jahrelanger Forschung mit Algen, Salz, Biokunststoffen, Lehm oder Emaille.

Die gesamte Dachkonstruktion ist neu und besteht nicht nur aus natürlichen Materialien. Steinwolle wurde eingesetzt, um die Feuerfestigkeit zu garantieren, und in der Reisstrohdämmung befindet sich etwas Plastik. Der robuste Betonboden in den Werkstätten mit den blauen Gestellen ist offensichtlich weder bioregional noch CO₂-neutral. Wie bei jedem Umbau mussten Entscheidungen für den Einsatz der Materialien gefällt und Kompromisse eingegangen werden.

Das gesammelte Dachwasser wird als Grauwasser für die Spülung aller Toiletten auf dem Areal benutzt. Das verschmutzte Wasser wird danach in Algenbassins im Garten gefiltert. Dieser hat nicht nur eine ästhetische Wirkung und hilft der Biodiversität, seine thermische Eigenschaft ist ebenso wichtig wie die Ernte der Blüten, mit denen die Materialien eingefärbt werden.

Bell erklärt, dass architektonische und planerische Kompetenz gefragt waren bei diesem Umbau. Im Gespräch mit ihm wird einmal mehr klar, dass der Verzicht darauf, neu zu bauen, nicht heisst, dass Architektinnen und Architekten die Arbeit ausgeht. Im Gegenteil: Erfindergeist ist gefragt.

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Für den Beitrag verantwortlich: werk, bauen + wohnen

Ansprechpartner:in für diese Seite: Katrin Zbindenredaktion[at]werkbauenundwohnen.ch

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