Bauwerk

HafenCity Hamburg
Kees Christiaanse, Spengler-Wiescholek, Ingenhoven und Partner Architekten, Schweger & Partner, Böge Linder-Böge - Hamburg (D) - 1999

Zurück zur Elbe

Die Umwandlung der Hafenareale in Hamburg

Der eben zu Ende gegangene Hamburger Architektursommer lenkt erneut die Aufmerksamkeit auf die Hansestadt, die sich sukzessive die Hafenareale aneignet. Die «Perlenkette» und die «HafenCity» gelten als die bedeutendsten Projekte.

5. Dezember 2003 - Hubertus Adam
Das wichtigste städtebauliche und architektonische Thema in Hamburg stellt seit geraumer Zeit der Umgang mit den Hafenarealen dar, welche die Identität der Stadt über Jahrhunderte geprägt haben. Der systematische Ausbau des Hafens begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als infolge des Staatsvertrags mit Preussen die ersten Elbbrücken gebaut wurden, war der Weg frei für die Umgestaltung der Elbinseln in eine Abfolge von Hafenbecken; Hamburg avancierte zum Welthafen. Der wirtschaftliche Aufschwung blieb nicht ohne Folgen für die Innenstadt: Kontorhäuser, Geschäftsbauten und Hotels traten an die Stelle der noch kleinteilig-barock parzellierten Baustruktur. Allerdings war die Stadt der Kaufleute und Bürger seit je auf die Alster ausgerichtet, den seit dem Mittelalter aufgestauten Binnensee am Nordrand der Altstadt. Der Zollkanal trennte die an der Elbe gelegenen Gebiete des - für Nichtbefugte unzugänglichen - Freihafens von der Wohnstadt. Nach den verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs wurde im Zuge des Wiederaufbaus die Trennung von Stadt und Hafen durch die neue Verkehrsschneise der Ost- West-Strasse zementiert.


Die Speicherstadt als Attraktion

Erhob sich der zu 80 Prozent zerstörte Hafen nach 1945 auch noch einmal wie ein Phönix aus der Asche, so unterliegen die gewaltigen Hafenflächen seit Mitte der siebziger Jahre dem Strukturwandel: Der Stückguthandel wurde durch den Container ersetzt, und damit erwies sich die grosse Anzahl vergleichsweise kleiner Hafenbecken als obsolet - der Hafen entwickelte sich in Richtung Westen. Wer vom idyllischen Elbstrand der Övelgönne aus auf das Containerterminal Waltershöft blickt, sieht das wie von Geisterhand getriebene Spiel riesiger Portalkräne, die binnen weniger Stunden Schiffe mit mehreren tausend Containern zu löschen in der Lage sind.

Hamburg sieht sich nun mit Problemen konfrontiert, die auch andere grosse Hafenstädte betreffen, ob Rotterdam oder Hongkong, London oder Boston. Einstige Hafenareale stehen zur Disposition, und die mittlerweile vom tertiären Sektor bestimmte Stadt hat die Chance, durch Umwandlung von Industriebrachen in Richtung Wasser zu wachsen. Zweifellos besteht hier für Hamburg ein grosses Potenzial: Nur wenige hundert Meter vom Hauptbahnhof entfernt befinden sich weitläufige, zur Bebauung freigegebene Flächen inmitten der Elbe und ihrer Seitengewässer. Dabei ist nicht zu übersehen, dass mit der neuen finanzkräftigen Klientel die noch bestehenden alten Nutzungen verdrängt werden. Dies betrifft vor allem die «Speicherstadt», den etwa 1,5 Kilometer langen Warenspeicherkomplex für Kaffee, Tee, Teppiche und Gewürze auf der Brookinsel zwischen Kehrwiederspitze und Sandtorhafen, der zwischen 1893 und 1912 auf dem Terrain eines niedergelegten Altstadtquartiers nach den historisierenden Plänen des Ingenieurs F. A. Meyer entstand.

Das grandiose Ensemble, das die Tradition des Backstein-Historismus der Hannover'schen Bauschule um Conrad Wilhelm Hase fortsetzt, stiess im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer wieder auf Ablehnung; Gustav Adolf Platz, Autor des 1927 erschienenen Ergänzungsbandes zur zeitgenössischen Architektur der «Propyläen-Kunstgeschichte», sprach von einer sich austobenden Pseudogotik, der gegenüber erst der Hamburger Baudirektor Fritz Schumacher und - mit dem nahe gelegenen Chilehaus - der Architekt Fritz Höger den «Weg zur Gesundung» gefunden hätten. Inzwischen gilt die erst 1991 unter Denkmalschutz gestellte Speicherstadt als touristische Attraktion ersten Ranges: In den niedrigen Lageretagen haben sich daher eine Reihe von Museen eingerichtet, ob der «Hamburg Dungeon» oder «Spicy's Gewürzmuseum». Noch ist die Speicherstadt grösster Lagerplatz der Welt für Orientteppiche. Doch dessen Tage sind gezählt: Die (landeseigene) Hafengesellschaft HHLA als Eigentümerin des citynahen Ensembles weiss, dass sich mit der Vermietung der Geschosse als Büroflächen weitaus mehr Einnahmen erzielen lassen als mit Lagerraum; den Teppichhändlern wird die Verlängerung der Mietverträge verweigert. Um Licht in die tiefen Geschosse zu bringen, ist die weitgehende Zerstörung der inneren Tragstruktur bei der Konversion in Zukunft unvermeidlich.


Eine Perlenkette am Fluss

Verglichen mit anderen Städten begann Hamburg spät mit der Revitalisierung der wassernahen Flächen. Das zweite Hamburger Bauforum versammelte im Jahr 1985 eine Reihe internationaler Architekten, um Ideen für die Neugestaltung des sieben Kilometer langen nördlichen Elbufers zwischen den Norderelbbrücken im Osten und dem Kühlhaus Neumühlen am Rande Altonas im Westen zu entwickeln. Beteiligt waren der spanische Postmodernist Manolo Nuñez, aber auch Peter Cook, Will Alsop und Zaha Hadid.

Die Visionen sind inzwischen der Realität gewichen, und die «Perlenkette» neuer Bauten, die sich vom Fischmarkt in Altona bis zum umgebauten Kühlhaus in Neumühlen hinzieht, ist nahezu komplett. Am überzeugendsten wirkt der Bereich um den Holzhafen, also das östliche Ende des Ensembles. Alsop & Störmer haben hier das ehemalige Stadtlagerhaus von 1880 mit einem viergeschossigen Aufsatz aus Ateliers und Lofts ergänzt, gegenüber ist in einer ehemaligen Mälzerei das Design-Kaufhaus «Stilwerk» eingezogen. Westlich anschliessend wurde durch den Rotterdamer Kees Christiaanse und sein Kölner Partnerbüro ASTOC ein mächtiges Ziegelsteinvolumen realisiert, das dank seinen grossformatigen Durchbrüchen und Aussparungen skulpturalen Charakter annimmt. Ein zweites Gebäude dieser Art sowie ein gläserner 16-geschossiger Wohnturm in kristalliner Form sollen folgen.

Ihren Abschluss findet die Perlenkette mit vier U-förmigen Bürobauten, die auf dem Hochwasserdeich vor dem Geesthang in Neumühlen entstanden sind. Vier Architekturbüros lieferten die Entwürfe, die das starre Grundschema modifizieren: BHPL, Antonio Citterio, Grüntuch & Ernst sowie Bothe Richter Teherani (BRT). Die für das vielbeschäftigte Hamburger Team BRT charakteristische Mischung aus technoiden und expressiven Elementen zeigt auch eine wenige hundert Meter flussaufwärts gelegene Siedlung am Hang, die einmal für «Starter der Medienbranche» gedacht war. Die Zielgruppe existiert nicht mehr, und bei den vier hochpreisigen Bürohäusern in Neumühlen stehen die meisten der Etagen leer.


Pläne für die «HafenCity»

Auch beim umfangreichsten städtebaulichen Projekt Hamburgs, der «HafenCity», bedarf es angesichts der derzeitigen Konjunkturlage wohl eines langen Atems. Südlich und östlich der Speicherstadt werden in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs 155 Hektaren einstiger Hafenanlagen neu bebaut: Die Innenstadt soll sich dadurch um 40 Prozent vergrössern. Den städtebaulichen Wettbewerb des Jahres 1999 gewannen Kees Christiaanse und ASTOC, gemeinsam mit der in der Hansestadt ansässigen Architektengruppe Hamburgplan. Den Gewinnern war es gelungen, eine explizit städtische Struktur zu entwickeln, die sich phasenweise - von Westen nach Osten - realisieren lassen könnte. Vergleicht man das Konzept mit demjenigen, welches das niederländische Architekturbüro West 8 für die Inseln Borneo und Sporenburg im östlichen Hafengebiet von Amsterdam entworfen hat, so wirkt es mit seinen Strukturen aus Blockrandbebauungen und Stadtvillen vergleichsweise konventionell und etwas starr. Einer der Vorteile indes besteht darin, dass sich der Entwurf leicht in Teilbereiche zerlegen lässt, für die einzelne Bebauungspläne ausgeschrieben werden. In den vergangenen Jahren hatte die Stadt vor allem auf die Olympischen Spiele 2012 gesetzt - doch mit der Portierung Leipzigs seitens des nationalen olympischen Komitees wurde in diesem Frühjahr den Träumen der Hamburger ein Ende bereitet.

Unsicher ist die Zukunft des Quaispeichers A, eines grossen Ziegelsteinbauwerks über trapezoidem Grundriss, das der Architekt Werner Kallmorgen in den sechziger Jahren errichtete. In einem Wettbewerb für einen «MediaCityPort» hatte sich vor zwei Jahren das Amsterdamer Team Benthem Crouwel gegen Dominique Perrault und Gigon Guyer aus Zürich durchgesetzt. Gemäss ihrem Konzept wird der Quaispeicher fast völlig zerstört und durch eine geknickte Hochhausscheibe akzentuiert. Als Alternative zu diesem Projekt hatte eine private Investorengemeinschaft in diesem Sommer einen Entwurf für eine Philharmonie der Architekten Herzog & de Meuron präsentiert, den Quaispeicher zu erhalten und auf ihm eine gläserne Zeltlandschaft mit Konzertsälen, Hotel und Luxuswohnungen zu errichten (NZZ 4. 7. 03). Leider ist die Stadt bisher nicht auf das Angebot eingegangen, das Hamburg ein exzeptionelles Beispiel zeitgenössischer Architektur bescheren könnte.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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