Bauwerk

Experience Music Project
Frank O. Gehry - Seattle (USA) - 2000

Die Rock'n'roll-Geisterbahn

In Seattle wurde das Experience Music Project eröffnet

Mit einem interaktiven Museum des Rock und Pop hat sich der Microsoft-Mitgründer und Jimi-Hendrix-Fan Paul Allen einen Traum erfüllt. Mit beispiellosem technischem Aufwand versucht das Museum, die Popmusik als Erlebnis eher denn als künstlerische Form erfahrbar zu machen. Frank Gehry hat diesem Konzept eine architektonische Form gegeben.

29. Juni 2000 - Jörg Häntzschel
Museumseröffnungen können belanglose Zeremonien sein. Doch die Eröffnung des «Experience Music Project» (EMP) am letzten Wochenende in Seattle kulminierte in einem Akt, der in einer Sekunde mehr verriet als alle Festreden. Paul Allen, der drittreichste Mann der Welt, schmiss vor versammelter Presse eine eigens zu diesem Zweck hergestellte gläserne Gitarre in Scherben. Die Eitelkeit, die Begeisterung des Fans und die Hoffnung, durch Imitation von Popstar-Gesten dem Popstar-Sein ein wenig näher zu kommen: Sie umrissen das Programm dieses einzigartigen Museums des Rock'n'roll. Teenager spielen Luftgitarre und singen in unsichtbare Mikros. Paul Allen spielt in der Amateurband «Grown Men». Teenager dekorieren ihre Zimmer mit Star-Postern. Allen liess Frank Gehry für seine Rock'n'roll-Schätze ein 240-Millionen-Dollar-Museum bauen.

Allen, 47, und Bill Gates, die 1975 Microsoft gründeten, waren Schulfreunde. Obwohl Allen wegen einer Krebserkrankung 1982 die Firma verliess, blieb er einer der Hauptaktionäre. Sein Gesamtvermögen - inklusive einer Football- und einer Baseballmannschaft und Beteiligungen an 125 anderen Unternehmen - wird auf 30 Milliarden Dollar geschätzt. Doch während andere Reiche ihr Geld an Wohlfahrtsverbände oder Museen verteilen, mischen sich bei Allens Projekten Philanthropie und Geschäftssinn, öffentliches Wohl und private Spinnerei. In Downtown Seattle liess er das Kino seiner Kindheit rekonstruieren. Ein Bürozentrum ist ebenso im Bau wie ein Kindertheater und ein neues Stadion für die Seattle Seahawks. Jeffrey Ochsner, Chef des Architektur-Instituts an der University of Washington, nannte ihn ein «modernes Äquivalent zu den Medici». Andere vergleichen ihn mit Baron Haussmann.

Die Welt anhand seiner 80 000 Objekte umfassenden Sammlung vom Genie des in Seattle aufgewachsenen Jimi Hendrix zu überzeugen, war Allens ursprüngliches Motiv. Doch Memorabilia allein können nicht singen. So entwickelte sich der Ehrgeiz, nicht nur eine illustrierte Geschichte des Rock und Pop zu schreiben, sondern aus den Exponaten jenen «Spirit» herauszukitzeln, der Pop ausmacht. Ein beispielloser technologischer Aufwand und Frank Gehrys Architektur halfen, den Traum zu verwirklichen. Das Innere des EMP ähnelt einem Netzwerk von Höhlen, dessen Zentrum die «Sky Church» ist. Allen hat eine Zeile, in der Hendrix von einem mythischen Rock-Himmel phantasiert, wörtlich genommen und ein Besucher-Terminal mit Panoramakino daraus gemacht. Im «Sound Lab» versuchen sich die Besucher in schalldichten Kammern an Instrumenten, oder sie treten vor einem simulierten Stadion-Publikum auf: Jeder ist ein Star. Der Schlüssel zu den Ausstellungen zu Hendrix und der Geschichte der Popmusik ist ein tragbarer Computer mit Touchscreen und Kopfhörer. Wer mehr wissen will zu dem Trümmer der in Monterey zerschlagenen Gitarre oder den Turnschuhen von Run DMC, lädt sich Fotos, Kommentare oder Songs per Infrarot-Link herunter. Aus der konventionellen Ausstellungsoberfläche wird so ein schier unendlicher Hypertext.

Frank Gehry, seit Bilbao selbst ein Popstar, hat mit dem spektakulären Gebäude versucht, Allens Rock'n'roll-Marotte in Architektur zu übersetzen. Wie Batzen von Knetmasse in den Händen von Kleinkindern falten und pressen sich sechs klobige Formen auf die unmöglichste Weise zu einem kruden und sehr lauten Gebäude. Silbern, violett, knallrot und Stratocaster-blau schillert ihre wie im Wind flatternde Stahl- und Aluminiumverkleidung in der Sonne. Dem Gebäude fehlt die Eleganz von Bilbao und die Leichtigkeit, mit der sein Guggenheim-Museum über dem New Yorker East River schweben soll. Doch das scheinbar Grobe und Unausgefeilte ist intendiert: «Es sollte nicht edel werden», meinte Gehry. Alles andere hätte in der Umgebung auch fremd gewirkt. Hier, im Seattle Center, etwas ausserhalb von Downtown, fand 1962 die Weltausstellung statt. Übrig geblieben sind Ausstellungshallen, ein abgetakelter Vergnügungspark und die Space- Needle, ein kurioses Denkmal der Raumfahrteuphorie.

Im Lichte seiner Nachbarn betrachtet, ist auch das EMP nichts anderes als ein theme parc für Babyboomers und ihre Kinder. Sex, Drugs und Rock'n'roll, die die Eltern noch in natura erlebten, kommen als pädagogische Kreativitätsbeschwörung, Entertainment und kryptoreligiöse Pop-Spiritualität im Jahr 2000 an. Am deutlichsten wird dies bei der «Artists Journey». Auf schwankenden Stühlen und von nicht halluzinogenen 3-D-Effekten überwältigt, begleiten wir zwei Youngsters bei ihrer Himmelfahrt «in den Funk». Statt des Dealers schickt sie hier ein braver Engel im weiss glitzernden Disco-Outfit auf die Reise.

Eine leise Wehmut lag über dem Eröffnungswochenende. Selbst das interaktivste Museum, selbst die aufwendigste «Experience» ersetzt nicht die eigene Erfahrung. Und auch das grösste Aufgebot von Superstars - Allen hatte Eurythmics, Beck, Alanis Morissette, Metallica, James Brown, Snoop Doggy Dog, Dr. Dre und etliche andere gebucht - garantiert kein Erlebnis, wenn die Konzerte durchgeplant sind wie ein Staatsbesuch in Nordkorea. Allen hatte davon geträumt, sein Schicksal, nur Milliardär, kein Rockstar geworden zu sein, mit Hilfe seines Projekts doch noch austricksen zu können. Aber als er am Morgen nach der Eröffnung aufwachte, war er - immer noch derselbe.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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