Bauwerk

Haus im Weinviertel
Hochholdinger Knauer Architekten - Unterolberndorf (A) - 1999

Es geht auch ohne Feng Shui

Ein traditionelles bäuerliches Bebauungsschema, einen formal zeitgemäßen Neubau und umwelttechnologische Standards auf der Höhe der Zeit: Gabriele Hochholdinger und Franz Knauer brachten mit dem Haus K. in Unterolberndorf, Weinviertel, all das unter einen Hut - und erzielten zudem höchste Wohnqualität.

10. Juni 2000 - Judith Eiblmayr
Unterolberndorf ist ein idyllischer kleiner Ort, eingebettet in die sanfte Weinviertler Hügellandschaft. So typisch das Dorf in seiner Formation und Bevölkerungsstruktur für diese Gegend ist, so untypisch ist seine Geschichtsträchtigkeit. Kaum jemand würde vermuten, daß ausgerechnet hier die Verfassung eines schwarzafrikanischen Staates formuliert wurde: 1985 trat die Exilregierung von Uganda unter der Führung des späteren Präsidenten Yoweri Museveni im Dorfwirtshaus „Zum grünen Jäger“ zu einer konspirativen Sitzung zusammen, um den Sturz des herrschenden Regimes in ihrem Land vorzubereiten. Ein Unterfangen, das von Erfolg gekrönt war, weshalb Unterolberndorf seither als „die Wiege des demokratischen Uganda“ gilt und durch Besuche des Präsidenten in Ehren gehalten wird.

Auch die Ortsbewohner und -bewohnerinnen sind sich ihrer Verantwortung bewußt und initiieren nach wie vor Spendensammlungen, die Entwicklungshilfeprojekte, wie zum Beispiel die Errichtung von Schulen, finanzieren helfen.

Orte wie dieser sind auch längst keine Bauerndörfer mehr, die relative Nähe zu Wien bewirkt einen verstärkten Bezug zur Großstadt, was etwa auch in der Etablierung urbaner Architektur ihren Niederschlag findet. Die ursprüngliche Bebauungsstruktur einer relativ geschlossenen Straßenfront mit großen Toreinfahrten in die Bauernhöfe wurde im Lauf der Zeit aufgelöst und in individualisierter Weise neu geformt: Freistehende Einfamilienhäuser mit Vorgarten stehen an der Stelle der alten, klein dimensionierten Gehöfte, die in immer geringerer Anzahl benötigt und daher abgerissen werden.

Das Wiener Architektenduo Gabriele Hochholdinger und Franz Knauer hat bei der Planung des Projektes Haus K. gezeigt, wie man durch Einbeziehung dieses althergebrachten Bebauungsschemas ein Einfamilienhaus mit höchster Wohnqualität errichten kann. Sie ließen nicht nur das alte Bauernhaus als Nebengebäude stehen, sondern ergänzten dieses straßenseitig, indem die Hofeinfahrt mit einem Dach überbaut und zur Garage umfunktioniert wurde. Zwischen dieser und einer kleinen Einliegerwohnung im Altbestand führt einen der Haupteingang direkt in den großen begrünten Innenhof.

Am Ende des ostseitig flankierenden ehemaligen Wirtschaftstrakts, in dem jetzt Abstell- und Lagerräume untergebracht sind, liegt der ins ansteigende Gelände eingegrabene Weinkeller. In der ursprünglichen Bebauungsstruktur sind entlang dieser Kante die Scheunen situiert, die somit den hinteren Abschluß der Bauernhöfe zu den bewirtschafteten Feldern bilden. Hochholdinger und Knauer haben nun anstelle des Stadels parallel zum Hang das eigentliche Wohnhaus für die Familie errichtet, wodurch der Wunsch seitens der Bauherrn, dem Haus nicht nur formal, sondern auch umwelttechnologisch eine zeitgemäße Entsprechung finden zu lassen, in idealer Weise umgesetzt werden konnte.

Wegen der bestehenden Nebenräume wurde auf eine Unterkellerung des Neubaus verzichtet und das Erdgeschoß ins Gelände eingegraben. Nord- und Ostseite schließen direkt ans Erdreich an, die Wohnräume sind mit großflächigen Verglasungen nach Südwesten in den Hof orientiert und mit einem begrünten Flachdach versehen. Diese Kombination aus gewonnener Sonnenenergie an der Vorderseite und speicherwirksamer Masse an der Rückseite, läßt das Gebäude als prototypisches Niedrigenergiehaus funktionieren, Sonnenkollektoren zur Warmwasserbereitung und ein spezielles Be- und Entlüftungssystem ergänzen das ökologische Energiekonzept.

Dem in den Hang integrierten unteren Geschoß ist ein kleiner dimensioniertes Obergeschoß draufgesetzt. Mit seiner Fassadenverkleidung aus unbehandelten Lärchenholzpaneelen kann die aufgesetzte Schachtel durchaus als Zitat der vormals hier plazierten Scheune verstanden werden.

Allerdings fehlt ihm das steile Dach, wodurch die Besonderheit dieses ganzen Projekts in bezug auf die Bauordnung augenscheinlich wird. Vom in Niederösterreich gültigen sogenannten Satteldachparagraphen, der besagt, daß ein Haus grundsätzlich über ein geneigtes Dach verfügen muß, um genehmigungswürdig zu sein, konnte hier mit Hilfe der Argumentation eine Ausnahme gemacht werden, daß der Neubau von der Straße aus eh nicht sichtbar ist . . . Dieser behördlichen Logik folgend, dient der Altbestand somit nicht nur den Bewohnern als Schutz vor Straßenlärm, sondern auch der Ortsbevölkerung, um vor irritierender Architektur beschützt zu werden.

Von den zwei Kinderzimmern, die im oberen Geschoß untergebracht sind, erschließt sich ein herrlicher Blick über den Ort hinweg auf die Kirche und den Gegenhang des Tales zu. An der Nordseite ist der ebene Ausgang in den oberen Teil des Gartens und ins dahinter liegende Feld möglich. Von hier aus und beim Umschreiten des Hauses zeigt sich, wie intelligent und stimmig die Terrassierung des Baukörpers im tektonischen Kontext ist. Die Kubatur wurde so perfekt ins Gelände hineinmodelliert, daß zu jedem Teil des Gartens ein spezifischer Bezug hergestellt wurde.

Um den Eindruck eines Erdhauses zu vermeiden, werden Durchblicke gewährt, die die räumliche Entwicklung zwischen Haus und Garten klar nachvollziehbar machen. Der Haupteingang im Erdgeschoß erfolgt über ein paar Stufen mittig im Gebäude, rechts erstreckt sich der Wohn-Eß-Bereich mit offener Küche, links liegt das Schlafzimmer mit angrenzendem Bad und der Haustechnikraum. - Betritt man die Diele, wird der Blick auf die Übereckverglasung oberhalb der Treppe gelenkt, die einem sogleich vermittelt, daß der Garten hier weitergeht. Der Innenraum geht fließend in den Außenraum über und wird erst durch einen großen alten Nußbaum begrenzt. Auch der Wohnraum besteht nicht nur aus gemauerten Wänden hinten und der Glasfront vorne: Durch ein horizontales Glasband zwischen dem Mauerwerk und der auf schlanken Stahlstützen punktuell gelagerten Decke wird wiederum eine Blickbeziehung zum oberen Grünbereich hergestellt.

Südwestseitig erweitert sich der Wohnraum wie selbstverständlich nach außen über den atriumartigen Grünraum bis zur gegenüberliegenden Mauer des Altbestands. Der graue Schiefer ist unter den großformatigen Schiebetüren hindurch niveaugleich als Bodenbelag durchgezogen und bildet so eine befestigte Übergangszone zur Wiese hin aus. Gedeckt ist diese Loggia durch die auskragende Stahlbetondecke und daran anschließende Glasfelder, die an der Unterseite mit Rundhölzern belegt sind und somit einen gerasterten Lichteinfall bewirken.

Ein Stahlträgerkranz dient der Erdgeschoßdecke als rundumlaufendes Traufenelement, das auch noch über der nordwestseitigen Terrasse eine Pergola ausbildet und - vertikal betont gestützt durch eine sienarote Mauerscheibe - eine starke horizontale Gliederung des Baukörpers schafft.

Konterkariert wird diese konstruktive Linearität einerseits von zwei Geländestützmauern aus Natursteinen, die vom abgebrochenen Hofgebäude stammen und einem Baum, der, in der Westecke des Innenhofes stehend, konzeptionell so eingebunden wurde, daß er in der warmen Jahreszeit als Schattenspender für die intime, mit Lärchenholz belegte Terrasse an der Breitseite des Hauses zum Tragen kommt.

So nüchtern solch eine technische Baubeschreibung auch klingen mag, so wichtig ist sie, um die klar formulierte architektonische Konzeption der Planer darzulegen. Es bedarf keiner lieblichen Ökozismen oder bauesoterischer Attribute aus der Feng-Shui-Lehre, um ein Haus „im Einklang mit der Natur“ zur errichten, vielmehr ist es eine technologisch optimierte, intelligente Architektur, die diese Qualitäten schafft.

Gabriele Hochholdinger und Franz Knauer haben sich mit viel Sensibilität auf den Bestand am Grundstück - gebauter wie gepflanzter Art - eingelassen, den Neubau perfekt integriert und den Bauherrn ein auf naturbezogenen Rückzug bedachtes Wohnen ermöglicht. Es ist die Abfolge der beschriebenen räumlichen und atmosphärischen Übergänge, die ein homogenes Ganzes mit einem hohen Maß an Privatheit bilden und dazu geführt haben, daß den Hausbesitzern erst jetzt auffällt, wie wenig Zeit sie - noch in ihrem alten Haus wohnend - im Garten verbracht haben.

Roland Rainer, der kürzlich seinen neunzigsten Geburtstag feierte, wurde nie müde, diese Art des naturbezogenen Wohnens zu propagieren. Ihn müßte es freuen, daß in bester Tradition seines eigenen Werks Bauten jüngerer Kollegen entstehen, die um den Aspekt ökologieorientierter Technologie bereichert die Relevanz seiner Lehre auch fürs 21. Jahrhundert unter Beweis stellen.

Für Unterolberndorf läßt sich der Kreis des Afrika-Bezugs schließen: Der Atrium-Haus-Typ stammt eigentlich aus dem islamischen Städtebau Nordafrikas, womit die Sinnhaftigkeit des Austausches zwischen noch so weit voneinander entfernten Kulturen erwiesen ist.

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