Bauwerk

Bürohaus am Heidenkampsweg
Bothe Richter Teherani - Hamburg (D) - 1999

Vertikale Stadt

Eine Landschaft hinter Glas von BRT in Hamburg

Kontorhaus, Backsteinfassade und zurückhaltende Details sind Koordinaten, entlang denen in Hamburg lange Zeit gebaut wurde. Inzwischen aber holt das Büro Bothe, Richter, Teherani (BRT) mit jedem neuen Gebäude ein Stück zeitgenössischer Architekturgeschichte nach: Mit seinem neusten, «Doppel-X» genannten Bürohaus blickt es nun in die Zukunft.

4. August 2000 - Roman Hollenstein
Vor Jahren, als Hadi Teherani aus Köln nach Hamburg gekommen war, um seinen ersten grossen Auftrag, einen Glaspavillon für das Luxusautohaus Car & Drive, zu realisieren, hatte er noch verstört auf die Hamburger Architekturszene reagiert. Festgefahren im Schematismus des Altbewährten, gleichsam eingeklemmt zwischen angstbenommenem Risikodenken und unbedingter Investorenhörigkeit, schien sie sich im Niemandsland experimentierfeindlicher Inspirationslosigkeit zu verlieren. Massige Kuben aus rotem Backstein waren die Folge. Ein Flugdach hier, ein verglastes Fassadenelement dort: Das war meist alles, woran sich das Auge festsehen konnte. Ein viel versprechendes Umfeld für einen jungen Architekten, der für sich selbst und das Bauen neue Wege suchte, war das nicht.

Zusammen mit seinen Partnern Jens Bothe und Kai Richter darf sich Teherani inzwischen längst zum Establishment der Hamburger Architekturszene zählen. Kaum ein Wettbewerb in der Hansestadt, in dem das Büro BRT nicht seine Formphantasien den Projekten seiner Konkurrenten entgegenhält. Immer mehr Baustellen werden es, an denen Teheranis Ideen in Beton und Glas Gestalt annehmen und der Stadt etwas von seiner Vision erzählen. Jüngstes Beispiel ist sein «Doppel-X»-Bürohaus in Hamburgs Gewerbewüste Billbrook. Vor dem Krieg lebten hier achtzigtausend Menschen. Nach den verheerenden Verwüstungen der Brandbombennächte blieb nur das rechteckige Strassenraster zurück, das nach und nach mit schlichten Lagerhallen, schäbigen Verwaltungskästen und grauer Hinterhoftristesse aufgefüllt wurde. Ein Hauch von der herben Verlassenheit der New Yorker Lagerhaus-Quartiere flieht über die leeren Knüppelpflasterstrassen. Vielleicht deshalb, weil hier der sonst in Europa überall gegenwärtige städtische Dirigismus beinahe fehlt: Keine ehrgeizigen Mindestanteile Wohnraum werden hier vorgeschrieben. Teherani, dem die Stadt dann doch noch eine Ecke seines Hauses zugunsten eines gebührlich breiten Bürgersteigs abschnitt, ist klar warum: Wer in diesem Umfeld leben will, der muss schon «speziell drauf sein». Denn an normales Wohnen ist in dieser Stadtlandschaft, in der ein simpler Kiosk schon zu viel verlangt ist, nicht zu denken.

Teheranis Antwort auf den urbanen Untergang draussen vor der Tür ist die Stadt im Haus drinnen. Über jeweils zwei Büroetagen stapelt er Gärten - und das über 12 Stockwerke. Dazu kommen Tiefgarage, Cafeteria und Lobby. Drumherum hat er eine transparente Haut aus Glas gezogen. Wer nicht unbedingt muss, verlässt diese Stadt im Haus nicht vor dem Feierabend. Die Perspektiven kehren sich um. Der Städter schaut verdutzt in das Haus hinein und sieht, was er draussen nicht mehr finden kann: ein urbanes Gefüge, mit Plätzen der Kommunikation und grünen Flecken des Ausruhens, Sichtachsen und wechselnden Perspektiven, eine offene Vernetzung zu einem funktionierenden Ganzen. Andersherum erscheint die Stadt draussen als eine Illusion, als filmartig vorüberziehende Szenerie.

Beim neuen Bürohaus am Heidenkampsweg bestimmt die Grundform des Doppel-X alles. Namengebend für den Bau, durchzieht dieses Motiv ihn bis ins letzte Detail, von den kariert ausgelegten Bodenplatten bis hin zur x-förmigen Deckenbeleuchtung in den Aufzügen. Wie ein futuristisches Pop-Zitat wirkt das - wie aus einem Science-Fiction-Film der siebziger Jahre, in dem ein Raumschiff namens «Doppel-X» in fremde Galaxien vorstösst. Neben solchen Weltraumphantasien ist die Formwahl erst einmal Garant für ein Maximum von 20 000 Quadratmetern Nutzfläche über der 30 mal 70 Meter messenden Rechteckform, der die zwei X eingeschrieben sind. So entstehen ein zentraler quadratischer Innenhof und sechs dreistöckige Höfe, verteilt an den Seiten. Diese Anordnung ist die eigentliche Überraschung dieses gedrungenen Hochhauses. Diese Form ist mehr als ein blosser Marketingschachzug. Sie bietet in Kombination mit den die Büroflächen durchbrechenden Gärten eine optimale Ventilierung des gesamten Gebäudes. Auf der verschatteten Hausseite tritt kühle Frischluft ein und senkt im Austausch mit der warmen Luft die Temperatur. Transparenz und Durchlässigkeit der Gebäudestruktur helfen künstliche Beleuchtung und Klimatisierung zu sparen. Mit diesem Haus zieht Teherani die Quersumme aus amerikanischem Strip-Philosophem und europäischem Anspruch an das intelligente Haus, aus Robert Venturi und Norman Foster.

Auf den einfachen Nenner eines jederzeit wiedererkennbaren Stils lässt sich Teheranis Arbeit keinesfalls bringen. Statt dessen regiert ein ungebrochen munterer Stilpluralismus die Entwurfsarbeit des Büros. Sie beginnt jedes Mal wieder mit Ort und Wesen der Bauaufgabe und lässt sich in jeder Entwicklungsstufe auf den Genius Loci zurückführen. Der hat Teherani in Köln zu einer Wiederauflage von El Lissitzkys Wolkenbügeln inspiriert - deren Bau entlang des Rheins wurde nach neunjähriger Vorlaufzeit jetzt einstimmig von allen Parteien der Stadt beschlossen. Für Frankfurt wurde ein ICE-Bahnhof im Stile des organischen Pop-Techs von Future Systems und für Berlin eine etagenübergreifende Raummodellierung à la MVRDV entworfen. Bei all diesen Gebäuden treiben ihn das Experiment mit den unterschiedlichsten Lösungsansätzen und der Wille, die Alltagstauglichkeit der besten von ihnen unter Beweis zu stellen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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