Bauwerk

Höhere Technische Bundeslehranstalt
Nehrer + Medek und Partner - Wien (A) - 1999
Höhere Technische Bundeslehranstalt, Foto: studio bézard

Platzeldecken, Eisensprossen

Was tun mit einer alten Ottakringer Tabakfabrik? Die Antwort des Büros Nehrer + Medek: Neu nutzen, sprich mit einem Zubau für die Bedürfnisse einer Höheren Technischen Bundeslehranstalt adaptieren. Ein geglückter Umgang mit einem historischen Zweckbau.

8. Januar 2000 - Liesbeth Waechter-Böhm
Was tun mit ungenutzten, irgendwie übriggebliebenen historischen Gebäuden? Vor allem dann, wenn sie keine Repräsentationsbauten sind, sondern Architekturen profaner Spielart: Zweckbauten, Industriebauten? Es kommt selten vor, daß die heutige „Verwertungsgesellschaft“ befriedigende Antworten auf diese Frage liefert. Die bewahrende Hand des Denkmalschutzes kann da nur wenig ausrichten. Unter dem Vorzeichen der Profitmaximierung stehen solche Häuser wie uneinbringliche Schuldscheine da.

Die hundert Jahre alte Tabakfabrik auf dem ehemaligen Betriebsgelände der Austria Tabakwerke bei der U-Bahn-Endstelle Ottakring gehört in dieses Problemfeld. Nur daß in ihrem Fall mit der Umnutzung als Schule eine glückliche Lösung gefunden wurde.

Die Gunst des Standortes legte eine „echte“ Neunutzung auch nahe. Nicht alle historischen Profanbauten lassen sich mit alternativen und/oder kulturellen Inhalten füllen. Und was von der historischen Substanz bleibt, wenn man auf Biegen und Brechen etwas - zum Beispiel Wohnungen - hineinpressen will, für das sie auf gar keinen Fall geeignet ist, das führen die Gasometer in Simmering eindringlich vor.

Die Höhere Technische Bundeslehranstalt für Maschinenbau, Elektrotechnik und Elektronik ist keine kleine Institution: In den 38 Klassen werden 1100 Tagesschüler und 500 bis 600 Abendschüler unterrichtet. Dafür reichte das Raumangebot in der alten, U-förmigen Tabakfabrik bei weitem nicht aus. Es mußte nicht nur jeder Quadratmeter Fläche im historischen Teil ausgenutzt werden, es wurde auch ein Zubau gebraucht. Den haben die planenden Architekten, das im Schulbau besonders erfahrene Büro Nehrer + Medek, hinter dem Mittelrisalit in den Hof gestellt und mit dem historischen Bauwerk durch das Gelenk eines schlichten Stahl-Glas-Körpers verbunden, der die vertikale Erschließung enthält.

Das Raumprogramm war umfangreich: Gefordert waren nicht nur Klassenräume, sondern vor allem eine große Anzahl unterschiedlicher Werkstätten, Labors, Sonderräume - von der Verwaltung über die Bibliothek bis zum Speisesaal - sowie eine riesige Sporthalle, die auch ein nach internationalen Richtlinien dimensioniertes Spielfeld von 20 mal 40 Metern umfaßt und in zwei Turnsäle teilbar ist.

Diese Sporthalle haben die Architekten unter dem neuen Trakt im Hof in die Erde eingegraben. Es fällt trotzdem über Oberlichtelemente genug Tageslicht ein, und obendrein resultiert aus dieser Lösung eine „formale“ Besonderheit in der äußeren Erscheinung des ansonsten sehr schlichten neuen Baukörpers. Der ist durch Fensterbänder horizontal gegliedert und hat oben ein zurückgesetztes Staffelgeschoß mit einer durchaus bewegten Silhouette. Aus dieser Fassade treten auf der Ebene des sechsten Geschoßes lediglich drei plastische Elemente hervor. Diese „Ausbuchtungen“ mit ihren Knöpfen sind nicht übertrieben inszeniert, trotzdem sind sie so signifikant, daß man sich unweigerlich sagt: Bloßer Formalismus kann das nicht sein, diese Elemente müssen einen Sinn haben.

Und den haben sie auch: Unter dem neuen Klassentrakt liegt die große - stützenfreie - Sporthalle. In den Geschoßen darüber, die nach einem ganz simplen, zweihüftigen Strickmuster gebaut sind - Mittelgang und links und rechts die Klassen -, war es hingegen nicht notwendig, mit solchen Spannweiten zu operieren. Hier gibt es also einen üblichen Stützraster, und diese Stützen sind an drei gewaltigen, vorgespannten Trägern „aufgehängt“. Die drei plastischen Fassadenelemente sind die Spannköpfe, an denen diese Konstruktion ablesbar wird. Theoretisch kann man die Knöpfe dieser Elemente abnehmen und so die Spanndrähte kontrollierten (was allerdings nur alle fünf oder zehn Jahre notwendig sein dürfte).

Der neue Klassentrakt kommt im übrigen ohne formale Spielerei aus. Einschnitte, „Löcher“ in Boden beziehungsweise Decke der einzelnen Geschoße brechen das „Kasernenschema“ auf, ebenso die hohen Glasbänder im Mittelgang.
Der Neubau hält sich an die Traufhöhe des alten Baukörpers. Nur das Staffelgeschoß kommt hinzu, es wird aber vom Mittelrisalit der Tabakfabrik nach außen abgeschirmt. Das bedeutet allerdings auch: Im Neubau sind die Geschoßhöhen wesentlich niedriger. Klassenräume brauchen nur eine lichte Höhe von 3,20 Metern, im Altbau beträgt die Raumhöhe hingegen 5,50 Meter. Für die Werkstätten, Labors und Sonderräume ist das allerdings keine schlechte Option.

Überhaupt sind die Architekten mit dem Altbau feinfühlig umgegangen. Ursprünglich war einmal daran gedacht, den Haupteingang an die Seite, Richtung U-Bahn-Station zu verlegen. Jetzt ist er doch wieder dort, wo er immer war: in der Mittelachse, nur akzentuiert durch ein gläsernes Vordach und - die „Kunst am Bau“ von Waltraud Cooper, die sich von außen ins Haus hineinzieht.

Im Inneren kam es für die Architekten - neben der Sanierung der Substanz - auf zweierlei an: Erstens ging es darum, atmosphärisch etwas vom alten Fabriksgebäude mit seinen großen Werkhallen, den Gußeisensäulen und böhmischen Platzeldecken, aber auch den feingliedrigen Eisensprossen der nur einfach verglasten Fenster in die Gegenwart herüberzuretten; und es ging zweitens darum, ein Maximum nutzbarer Fläche zu schaffen. Letzteres ist durch den Ausbau des Dachgeschoßes zum Fest- und Konferenzsaal und vor allem ein Absenken des Fußbodens im Keller um rund 80 Zentimeter geschehen. Denn dadurch wurde ein - immer noch tagesbelichtetes - volles Geschoß dazugewonnen, in dem große Werkstätten Platz gefunden haben.

Nehrer + Medek konnten natürlich die alte Hallenstruktur nicht beibehalten. Um das Haus nutzbar zu machen, mußten Zwischenwände eingezogen wer- den. Aber das ist rücksichtsvoll geschehen, die alte Konstruktion blieb unangetastet. Und durch die breiten Oberlichtbänder in den Gängen blieb etwas von der ursprünglichen Durchlässigkeit bewahrt, man sieht durch bis zur Fassade, zum Tageslicht.

Ein überaus heikles Problem waren die Fenster. Der Denkmalschutz bestand darauf, daß sie zumindest nach außen, straßenseitig, erhalten werden. Das ist auch geschehen, sie wurden nachgebaut. Aber eine Einfachverglasung kann heutigen Ansprüchen nicht genügen. Daher kam eine innenliegende zweite Fensterschicht mit Isolierverglasung hinzu. Das bedeutet allerdings: sehr breite Profile, die in krassem Gegensatz zu den feinen Eisensprossen der alten Fenster stehen.
Nehrer + Medek haben zum Mittel der Vereinfachung und der farblichen Hell-dunkel-Differenzierung gegriffen, um dieses Faktum zu verwischen. An der Hofseite sind auch die Außenfenster nach diesem vereinfachten Schema gemacht. Diese Lösung ist sicher nicht ideal, aber sie ist mit Feingefühl und Sorgfalt entwickelt. Bei einer solchen Problemstellung kann es eine „ideale“ Lösung, die dem Schallschutz und thermischen Anforderungen gleichermaßen genügt, vermutlich auch gar nicht geben.

Wirklich gelungen ist dafür das „Gelenk“ zwischen Altbau und neuem Trakt. Die simple Stahl-Glas-Konstruktion dieses eingeschobenen Baukörpers wird beidem gerecht: dem Charakter des historischen Bauwerks und der neuen Nutzung. Die ein wenig piranesische Wirkung dieses Treppenhauses hat vor allem damit zu tun, daß die Stiegen relativ kompliziert geführt werden mußten, um die unterschiedlichen Geschoßhöhen in den beiden Gebäuden zu bewältigen. Transparenz und Luftigkeit waren hier aber oberstes Gebot. Auf den ersten Blick glaubt man gar, daß die Stiegen offen sind.

Nehrer + Medek haben diesen Um- und Zubau sehr konsequent durchgeplant. Gerade im Altbau mit seiner großen Raumhöhe machen sich die sichtbar geführten Installationen auch atmosphärisch angenehm bemerkbar. Der praktische Effekt: Man kommt überall dazu, Um- und Nachrüstungen können problemlos erfolgen.

Am wichtigsten an diesem Revitalisierungs- und Neubauprojekt ist und bleibt aber: Es fügt sich in das städtebauliche Entwicklungskonzept - ebenfalls Nehrer + Medek - rund um die U-Bahn-Endstelle Ottakring sinnvoll ein. Das Hochhaus des Schwesternheims des AKH dahinter, eine Wohnbebauung gleich im Anschluß an das Schulareal, ein öffentlicher Platz vor der Schule und eine sinnvolle Durchwegung Richtung U- Bahn - so bringt man ein vernachlässigtes urbanes Quartier wieder zum Funktionieren. Und obendrein blieb ein lokales Wahrzeichen, die alte Tabakfabrik, bewahrt.

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