Bauwerk

Palacio Kursaal
Rafael Moneo - San Sebastián (E) - 1999

Wie zwei Eisberge am Golf von Biskaya

Rafael Moneos Palacio Kursaal in San Sebastián

Vor zwei Jahren gönnte sich die baskische Metropole Bilbao mit dem Guggenheim-Museum ein neues Wahrzeichen. Nun besitzt seit einigen Wochen auch die Nachbarstadt San Sebastián einen Neubau von internationalem Rang: den Palacio Kursaal. Das gläserne Gebäude des spanischen Meisterarchitekten Rafael Moneo setzt einen mutigen Akzent ins gründerzeitliche Stadtgebilde.

16. Oktober 1999 - Roman Hollenstein
Vor zwei Jahren gönnte sich die baskische Metropole Bilbao mit dem Guggenheim-Museum ein neues Wahrzeichen. Nun besitzt seit einigen Wochen auch die Nachbarstadt San Sebastián einen Neubau von internationalem Rang: den Palacio Kursaal. Das gläserne Gebäude des spanischen Meisterarchitekten Rafael Moneo setzt einen mutigen Akzent ins gründerzeitliche Stadtgebilde.

Gibt es ein schöneres Seebad als San Sebastián? An der Küste des Golfs von Biskaya spielt zwar das Wetter nicht immer mit, dafür sorgt es für jenes üppige Grün, das man in Spanien sonst vermisst. Die einzigartige Landschaft wird noch überhöht durch das Weichbild der Stadt: Wähnt man sich an der weit geschwungenen, durch einen Inselberg vom offenen Ozean geschützten Bahía de la Concha mitunter an den Quais von Genf, so evozieren die an den Steilhängen klebenden Villen den Belle-Epoque-Charme des Vierwaldstättersees oder des Borromäischen Golfs; und das nach dem grossen Brand von 1813 weitgehend neuerbaute Zentrum atmet noch heute den Geist des 19. Jahrhunderts. Zu Recht geniessen denn auch die von Antonio de Cortázar in einem orthogonalen Raster angelegten, durch Parkanlagen aufgelockerten Quartiere rund um das 1887 als Kasino errichtete Rathaus und das Teatro Victoria Eugenia das Attribut einer «romantischen Stadt». Die 1915 an der Mündung des Urumea erstellte Zurriola-Brücke führt hinüber zum Stadtteil Gros, dessen kurz nach dem Brückenschlag entstandene Atlantikkulisse an Nizzas Promenade des Anglais erinnert. Hier, zwischen Fluss und Strand, findet sich seit kurzem eine höchst eigenwillige Architektur: der Palacio Kursaal des Spaniers Rafael Moneo.


Städtebauliche Identifikationsfigur

Das aus zwei leicht geneigten, eisblauen Glasblöcken bestehende Gebäude, das Ende September anlässlich des Filmfestivals erstmals im internationalen Rampenlicht stand, verkörpert gleichsam die Antithese zur Stadt der Gründerzeit und ist als Moneos neustes Meisterwerk das unterkühlte Gegenstück zu seinem grossartigen Antikenmuseum in Mérida. Trotz der abstrakten Form evoziert dieses doppelte Glashaus immer neue Bilder: Bei Tag glaubt man in ihm zwei gestrandete Eisberge, bei Nacht japanische Papierlampen zu erkennen. Moneo selbst betont, der Ort habe ihm die Form eingeflüstert, und verweist auf die ins Meer vorspringenden Berge. Interpretierte er vor dreissig Jahren noch mit dem am Fluss gelegenen Urumea-Wohnblock subtil den architektonischen Kontext, so suchte er nun beim Kursaal den Dialog mit dem Ort. Ähnlich wie dem als Felsenriff im Häusermeer von Barcelona schwimmenden Diagonal-Gebäude eignet den Glaskörpern daher etwas Geologisches. Indem Moneo sie «nicht zur Stadtstruktur, sondern zur Landschaft» in Bezug setzte, war es ihm möglich, die Uferlinie von Gros als Stadtkante zu bewahren.

Auf diese Weise kann sich der frei am Wasser stehende Kursaal wie eine autonome Skulptur in Szene setzen. Dem weithin sichtbaren Baukomplex kommt zudem - wie die Bezeichnung «Kursaal» antönt - die Aufgabe zu, an jene mondänen Zeiten des Ferienorts zu erinnern, als Königin María Cristina den Sommer über jeweils im Miramar-Palast residierte. Der dadurch ausgelöste Tourismusboom gipfelte 1921 im Bau eines neuen, «Kursaal» genannten Kasinos am Zurriola-Strand. Die glamourösen Tage des Glücksspiels fanden aber 1925 unter Primo de Rivera ein abruptes Ende. Aus dem Kasino wurde ein Theater und schliesslich ein Kino, das man 1972 zugunsten eines nie über die Fundamente hinausgediehenen Neubaus abriss. Der «Schandfleck» und die wehmütige Erinnerung veranlassten 1989 die Stadtregierung zur Ausschreibung eines Wettbewerbs für ein neues Kursaal-Gebäude, in dem das 1953 gegründete und bisher im Victoria- Eugenia-Theater untergebrachte Filmfestival und die seit 1966 durchgeführten Jazztage eine Bleibe finden sollten. Der Herausforderung des prominenten Bauplatzes stellten sich damals auch Grössen wie Botta oder Foster. Doch wusste Moneo, der sich bereits zuvor den Bau des neuen Auditoriums von Barcelona gesichert hatte, die Jury zu überzeugen. Nach einigen Verzögerungen konnte 1995 mit dem Bau begonnen und dieser im vergangenen August eingeweiht werden.


Gegenstück zum Opernhaus von Sydney

Die im Volksmund «los cubos» genannte Kulturbastion ist eine minimalistische Antwort auf das ebenfalls aus zwei Körpern über einem Sockelbau komponierte Opernhaus von Sydney. Auch wenn sich der Kursaal diskreter gibt als der Geniestreich von Moneos einstigem Lehrer Jørn Utzon, stellt er in seiner Klarheit und Konsequenz doch eine vergleichbare städtebauliche Identifikationsfigur oder eben ein «edificio-talismán» dar. Die gigantischen Stahlkonstruktionen lasen sich wie eine Antwort auf Eduardo Chillidas Windkämme an den sturmumtosten Küstenfelsen des Igeldo, bevor Hüllen aus gewellten Glasplatten wie eines jener quer plissierten Kleider von Issey Miyake darübergestülpt wurden. Wie gewagt das leicht dekonstruktivistisch angehauchte Projekt war, zeigte sich erst, als während des Baus die monumentale Freitreppe einstürzte. Dabei gilt Moneo, der 1937 in Tuleda in der Nachbarprovinz Navarra geboren wurde, als Meister seiner Zunft - auch wenn sein Schaffen vom Jahrhundertbau in Mérida über den neomaurischen Flughafen von Sevilla bis hin zur spröden Einfachheit des Auditoriums von Barcelona immer wieder starken Schwankungen unterlag. Gerade sie beweisen jedoch, dass ihm Architektur niemals nur intellektuelle Spielerei bedeutete, sondern ein stetes Ringen mit Bauprogramm und Ort.

Die aussen und innen verglasten Stahltragwerke bergen die holzverkleideten Betonkörper eines 1850 Personen fassenden Auditoriums und eines multifunktionalen Kongresssaals. Im Sockelgeschoss darunter, das sich mit einem Restaurant zum Urumea und mit einigen Geschäften zur Avenida hin öffnet, befinden sich zudem Ausstellungs- und Versammlungsräume, Cafeteria, Bankettsaal und Tiefgarage. Der mit seinen ornamentalen Natursteinmauern im Stil der fünfziger Jahre und den diskreten Wright-Zitaten wie die konkrete Basis eines abstrakten Überbaus erscheinende Sockel öffnet sich strassenseitig zwischen den Geschäften zu einem niedrigen Eingangsbereich. Er bietet zwar Schutz vor Sturm und Regen, würde aber eher zu einer Messe als zu einem Kulturpalast passen. Dennoch kommt dieser düsteren Zone eine architektonische Aufgabe zu, soll sie doch das erschlagende Raumerlebnis des 22 Meter hohen und 60 Meter tiefen Foyers dramatisch steigern. Diese vom hölzernen Klangkörper des Auditoriums und von japanisch inspirierten Glaswänden begrenzte, lichtdurchflutete Halle gewährt - ähnlich wie das Luzerner KKL - durch gezielt angebrachte Öffnungen Panoramablicke: bald auf das kantabrische Meer, dann wieder auf die Aussichtsplattform über dem Sandstrand. Freitreppen, Rampen und Passerellen führen in den wie ein Schiff in der Werft aufgestapelten Musiksaal, dessen schachtelartiger, ganz in Holz gehaltener Innenraum nach neusten akustischen Erkenntnissen ausgestattet wurde.


Neues Selbstverständnis

Die gegenwärtig von Pop und Modern Dance bis Kurt Weill reichende Programmierung des Kursaals lässt vermuten, dass hier - ähnlich wie bei Gehrys Guggenheim-Museum im benachbarten Bilbao - die Form wichtiger ist als der Inhalt. Schon jetzt sind die «Kuben» das neue Wahrzeichen der durch ein einzigartiges städtebauliches Ensemble, aber nur durch wenige prominente Einzelbauten geprägten Stadt. Ist der Kursaal von der Lage her mit dem 1893 im englischen Landhausstil errichteten Miramar-Palast vergleichbar, so übertrifft seine architektonische Bedeutung sogar den 1929 von José Manuel Aizpurúa vollendeten Segelklub, der als einziges Gebäude Spaniens in die legendäre New Yorker International- Style-Schau Einlass fand. Mit diesem architektonischen und urbanistischen Bekenntnis zur Zukunft der Stadt dürfte es San Sebastián - dem baskischen Donostia - gelingen, künftig eher mit Kultur als mit Terroranschlägen in Verbindung gebracht zu werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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