Bauwerk

Museo del Prado - Erweiterung
Rafael Moneo - Madrid (E) - 2007

Unternehmen Prado

Ein „Juwel“ wird neu geschliffen

15. Juni 2001 - Markus Jakob
Der Prado steht vor der tiefgreifendsten Reform seiner fast zweihundertjährigen Geschichte. Während der Architekt Rafael Moneo die bauliche Erweiterung in Angriff nimmt, plant der neue Vorsitzende des Stiftungsrats, Eduardo Serra, die Modernisierung der Verwaltung und ein marktwirtschaftlich orientiertes Finanzierungsmodell.

Eduardo Serra empfängt, Zigarre in der Linken, im Madrider Chefbüro der UBS. Die Schweizer Bankiers haben ihn letzten Herbst auf diesen Posten berufen, kurz nach seiner überraschenden Ernennung zum Präsidenten des Stiftungsrates des Prado-Museums. Serra bewältigt nun beide Aufgaben nebeneinander. Davor hatte er als Verteidigungsminister die Professionalisierung der spanischen Armee in die Wege geleitet. Bloss, was hat die «Mili» mit einer Gemäldesammlung, noch dazu einer so bedeutenden wie dem Prado, zu tun?

«Das müssen Sie schon Präsident Aznar fragen.» Denn es war der Regierungschef persönlich, der in dem parteiunabhängigen Serra den geeigneten Mann sah, um die verkrusteten Strukturen des Museums aufzubrechen und ein neues Verwaltungs- und Finanzierungsmodell durchzusetzen. Welche Qualifikationen bringt der Ex-Verteidigungsminister aber dafür mit, ausser seinem marktwirtschaftlichen Credo und seinen unzweifelhaften, bei Unternehmen wie Peugeot España und dem Mobilfunkkonzern Airtel unter Beweis gestellten Führungsfähigkeiten? «Ich bin, wie ja übrigens auch Präsident Aznar, der Kultur sehr zugetan», äussert er in jenem schulmeisterlichen Tonfall, der nachgerade ein Erkennungszeichen der spanischen Rechten ist. Von Kunst jedoch, fügt er unumwunden hinzu, verstehe er nichts. Sollte denn Kunst etwas mit der Verwaltung eines Museums zu tun haben? Immerhin, erklärt er weiter, gehörte zu seinem Ministerportefeuille die geplante Verlegung des Heeresmuseums - Museo del Ejército (NZZ 12. 2. 00) - von Madrid nach Toledo. Das dadurch frei werdende Gebäude wird nun übrigens, nebst weiteren Dépendancen in der unmittelbaren Umgebung, auch in die Prado-Erweiterungspläne einbezogen.


Chefsache

Dass der Prado einer starken Hand bedurfte, bezweifelte nach den Turbulenzen der vergangenen Jahre im Grunde niemand. Mochte die Anekdote auch noch bemüht werden, als es 1996 letztmals in den Velázquez-Saal hineinregnete: Man kann heute nicht mehr alle Übel darauf zurückführen, dass einst die napoleonischen Truppen das Prado-Dach zu Bleikugeln umgossen. Platzprobleme, Pilzbefall von im Keller deponierten Werken, mangelnde Sicherheitsvorkehren, Gerüchte um angeblich falsche Goyas, mysteriöse Preisexplosionen bei Schenkungen, die von der Steuer absetzbar sind, und ein generell als zu tief erachtetes Aktivitätsniveau: Die Mängelliste ist lang. In konservatorischer Hinsicht ist immerhin die im Vergleich zu andern Museen sehr zurückhaltende Arbeit der Restauratoren hoch zu schätzen. Aber allein zwischen 1991 und 1996 hat der Kunsttempel vier Direktoren verschlissen. Der Kunsthistoriker Fernando Checa, der sich seither auf diesem Posten hält, ist nun durch Serra faktisch entmachtet worden. Als dieser seine Strategie für das Museum den Medien präsentierte, sass der nominelle Direktor nicht etwa neben ihm auf dem Podium, sondern im Publikum.

Der Maler Ramón Gaya, der das Museo del Prado ein «umgekehrtes Irrenhaus» genannt hat - «ein Irrenhaus der Vernunft, der Stille, der Gewissheit» -, bezog sich gewiss nicht auf dessen Verwaltung. Eher meinte er die Sammlung, vielleicht auch die altertümliche, trotz jährlich 1,8 Millionen Besuchern durchaus klassische Museumsstimmung. Nun aber übernimmt die Macht in diesem Irrenhaus der Stille und der Gewissheit ein Mann, der darin schlicht ein «Juwel» sieht - «das Kronjuwel» -, das es schleunigst neu und marktgerecht zu schleifen gilt. «Als Patriot», so Serra, könne er es nicht mehr mit ansehen, wie einige an ihren Sitzen klebende Kustoden das Haus als ihr Privatrevier mit lebenslänglicher staatlicher Vollversorgung betrachteten.

Da kann man nur leer schlucken, denn er hat zweifellos Recht: Die in seinem Auftrag von der Boston Consulting Group erstellte Analyse stellt fest, dass vergleichbare Museen wie der Louvre und das Metropolitan ein Mehrfaches an Öffentlichkeitsarbeit leisten, im Klartext: spektakuläre und besucherintensive Temporärausstellungen ausrichten, wie sie der Prado kaum je geboten hat. Das Budget reicht dafür schlicht nicht aus. Es soll daher bis ins Jahr 2005 verdreifacht werden, auf ungefähr 70 Millionen Franken jährlich, inklusive eines Ankaufsetats von 15 Millionen. Sponsoring, Merchandising und Eintrittsgelder (wobei mittelfristig mit einer Verdoppelung des Eintrittspreises zu rechnen ist) sollen künftig über 30 Millionen Franken jährlich generieren. Auch der Staat wird freilich zur Kasse gebeten: Sein Anteil an der Finanzierung soll zwar von 67 Prozent (europäischer Durchschnitt heute: 62 Prozent) auf 50 Prozent sinken, in absoluten Zahlen wird er sich aber mehr als verdoppeln.

Die Consulting-Firma entwarf, abgesehen von der kategorisch geforderten Umsatzsteigerung - mehr Personal, mehr Besucher, mehr Budget, mehr Aktivitäten -, flüchtig auch verschiedene Szenarien für einen neuen rechtlichen Status des Museums, mit den Extremen «reiner Staatsbetrieb» und «Totalprivatisierung». Empfohlen wird eine öffentlichrechtliche Institution mit Teilautonomie. Völlig neu geregelt wird die interne Verwaltung: Ein Generaldirektor - de facto jetzt Eduardo Serra - fungiert als Schlüsselfigur zwischen der ständigen Aufsichtskommission und dem Stiftungsrat einerseits, andererseits den bislang zwei, neu vier Direktoren: künstlerische Leitung, interne Verwaltung, Drittmittelbeschaffung (englisch «Development») und Öffentlichkeitsarbeit.


Gegenstimmen

Die spanische Öffentlichkeit hat auf die geplante Kommerzialisierung ihres kulturellen Flaggschiffs bisher nicht reagiert. Auch intern ist der Widerstand gering, obwohl künftig zweifellos in einem kompetitiveren Umfeld gearbeitet werden wird. Fast 300 zusätzliche Arbeitsplätze zu den 400 bestehenden wiegen indessen schwerer als die Möglichkeit einiger Entlassungen. Kritische Stimmen lassen sich aber auch sonst kaum vernehmen. Er könnte wohl eine solche sein, meint etwa einer der Ex-Direktoren des Museums, ziehe es jedoch vor, sich nicht öffentlich zu dem Thema zu äussern. Der Kurzangebundene war seinerzeit ironischerweise wegen eines Vergehens entlassen worden, das jetzt im Prado gerade zur Norm werden soll: der kommerziellen Nutzung der Säle für Fremdzwecke.

Die oppositionellen Sozialisten hatten zwar die Form gerügt, in der Serra auf präsidiales Geheiss ernannt worden war; verletzte sie doch gröblich nicht nur das Statut des Stiftungsrats, sondern überhaupt alle demokratischen Spielregeln. Aber da mit Kulturpolitik keine Wähler zu gewinnen sind, begnügte man sich mit einer nachträglichen Entschuldigung der Regierung, ohne an der Tatsache zu rütteln, dass Serra heute eine Stellung einnimmt, die ihm rechtens nicht zusteht. Joaquín Leguina, der Kultursprecher des PSOE, will nun abwarten, bis das seines Erachtens unnötige neue «Prado-Gesetz» vors Parlament kommt, um seine Vorbehalte gegen eine Teilprivatisierung präziser zu formulieren. «Da braucht man sich nichts vorzumachen. Aus reiner Wohltätigkeit engagiert sich kein Grossunternehmen für Kunst. Was zur einen Seite hereinkommt, geht via Steuererleichterungen auf der andern wieder raus.»

Laut Serra steht der Stiftungsrat einmütig hinter seinem Projekt. Möglicherweise beruht dieser Konsens aber darauf, dass über entscheidende Fragen gar nicht abgestimmt wird. Dies versichert jedenfalls ein Mitglied des Stiftungsrats, das - obwohl es sich die Mühe nahm, der NZZ gegenüber schriftlich Stellung zu nehmen - nicht namentlich genannt werden möchte. Ist das der Stand der Meinungsfreiheit im heutigen Spanien? Gerade das «scheinbare» Fehlen einer Opposition im Fall Prado zeige die rigorose Kontrolle über die Medien auf, die Spaniens Rechte erlangt habe. Kein Museum sei je auf so unverschämte Weise von einer Regierung als Propagandainstrument missbraucht worden. Das von Serra verfolgte Modell gehe weit über alles hinaus, was in Sachen Sponsoring bislang an Europas Pinakotheken toleriert worden sei. Private Geldgeber neigen nun einmal zum Spektakulum. Sie können kurzfristige Projekte durchführen, sichern jedoch keine Häuser und erlauben keine langfristigen Planungen.

Natürlich liegt in Spanien das Guggenheim-Beispiel nahe. Auch in Bilbao lässt sich ja der Staat das amerikanische Modell des kulturellen Erlebnisparks einiges kosten. «Ob das Museum seine Sache gut oder schlecht macht, muss», so Serra, «das Publikum entscheiden.» Einschaltquoten also auch für den Prado? Den Kürzern ziehen wird, obwohl man sich in Madrid dann «die besten Fachleute» leisten kann, voraussichtlich die Kunstwissenschaft - und wohl auch jenes Publikum, für das der Prado bisher so etwas wie «ein Irrenhaus der Vernunft, der Stille und der Gewissheit» war.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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