Bauwerk

Membrandach
Otto Häuselmayer - Ephesos (TR) - 2000
Membrandach, Foto: Rupert Steiner
Membrandach, Foto: Rupert Steiner

Ingenieurbaukunst in Haute Couture

Denkbar heikel war die Aufgabe: Es galt, die gut erhaltene Ruine einer antiken Wohnanlage in Ephesos „einzuhausen“. Otto Häuselmayers und Wolfdietrich Ziesels reflektierte, uneitle und funktional optimierte Lösung hat das Zeug, sich zum Vorzeigeprojekt zu entwickeln.

Archäologie und zeitgenössische Kunst, das ist eine Verbindung, die nur selten zu einem glücklichen Gesamtergebnis führt. Wiener können das bei jedem Gang über den Michaelerplatz beobachten, obwohl der vielleicht ein untypisches Beispiel ist. Denn erstens liegen diese Ausgrabungen mitten in der City und zerstören einen innerstädtischen Platz; zweitens hat sich von Anfang an die Frage gestellt, ob sie wirklich die Substanz haben, die eine öffentliche Inszenierung zwingend macht; und drittens überfordert sowohl das architektonische Konzept als auch dessen Materialisierung den ohnehin ziemlich ärmlichen archäologischen Bestand.

Man durfte also gespannt sein, was die Österreicher im Kontext ihres Vorzeige-Ausgrabungsfeldes, in Ephesos, an zeitgenössischer architektonischer Intervention zustande bringen. Dort, wo im Verlauf vieler Jahrzehnte das Zentrum einer vorchristlichen „Großstadt“ ausgegraben wurde und im Durchschnitt jährlich eineinhalb bis zwei Millionen Besucher durchgeschleust werden, kommt heutigen architektonischen Aktivitäten zweifellos eine besondere Bedeutung zu.

Konkret ging es darum, die besonders gut erhaltene Ruine eines großangelegten Hanghauses durch eine - wie auch immer angelegte - „Einhausung“ zu schützen. Dem Kenner zeitgenössischer Architektur wird bei einer solchen Aufgabenstellung sofort ein Vergleichsbeispiel einfallen: Peter Zumthors Schutzbauten für die römischen Ausgrabungen in Chur aus den achtziger Jahren. Zumthor hat diese Aufgabe unprätentiös gelöst, mit einer „Verpackungsarchitektur“ aus durchlässigen Holzlamellen, die aber exakt den ursprünglichen römischen Baukörpervolumina folgt.

Der Ansatz, den das in einem Gutachterverfahren erfolgreiche Team aus dem Architekten Otto Häuselmayer und dem Statiker Wolfdietrich Ziesel verfolgte, ist zwar anders, aber als gelungener, feinfühliger Umgang mit einer so diffizilen Aufgabenstellung sicher ebenso vorzeigbar.

Man sieht es schon von weitem, das textile Dach über dem Hang mit der wertvollen Hanghausruine. Es fällt dabei nicht aus dem Rahmen der von weitem zunächst landschaftlichen Umgebung, es ist eher ein im Sonnenlicht schimmerndes architektonisches Fragezeichen, besser: ein Versprechen, das man unweigerlich aus der Nähe in Augenschein nehmen möchte, eine Art visueller Magnet.

Dieses in den Hangverlauf eingebettete Membrandach kann dann, wenn man davor und vor allem darunter steht, wirklich sehr viel. Nicht nur vom architektonischen Konzept her und der konstruktiven Lösung, auch durch die Wahl der Materialien. Häuselmayer und Ziesel ist es ganz offensichtlich nicht um willkürliche (formale) Selbstverwirklichung am illustren Ort gegangen, sondern um den Einsatz all ihres Könnens zugunsten einer Aufgabenlösung, die - so altmodisch oder überholt es klingen mag - aus der Faszination und dem Respekt resultiert, den ein dermaßen geschichtsträchtiger Ort jedem reflexionsfähigen Künstler-Architekten-Konstrukteur heute nach wie vor abzuverlangen vermag.

Das Bauwerk ist so schlicht und doch zeitgemäß, so sensibel und doch komplex wie nur möglich. Eine leicht abgetreppte Membranhaut folgt dem Hang, an den Seiten transparent durch Lexan-Bahnen (also nicht Glas, sondern einen Polycarbonattyp) geschlossen. Und das - minimierte - Tragwerk ist aus Edelstahl. - Ziesel hat all sein Können, all seinen Erfindungsreichtum eingesetzt, um dieses Tragwerk optimal auszubilden. Denn eines muß man sich klarmachen: Auch der Denkmalschutz hat in den letzten Jahrzehnten eine Entwicklung durchlaufen, die für zeitgenössische Interventionen gleich welcher Art rigorose Folgen nach sich zieht. Das heißt: Der archäologische Bestand durfte nicht nur nicht angetastet werden, man durfte ihm nicht einmal nahe kommen. Es gab eine kritische Phase in der Entwicklung des Projekts, da hätte eine Stütze des Einhausungsprojekts eine Mauer des archäologischen Bestandes geringfügig tangiert. Die Überlegung von Häuselmayer/Ziesel ging dahin, diese Berührung sichtbar zu machen. Ihre Umsetzung ist am Einspruch des - für das Gesamtprojekt äußerst verdienstvollen - Leiters des Österreichischen Archäologischen Institutes, Friedrich Krinzinger, gescheitert: Das gesamte Bauwerk wurde schließlich um 20 Zentimeter verschoben.

Es lohnt sich, genauer anzuschauen, wie dieses Bauwerk beschaffen ist. Denn schon die Wahl der Dachmembran ist besonders gelungen. Sie besteht aus einer Kunststoffhaut - Fiberglas und Polytetraflourethylene -, die ganz hervorragende Eigenschaften hat: Sie ist wasserdicht und witterungsbeständig, schwer brennbar und UV-beständig, sie ist schmutzabweisend, läßt das Licht durch, aber die Sonnenenergie nur sehr bedingt, und sie ist ganz besonders leicht - ein Kilogramm pro Quadratmeter -, aber sehr belastbar - 8000 Kilogramm pro Quadratmeter.

Auch das Fassadenmaterial wurde glücklich gewählt: Es ist ebenfalls aus Kunststoff, aber transparent wie Glas, sodaß man die archäologischen Bestände von außen gut sieht. Das ist schon deswegen wichtig, weil Besucher nicht einfach nach Belieben in diesen Bau hineinkommen. Sie müssen geführt werden. Wäre das nicht so, man hätte vielfältige Sicherungsmaßnahmen entlang der Besichtigungswege anbringen müssen und damit die - überaus eindrucksvolle - Gesamtwirkung dieser Ausgrabung essentiell gestört. Außerdem: Immer stärker setzt sich das Bewußtsein durch, daß die Bewahrung solcher „ausgegrabener“ Geschichtszeugnisse nicht beliebig perpetuierbar ist. Wenn man sie wirklich erhalten will, dann darf man sie nicht uneingeschränkt vermarkten.

Man muß sich die Einhausung übrigens luftdurchlässig vorstellen, nicht als dicht geschlossene Hülle. Der Umgang mit dem Wind und dem Staub, zum Leidwesen von Krinzinger auch mit der Tierwelt, die einen willkommenen Unterstand in der Einhausung sieht, war insofern ein Kriterium. Winzige architektonische Details fallen in diesem Zusammenhang auf, erklären sich aber aus den Voraussetzungen am Ort: Die Zwischenräume zwischen den Fassadenbahnen wurden zum Beispiel so berechnet, daß der von außen eindringende Staub so verwirbelt wird, daß er eben nicht ungebremst eindringt. Und es gibt da, wo die Sonne eine Gefahr darstellt, auch transluzente Fassadenelemente.

Ziesels Tragwerk spielt alle „Stückln“. Daß er Edelstahl als Material gewählt hat, liegt noch irgendwie auf der Hand: Es ist haltbar und wartungsfrei und erlaubt einen geringen Materialaufwand. Denn eine filigrane Konstruktion war dem leidenschaftlichen Verfechter einer neuen „Ingenieurbaukunst“ sowieso ein zwingendes Anliegen. Er hat nur die wenigen Stützen in Normalstahl ausgeführt, aus nachvollziehbaren - hauptsächlich ökonomischen - Gründen. Darüber hinaus ist das Tragwerk raffiniert detailliert und konzeptuell in jeder Hinsicht ein Gewinn für die architektonische Gesamterscheinung. Denn Ziesel hat sich eine Lösung für die Dachhaut überlegt, die in Feldern funktioniert. Sie haben ein Ausmaß von ungefähr 25 mal elf Meter und werden durch eine Unter- beziehungsweise Überspannung stabilisiert. Die gesamte Dachkonstruktion hat - einschließlich Stahlbau - ein enorm niedriges Gewicht: 25 Kilogramm pro Quadratmeter. Auf Grund der Gegebenheiten vor Ort mußte die ursprüngliche Konstruktion dabei durch ein zusätzliches konstruktives „Rückgrat“ verstärkt werden, das Ziesel auch skulptural attraktiv ausgebildet hat.

Was jenseits aller - von Häuselmayer mit gewohnter Bescheidenheit, aber auf höchstem Niveau angesiedeltem Anspruch - realisierten Architektur, jenseits aller Konstruktion das wesentliche ist: Unter der Einhausung herrscht sowohl vom Licht her als auch klimatisch eine besondere Atmosphäre: angenehm, was die Temperaturen angeht, noch angenehmer, was die Lichtsituation betrifft. Auch Krinzinger, der gestrenge Schirmherr über die archäologische Substanz, weiß die architektonisch-konstruktive Geste des Bauwerks zu schätzen. Und die türkischen „Eigentümer“ wissen es, nach schwierigen Durchgangsphasen, nun auch.

Diese „Einhausung“ ist hervorragend geglückt. Uneitel, nicht auf sich selbst verweisend, wiewohl substantiell genug da ist, das die Beachtung lohnt. Über- und untergeordnet zugleich: ein zeitgenössisches Architekturstatement sondergleichen, ein inhaltlicher Anlaß - in Form der spektakulären Ausgrabungsergebnisse -, der diesen Aufwand und Einsatz allemal lohnt.
Wenn man in Ephesos ist, dann geht es einem übrigens wie an so vielen anderen historischen Orten: Man weiß, daß hinter jedem Hügel ein weiterer archäologischer Anlaß der Ausgrabung harrt. Krinzinger ist dagegen. Er sagt, daß wir kaum imstande sind, das, was jetzt ausgegraben ist, wissenschaftlich und nicht zuletzt konservatorisch entsprechend zu bearbeiten. Also: Keine weiteren Ausgrabungen mehr, weil das, was unter der Erde der Entdeckung harrt, dort am besten aufgehoben ist. Wahrscheinlich hat er recht. Es schmerzt trotzdem, daß eine Wohlstandsgesellschaft wie die unsrige nicht imstande ist, jenes Investitionspensum zu leisten, das weitere Ausgrabungen sinnvoll und - das vor allem - langfristig sicher macht.

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