Bauwerk

Brücke Val Tgiplat
Reto Zindel, Walter Bieler - Tomils (CH) - 1999

Eine Holzkonstruktion für Schwergewichte

Walter Bielers Brücke Val Tgiplat

Eine Vielzahl von Tälern macht die Schweiz zu einem Land der Brücken. Darunter befinden sich laut einer Erhebung aus dem Jahre 1989 insgesamt 228 gedeckte Holzkonstruktionen. Bis auf wenige Ausnahmen sind diese Brücken 100 und mehr Jahre alt und legen Zeugnis ab für die Dauerhaftigkeit und Anpassungsfähigkeit einer einst weitverbreiteten Bautechnik, die heute etwa bei Walter Bieler wieder auf grosses Interesse stösst.

5. November 1999 - Christoph Affentranger
Die Kunst des Brückenbaus mit Holz erlebte in der Schweiz ihren Höhepunkt in den Werken der Baumeisterfamilie Grubenmann, im besonderen mit der von Hans Ulrich Grubenmann 1760 realisierten, 120 Meter langen Brücke über den Rhein bei Schaffhausen. Mit dem Aufkommen von Fachwerkbrücken aus Eisen und schliesslich mit dem Triumph der Brücken aus Beton geriet die Technik des Baus von Holzbrücken in Vergessenheit. Einzig für das Forstwesen und für Fussgänger und Radfahrer entstanden vereinzelt noch Stege aus Holz. Die Trendwende setzte 1985 ein, als in Eggiwil die Dörflibrücke fertiggestellt wurde. In enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Baustatik und Stahlbau an der ETH Zürich wurde hier erstmals in der Schweiz eine voll verleimte, quer vorgespannte Fahrbahnplatte aus Brettschichtholz gebaut, so dass die für Strassenbrücken ohne Lastbegrenzung geltenden Anforderungen vollumfänglich erfüllt werden konnten. Doch wie andere Brücken aus Holz, die in den folgenden Jahren entstanden, ist auch die Dörflibrücke eine überdachte Brücke, die sich nur im technischen Detail als eine Brücke des 20. Jahrhunderts zu erkennen gibt. Zudem verursacht das Dach, das für den Schutz der tragenden Hölzer vor Wasser notwendig ist, je nach Brücke und gewähltem statischem Prinzip Mehrkosten von 20 bis 50 Prozent gegenüber einer offenen Brücke aus Beton.


Formale Innovationen

Der Durchbruch in eine neue Formenwelt im Holzbrückenbau gelang schliesslich dem Bündner Ingenieur Walter Bieler zu Beginn der neunziger Jahre. Die von ihm entwickelten Brücken basieren mehrheitlich auf dem Prinzip einer geschützten Furnierschichtholzplatte als Fahrbahnplatte, welche die Last verteilt und auf eine untenliegende Tragstruktur abgibt. Die aufwendige und teure Überdachung traditioneller Holzbrücken reduzierte Bieler auf eine wasserdichte Schicht zwischen Belag und Fahrbahnplatte sowie auf einen aussen angeordneten Wetterschutz für die untenliegende Tragstruktur. Die seitlichen Geländer werden hingegen als Verschleissteil betrachtet und lassen sich ebenso auswechseln wie die Verschalungen, die als Wetterschutz dienen. Mit diesen neuartigen Massnahmen ist der Bau von Holzbrücken technisch und ökonomisch konkurrenzfähig geworden. Ausgehend von diesem Konstruktionsprinzip, entstanden - in enger Zusammenarbeit mit beratenden Architekten - mehrere Brücken, die mit dem Bild der traditionellen Holzbrücken nicht mehr sehr viel gemeinsam haben.

Die Qualitäten von Bielers Entwürfen liegen in der sorgfältigen Einfügung in die Landschaft und in der Harmonie von Funktion und Form, von Holzschutzmassnahmen, Tragwerk und Gestaltung. Zu seinen wichtigsten Arbeiten, die mittlerweile weit über die Landesgrenze hinaus auf Interesse stossen, zählen die Langlaufbrücke bei Pradella/Schuls, 1990, der Fussgängersteg über die Autobahn bei der Raststätte Werdenberg/ Sevelen (ebenfalls 1990), die Sagastäg-Brücke bei Schiers, 1991, die Drostobel-Brücke zwischen Klosters und Serneus, 1993, und die Laader- Brücke bei Nesslau, 1996. Kurz vor der Vollendung steht die Murgbrücke bei Rosental/ Wängi. Ausser Brücken umfasst das Œuvre von Walter Bieler auch zahlreiche Hochbauten, darunter die Eishalle Davos (1978). Als Mitarbeiter beteiligt war er zudem an der Dreifachturnhalle in Riehen (1996, Architekten: Steinegger & Hartmann), am Werkhof in Castrisch (1996, Architekt: Rolf Gerstlauer) und an der ersten Aargauer Mehrzweckhalle aus Holz in Veltheim (1998, Architekt: Hans Oeschger). Für die Schlossfestspiele in Werdenberg, 1991, entwarf Bieler eine ungewohnte Überdeckung: vier aus einem tragenden Telefonmast und handelsüblichen Gartenpfählen gefertigte Schirme mit einer Grundfläche von 18 auf 18 Metern.

Das neuste Projekt von Bieler ist die Brücke Val Tgiplat zwischen Tomils und Scheid im Domleschg. Sie ist eine von fünf Brücken auf einer neuen, topographisch schwierigen Strecke zwischen den beiden Ortschaften und muss, wie bereits frühere Brücken von Bieler, den Anforderungen an sogenannt unbeschränkte Lasten entsprechen. Da eine solche Brücke beliebig schwere Fahrzeuge tragen können muss, liesse sich mit der hier angewandten Technik auch eine Autobahnbrücke bauen - eine Vorstellung, die mit dem gewohnten Bild einer Holzbrücke nicht zu vereinbaren ist, die aber zeigt, welche Fortschritte der Bau von Holzbrücken nicht zuletzt dank der Arbeit von Bieler gemacht hat.


Einpassung in die Landschaft

Der Entwurf der Brücke Val Tgiplat basiert auf der Idee, das Bauwerk perfekt in das Gelände einzupassen. Am Ort des Brückenschlages öffnet sich das kleine Bachtobel talseitig trichterförmig. Daraus leiteten Bieler und der beratende Architekt Reto Zindel einen trapezförmigen Grundriss ab mit einem Fluchtpunkt oberhalb der Brücke im Tobel. Dieses Konzept hat den Vorteil, dass die Auflager dem Terrain folgen können und so talseitig auf hohe Stützmauern beziehungsweise bergseitig auf grössere Felsausbrüche verzichtet werden konnte. Der ungleiche Geländeverlauf mit unterschiedlichen geologischen Verhältnissen auf den beiden Seiten des Baches ermöglichte eine asymmetrische Zwischenabstützung. Das führte zu variablen Spannweiten der einzelnen Längsträger mit unterschiedlichen, den ungleichen Belastungen angepassten Trägerhöhen. Da diese Längsträger mit dem Helikopter zur Baustelle transportiert werden mussten und sich daraus eine Lastbegrenzung von 4,5 Tonnen ergab, verzichtete Bieler bewusst auf ein statisches System mit Sekundärträgern und bevorzugte eine enge Binderschar als Primärträgersystem. Auf diesen längsspannenden Trägern liegt nun eine 13,5 Zentimeter starke, dreilagige, vollflächig verleimte und verschraubte Kerto-Furnierschichtholzplatte als Fahrbahnplatte, die der horizontalen Aussteifung der Brücke dient und die Radlasten auf 2 bis 3 Träger verteilt. Als Wasserisolation liegt auf der Kertoplatte eine Folie. Darüber wurde ein 17 Zentimeter starker Belag aufgebracht.

Talseitig und von der Fahrbahn her zugänglich, verbergen sich in der Geländerkonstruktion die Abwasserleitung und die Stromleitungen. Die seitlichen Geländer sind auf die erforderlichen Anprall-Lasten bemessen und mit einer Lärchenholzschalung verkleidet. Diese Verkleidung, die sich aussen von der Brüstung bis unterhalb der Längsträger spannt und dreiecksförmig auch die Balken der Zwischenabstützung vor Wasser schützt, verleiht der Brücke jene Körperhaftigkeit, die Bielers Brückenbauten eigen ist. Da das Äussere der Brücke von der Strasse nicht einsichtbar ist, entfaltet die Konstruktion erst bei der Begehung im steilen Terrain ihre formale Kraft. Die Absicht von Bieler und Zindel ist es, mit ihren Brücken die Polarität von Horizontalität und Vertikalität, welche den Bau von Brücken als Spannungsbogen bestimmen, spürbar zu machen. Im Falle der Brücke Val Tgiplat ist ihnen dies meisterlich gelungen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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