Bauwerk

Nordische Botschaften
Berger Parkkinen + Architekten, Wingårdh Arkitektkontor, Pálmar Kristmundsson, Snøhetta, 3XN, VIIVA Arkkitehtuuri Oy - Berlin (D) - 1999
Nordische Botschaften, Foto: Reinhard Görner / ARTUR IMAGES
Nordische Botschaften, Foto: Reinhard Görner / ARTUR IMAGES

Die Botschaft der Botschaften

Nordische Länder bauten in Berlin am gemeinsamen Auftritt

29. Januar 2000 - Claudia Schwartz
Schon längere Zeit ragte am südlichen Rand des Tiergartens die fünfzehn Meter hohe Lamellenwand auf. Dahinter, so hörte man, entstünden die Botschaften der nordischen Länder. Aber nichts war zu sehen: kein Haus, das allmählich in die Höhe wuchs, während Berge von Baumaterial rundherum schrumpften. Die Konstruktion ruhte wie ein Reptil mitten im Betrieb um das verkehrsreiche Klingelhöfer Dreieck und zeigte neugierigen Blicken die kalte Schulter. Irgendwann sträubte sich dem grossen Tier der Nacken, und es fing an zu leuchten, als hätte jemand beim Adventskalender verbotenerweise schon einzelne Fenster aufgeklappt. Als endlich alles fertig war und ausnahmsweise zur Besichtigung offenstand, präsentierte sich, was normalerweise verborgen bleibt: ein diplomatischer Gemeinschaftsauftritt, angelegt als architektonisches Gesamtkunstwerk auf 7200 Quadratmetern mit fünf solitären Gebäuden und einem öffentlichen Zentrum, zusammengehalten nach drei Seiten von einem geschwungenen, grün patinierten Kupferband.

Die Zusammenarbeit der nordischen Staaten geht auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und die Gründung des Nordischen Rates (1952) zurück. Nach der deutschen Wiedervereinigung bekundeten die fünf Länder - im Rahmen der Berliner Neuordnung von Botschaften und Ländervertretungen - den Willen zum diplomatischen Ensemble. Finnland und Schweden schickten sich an, ihren ursprünglichen Botschaftsstandort, wie er vor dem Krieg existiert hatte, wieder einzunehmen. Dänemark, Island und Norwegen kamen dazu und erwarben jeweils ein Teilgrundstück.

Der Masterplan für die Anlage stammt vom österreichisch-finnischen Architektenduo Alfred Berger / Tiina Parkkinen. Ihr grünes Kupferband gibt dem kollektiven Auftritt ein Gesicht und korrespondiert in organischer Form und Farbenkleid mit dem gegenüberliegenden Tiergarten. Gleichzeitig trennt es das exterritoriale Gelände klar vom Berliner Stadtgebiet und legt sich schützend um die dahinterliegenden Einzelgebäude. Den Grundstein bildet das Gemeinschaftshaus an der Rauchstrasse, in dem Berger und Parkkinen den zentralen, öffentlichen Bereich zusammenfassen. Hier befinden sich Ausstellungs- und Konferenzräume, Konsulate oder die Sicherheitsschleuse, durch die Besucher und Angestellte das eigentliche Botschaftsgelände betreten. Das bewusst neutral gehaltene «Felleshus» bleibt in durchscheinendem Weiss und Glas im Vergleich zur auffallenden Aussenhaut unscheinbar. Gleich daneben befindet sich die Staatsbesuchen vorbehaltene gläserne Einfahrt mit weissem Baldachin - der einzige Ort, wo man von der Strasse her einen Blick in das Areal werfen kann.

Dort ordnen sich die Gebäude nach der Geographie: in einem hohen West-Ost-Bogen reihen sich die Botschaften von Dänemark, Island, Norwegen, Schweden und Finnland. Eine nordische Stadt en miniature, wo Wasserarme tief zwischen Dänemark und Island, Schweden und Finnland greifen. Die Materialien beschwören optisch und haptisch die Natur des hohen Nordens: Lärchenwälder, Gletscher, Lava, Kalkstein, Granit - eine Auslegung des Urbanen als landschaftlich kultivierter Raum.

Die Gestaltungshoheit für die Häuser lag bei den einzelnen Ländern, die für Architektur und Innenausstattung Vertreter aus der Heimat beauftragten. Botschaften sind auch Visitenkarten eines Landes, und so hat sich der nach innen gestülpte Fassadenreigen zum spannungsgeladenen Beauty Contest aufgeschwungen. Man durchläuft hier einen Themenpark, der die Kunst der Variation von Material und Form bestechend zur Anschauung bringt. Die Lamelle dient als Leitmotiv und sorgt in vertikaler Gliederung für die Einheit in der Vielfalt: bei den Dänen (Nielsen, Nielsen & Nielsen, Århus) erscheint sie in Gestalt von gelochten, aufklappbaren Edelstahlplatten; der in die Ecke gekuschelte isländische Kubus (Architekt Pálmar Kristmundsson, Reykjavik) leuchtet in rötlichem Ryolith mit Lavaeinschlüssen; die Norweger (Snøhetta, Oslo) übernehmen die Konstruktion des Kupferbandes in der gläsernen Kühle einer Eislandschaft; das junge finnische Team ( VIIVA Arkkitehtuuri, Helsinki) hängt vor die Glasfassade ein Gitterwerk aus Lärchenholz, das den Minimalismus des Gebäudes skulptural überhöht; am Schwedenbau (Wingårdh Arkitektkontor, Göteborg) wechseln Reihen aus Glas mit grob abgeschlagenen Quarzitplatten, was in der Theatralik direkt auf das Interieur verweist, wo sich im Foyer kunstvolle Schreinerarbeit mit künstlich orange gebeiztem Birkenholz beisst.

Das vom Kupferband im Aussenbereich angetönte Spiel von Verhüllung und Enthüllung wird in den Gebäuden aufgelöst in kleinen Landesausstellungen. Beim verwendeten Material dominieren Stein, Glas, Holz, Metall. Während die Isländer den Beton mit dem Sandstrahler aufrauhen, erscheint er bei den Finnen dunkel und glatt. Die Dänen erinnern im Foyer mit einer leicht nach innen gekippten Holzlamellenwand an Alvar Aaltos finnischen Pavillon für die Weltausstellung in New York. Reminiszenzen an den Altmeister findet man auch bei seinen Landsleuten, die den Konferenzraum als Sperrholzgondel über der Eingangshalle schweben lassen, eine Hommage an Aaltos skulpturale Raumkompositionen.

Es lässt sich hier nachvollziehen, wie Architektur und Design dieser Länder zu ihrem Ruf von Kompromisslosigkeit und Eigenwilligkeit kamen. Wenngleich nicht immer alles gut zusammenpasst. Vereinzelt bringt das Bemühen um nationale Differenzierung seltsame Lösungen hervor wie den mit Lavagestein ausgelegten isländischen Lichthof, der, von unten rot angestrahlt, anheimelt wie ein elektrisch betriebenes Kamin-Imitat.

Dass sich in diesem 115-Millionen-Mark teuren Ausstattungswunderland dennoch alles gut zusammenfügt und alles pünktlich fertig wurde, verdankt sich den beiden Berliner Architekten Justus Pysall und Peter Ruge, denen bei den vielen Bauherren und unterschiedlichen Geschmäckern so manches diplomatische Kunststück abverlangt worden sein dürfte. Für Berlin ist das Unternehmen ein Novum, was den gemeinschaftlichen Auftritt anbelangt - und ein architektonischer Glücksfall, der sich erst richtig abzeichnen wird, wenn die benachbarten Um- und Neubauten im Botschaftsviertel vollendet sein werden. Dann wird der Vergleich ins Auge stechen zwischen dem freundlich-zurückhaltenden Schuppentier, das auf Repräsentation achtet, ohne aufzutrumpfen, und den schweren Kolossen des steinernen Berlin. Jedes nordische Land hat hier an seinem Haus gebaut und dabei das Gemeinsame im Auge behalten. Was könnte eine Architektur der Diplomatie mehr sein?

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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