Bauwerk

Einkaufszentrum
Hermann & Valentiny - Halle (Saale) (D)
Einkaufszentrum, Foto: Hermann & Valentiny und Partner Architekten ZT GmbH
Einkaufszentrum, Foto: Hermann & Valentiny und Partner Architekten ZT GmbH

Backstein und Streckmetall

Zwei Shopping-Malls, ein Kinopalast, Arztpraxen, Pensionistenklubs: was Hermann & Valentiny im deutschen Halle unter ein Dach gebracht haben, nennt man dort schlicht Bezirksteilzentrum - eines, das städtebaulich und gestalterisch allerdings „erste Sahne“ ist.

21. Oktober 2000 - Liesbeth Waechter-Böhm
Halle-Neustadt verkörpert genau jene „neudeutsche“ Stadtwirklichkeit, über die „Westler“ so gerne hohnlächeln. 35 Geschoße hohe Platten-Wohnbauten, eine „Magistrale“ - das ist die sehr, sehr breite Hauptstraße - und ganz unvermittelt: Brache. Wildwuchs mitten in einem städtischen Gefüge, das in der Ambition steckengeblieben ist.

Aber dann kam die Wende, und später dann kamen auch Hermann & Valentiny. Und dieses österreichisch-luxemburgische Architekturbüro hat mit Wohnbauten, einem Hotel und einer kleinen Passage für das Zentrum von Halle-Neustadt städtebauliche und architektonische Maßnahmen entwickelt, die genau diese neudeutsche Wirklichkeit akzeptieren, die sie aber auch ergänzen, erweitern. Resultat: ein Viertel, das sich mehr und mehr zum städtischen Ganzen verdichtet, zu einer neuen Stadt in der Stadt - mit einer ganz eigenen Qualität.

Highlight der letzten Stunde: das Bezirksteilzentrum. So nennen es die Hallenser Stadtväter, wir würden Einkaufszentrum dazu sagen, obwohl hier tatsächlich mehr als nur Verkaufsfläche geboten wird. Denn neben dem Einkaufen rund um zwei großzügige Shopping-Malls und entlang von Ladenstraßen ist ein Kinopalast (acht Säle) angesiedelt, und es gibt vom Ärztezentrum über den Rechtsanwalt bis zum Pensionistenklub eben doch eine Infrastruktur, die über den reinen Kommerz hinausgeht.

Sagen wir trotzdem Einkaufszentrum dazu. Es ist - wie Hubert Hermann es liebevoll nennt - eine Art Kuhfladen an der Hauptstraße. Ein ausgesprochen gewaltiger Kuhfladen. Denn das in seiner Grundstruktur L-förmige Gebäude hat eine Schenkellänge von annähernd 180 Metern. Daß Hermann Kuhfladen dazu sagt, hat auch nichts mit den flächenmäßigen Dimensionen zu tun, sondern mit der Höhe. Gleich dahinter ragen nämlich die besagten Plattenbauten mit ihren 35 Geschoßen auf. Und das ist schon ein Maßstabssprung.

Das Haus ist ein glücklicher Wurf. Daran besteht kein Zweifel. Es ist keine Schwester jener Pestbeulen, um Wiener Beispiele anzuführen, wie wir sie aus SCS und SCN kennen. Es hat architektonischen Charakter, es hat Format. Und es ist städtebaulich eine durchüberlegte Komposition, die einen ernstzunehmenden Beitrag zur Qualität des gesamten Viertels darstellt.

Es ist ein Backsteinbau. Dunkel, sehr dunkel. Und ausgesprochen elegant. Der Klinker wurde an den Fassaden eingesetzt, die zur Stadt und zur Magistrale orientiert sind, aber nur dort, wo es um Hauptfunktionen geht. An der Magistrale verjüngt er sich, er verschwindet, er macht dann einer Streckmetall-Membran Platz, die die Parkdecks einhüllt. Streckmetall ist überhaupt das zweite dominante Material. Die ideale Hülle für Nebenfunktionen.

An der Magistrale: der bauchige Teil des Gebäudes. Ein Schiffsbauch? Jedenfalls bildet er eine überaus markante Ecke und ist gläsern aufgeschnitten, sodaß man den Menschenstrom zu den Kinos sieht. Architekten ist es heute ja leider untersagt, in die Kino-Architektur einzugreifen. Die wird von den Großkonzernen bestimmt (siehe auch Coop Himmelb(l)au in Dresden). Aber wenigstens bildet sich in einem der großen Säle die Gegenform des Gebäudebauchs ab. Schon das ist schön. - Und dann die lange stadtseitig orientierte Gebäudefront. Der Backstein schimmert da je nach Sonnenlicht-Einfall dunkelviolett bis hellrot - wirklich toll. Und da kommt auch noch der Faktor Intelligenz dazu. Denn Hubert Hermann hat natürlich genau gewußt, was ihm an dieser Fassade an Werbeflächen-Anforderungen bevorsteht. Er hat vorausschauend reagiert. Mit Vordächern, die gewissermaßen multifunktional sind. Sie erlauben den „trockenen“ Gang entlang des Gebäudes auch bei Schlechtwetter, ihre Streckmetall-Verkleidung bildet gleichzeitig die Hintergrundfolie für die Werbung. Die wird also zu einem heterogenen, wie auch immer illuminierten Band des Kommerzes. Soll sein.

Es gibt Schaufenster nach außen, obwohl Einkaufszentren in aller Regel nach innen, zu den Malls orientiert sind. Das macht das Gebäude interessanter für den Passanten. Es wird so zu einem Beitrag zur öffentlichen Atmosphäre - ganz im Gegensatz zu den quälenden Schuppen üblicher Art.

Drinnen: zwei große Malls, glasüberdacht. Aber Low Tech, nicht High. Und trotz der Lichttechnik von Bartenbach nicht zugeklebt, sondern mit einem Raster bedruckt, der einen auch noch den Himmel spüren läßt. Der Architekt konnte nicht aus dem vollen schöpfen, das muß man vorausschicken: Bedingungen wie Fuksas in Salzburg-Kleßheim hatte er nicht. Aber Geld spielt ja nur selten die ausschlaggebende Rolle. Daher: ein großartiger Raumeindruck, eine wunderbare Materialisierung. An den Stirnwänden ein Tomatenrot, über den Geschäften flaschengrüne Glasschürzen, Terracotta gegenüber: ein perfektes Zusammenspiel der Materialien.

Eine absolute Sensation: die Dachlandschaft. Es gibt nicht nur die streckmetallverkleideten Parkdecks, die oben übrigens mit einer pergolaartigen Lamellenschicht der Begrünung harren, es gibt auch jenen Dachteil, der über dem eigentlichen Einkaufszentrum liegt. Und dort haben Hermann & Valentiny einen Außenraum geschaffen, der seinesgleichen sucht. Es ist die fünfte Fassade des Gebäudes. Und sie hat De-Chirico-Qualität. Da ragen die - 21 Meter hohen - Glaskörper der Malls heraus, da sind backsteinverkleidete Körper zu sehen, und alles, was aufgeschnitten, ausgeschnitten wurde, ist melonengelb gefärbelt. Eine irreale Situation. Sie wird nur dadurch in die heutige Lebenspragmatik zurückgeholt, daß zwischen den Baukörpern keine grün gestaltete Freifläche im Sinn des Architekten realisiert wurde, sondern - auch hier - Parkplätze das Terrain besetzen.

Dieses Einkaufszentrum ist mehr als gelungen. Und es trägt seiner Umgebung Rechnung. Denn von den Plattenbauten hat man zuvor auf Wiese geschaut. Der Gedanke, die „fünfte Fassade“ speziell zu gestalten, kommt also nicht von ungefähr. In solchen Situationen geht es um die architektonische Verantwortlichkeit. Hubert Hermann hat sie ernst genommen. Und daß seine Überlegungen aufgegangen sind, das sieht man vor Ort: Das Ding ist überlaufen.

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