Bauwerk

Ground Zero - Gedenkstätte
- New York (USA) - 2003

Fussabdruck der Leere

Ein Denkmal für Ground Zero in New York

Am vergangenen Mittwoch ist der lang diskutierte Entscheid betreffend die Gestaltung der Gedenkstätte für die Opfer des 11. September gefallen (vgl. NZZ vom 8. 1. 2004). Der kargste Entwurf schien aus der Sicht der professionellen Architekturkritiker am konsensfähigsten; ob er die Bedürfnisse der Besucher erfüllt, ist eine andere Frage.

10. Januar 2004 - Andrea Köhler
Am vergangenen Mittwoch ist der lang diskutierte Entscheid betreffend die Gestaltung der Gedenkstätte für die Opfer des 11. September gefallen (vgl. NZZ vom 8. 1. 2004). Der kargste Entwurf schien aus der Sicht der professionellen Architekturkritiker am konsensfähigsten; ob er die Bedürfnisse der Besucher erfüllt, ist eine andere Frage.

Ein «Tränensee» war in einem Entwurf vorgesehen, 92 «Hoffnungsbotschaften» sollten in einem andern Vorschlag in die Mauern gemeisselt werden, 2892 schwebende Grabkerzen sah ein drittes Modell vor. Zwei Gärten voller Gedenkstelen, ein Hain mit Ahornbäumen, eine überdimensionale Wolke aus Licht, Beton und ambitioniertem Formwillen kamen in die Endauswahl für den «grössten Architekturwettbewerb aller Zeiten» - die Gedenkstätte auf Ground Zero. Vielerlei Auflagen und Sonderinteressen hatten der Ausschreibung für das Memorial von vorneherein ein kaum zu bewältigendes Programm aufgebürdet. Nicht nur der Toten der Terroranschläge vom 11. September sollte gedacht werden, sondern auch der Opfer des Bombenanschlags auf das World Trade Center im Jahr 1993. Die Toten selbst sollten, auf Wunsch der Feuerwehrleute und Polizisten, noch einmal unterschieden werden in Helden und gewöhnliche Opfer. Ein Extra-Raum für die nicht identifizierten sterblichen Überreste, einer für die Angehörigen und ein Platz für offizielle Zeremonien, ein Ort, an dem das Ereignis des 11. September dargestellt wird, und eine gestaltete Grünfläche wurden verlangt - und allem voran ein Denkmal, das nicht nur den Verlust repräsentiert, sondern auch Hoffnung und Trost spendet. So kamen jene multifunktionalen Modelle in die finale Runde, die vor allem eines auslösten: schrille Ablehnung.


Kakophonie der Interessen

Wie ein Aromatherapie-Center sähen all diese Entwürfe aus, schrieben die Architekturkritiker, wie ein Freizeitpark für die Psychobubble-Society, voller Kitsch, planer Volkspädagogik und ohne jede symbolische Kraft, ja geradezu wie die Design gewordene Vermeidung jeder Erinnerung an die Tragödie. Als die wochenlang tobende Diskussion um das Mahnmal auf «heiligem Grund» in die letzte Phase getreten war, schwoll der Chor der Unzufriedenen an zu einer Kakophonie, die die diversen Interessen kongenial zum Ausdruck brachte. Mehr als zwölf Stunden hatte die 13- köpfige Jury für ihre endgültige Entscheidung getagt - und von den zuletzt favorisierten beiden Modellen keines genommen. Der Sieger, «Reflecting Absence» von Michael Arad und Peter Walker, war bis zum Schluss der nur hinter vorgehaltener Hand erwähnte Joker im Spiel. Es sieht so aus, als wäre die Wahl dieses minimalistischsten aller Entwürfe vor allem das Ergebnis eines nicht zu erlangenden Kompromisses: Je mehr Absenz, desto weniger gibt es, worüber zu streiten wäre.

Michael Arads Modell ist das von den meisten Architekturkritikern am ehesten begrüsste und von den Hinterbliebenen und Feuerwehrleuten am heftigsten kritisierte Modell - in jedem Fall ist es die finsterste aller vorgeschlagenen Visionen. Von 5201 Entwürfen aus 63 Ländern hatten es 8 in die finale Runde geschafft; deren Modelle und Computer-Animationen sind derzeit im restaurierten Wintergarten des World Financial Center ausgestellt.

Schon wahr, einige der Entwürfe sparten nicht mit salbungsvollen Begriffen, sonderlich der immer wieder beschworene «Kreislauf des Lebens», der repräsentiert werden solle, suggeriert einen natürlichen Vorgang von Sterben und Wiedergeburt, wo Terror und Technik an die 3000 Leben auslöschten. Doch was die Kritiker der publikumsfreundlicheren Modelle höhnisch als Wellness-Ästhetik abtun, ist in Wahrheit ein Zugeständnis an den legitimen Wunsch der Besucher, nicht durch dräuende Mauern, schlauchartige Gänge und brutalen Beton in eine klaustrophobische Trauerstarre versetzt zu werden: ein Design, wie es das nun gekürte Modell - wenigstens in seiner ursprünglichen Version - vorsieht. Arads Modell besteht im Wesentlichen aus zwei Wasserbassins, die in die sogenannten «Fussabdrücke» der ehemaligen Zwillingstürme eingelassen sind - die «kraftvolle und simple Artikulation» der Footprints mache «die hinterlassenen klaffenden Lücken zu elementaren Symbolen des Verlustes», erklärte der Jury-Sprecher Vartan Gregorian. Vom Strassenlevel fällt Wasser in die neun Meter tiefen Becken; unterirdische Gänge geben den Blick auf die Wasservorhänge frei. Der Platz zwischen den Fundamenten, der ursprünglich kahl bleiben sollte, ist von dem erst neuerdings hinzugekommenen Landschaftsarchitekten Peter Walker mit einem Pinienwäldchen versehen worden; wie aus Insiderkreisen verlautet, hat erst diese Ergänzung den Ausschlag für das kahlste und kälteste der Modelle gegeben.


Mahnmal oder Gedächtnisort?

Die Erhaltung und kreative Gestaltung der Twin-Tower-Sockel war eine der wesentlichen Auflagen für die Ausschreibung des Designs. Für viele Kritiker allerdings ist das Hauptelement in diesem Entwurf bisher nicht erfüllt: die Einbeziehung der verbliebenen Reste der Türme auf dem inzwischen geräumten Ruinenfeld von Ground Zero - die aus dem Boden ragenden Stahlträger und der Zugang zu den tiefer liegenden Fundamenten. Der endgültige Entwurf, der erst nächste Woche bekannt gemacht wird, wird mit dem bisher gezeigten so wenig mehr gemein haben, dass noch niemand ein Urteil abgeben mag. Gleichwohl bleibt ein wesentlicher Einwand bestehen: Arads Modell wird nicht umsonst seiner Düsternis und Strenge wegen gefürchtet. Naturgemäss wurden in der hitzigen Diskussion um die angemessene Gestalt des Denkmals häufig Vergleiche laut - mit dem Vietnam Memorial des Jurymitgliedes Maja Lin beispielsweise oder dem Holocaust Museum von Washington, ja gar mit der Berliner Gedächtniskirche.

Eine Gedenkstätte für die Toten aber ist kein Mahnmal gegen Menschheitsverbrechen und Krieg, sondern ein Ort der Erinnerung. Sie soll den Verlust reflektieren, nicht Schuld und Terror. Und keineswegs muss sie, wie auch gefordert, «die Frage stellen, warum die Terroristen uns hassen». Sicher: Die Erinnerung an die Toten des Terrors braucht ein Symbol der Trauer, das das Geschehene mitreflektiert. Doch soll es zugleich die Hinterbliebenen trösten, die ihre Nächsten nicht haben begraben können. Schon deshalb muss dieses Memorial - wie jeder Friedhof - ein Ort sein, an dem man sich aufhalten mag. Die Entscheidung für Arads «Reflecting Absence» ist die Entscheidung nicht für einen Erinnerungsort, sondern für ein Mahnmal. Es erinnert in seiner bis anhin gezeigten Version fatal an ein Mausoleum, in dem die Absenz alles Lebendigen auch für die Zukunft festzementiert werden könnte.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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