Bauwerk

Biokatalyse TU Graz
Ernst Giselbrecht - Graz (A) - 2004

Neuer Baustein für einen trostlosen Campus

Ernst Giselbrechts Biokatalyse in Graz nimmt Abschied von der Architektur der fetten Jahre

11. April 2004 - Oliver Elser
Biokatalyse? Eine auf naturwissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit spezialisierte PR-Agentur würde dieses chemische Verfahren vielleicht so beschreiben:

Erinnern Sie sich an den Chemieunterricht in der Schule. Daran, wie der Lehrer ein Stückchen Magnesium mit dem Bunsenbrenner erhitzt, das sich daraufhin mit einer grellen Flamme verabschiedet und zu weißen Krümeln verbrennt. Stellen Sie sich nun vor, dass solche Prozesse auch ohne die Energiezufuhr aus dem Bunsenbrenner ablaufen könnten. In den Zellen des menschlichen Körpers finden permanent chemische Reaktionen statt, die denen im Chemiesaal der Schule nicht so unähnlich sind. Ohne Hitze und also mit geringem Energieverbrauch. Bei normaler Körpertemperatur.

Die Biokatalyse versucht, diese lauwarmen und hoch spezialisierten chemischen Umwandlungsprozesse aus der Natur zu isolieren und „nachzubauen“. Aus der Energie verzehrenden und mit schadstoffreichen Resten nicht kleinlichen Chemieproduktion wird eine „sanfte“ Technologie. Die Körperzelle kann ja auch nicht unbegrenzt Müll ausscheiden.

Bei einem Gegner jeglicher Gentechnologie würde diese Erklärung womöglich eine verstärkte Adrenalinproduktion auslösen. Die Werkzeuge des Reaktionsprozesses, die Enzyme, müssen genetisch verändert werden, damit sie ihre Arbeit auch außerhalb ihrer natürlichen Umgebung verrichten.

Ein Architekt hingegen käme vielleicht in Versuchung, die Biokatalyse als Fundgrube für Analogien und Metaphern auszuschlachten. Die Naturwissenschaft ist seit einiger Zeit das bevorzugte Terrain, auf dem sich Architekten ihre beim Entwerfen anscheinend unerlässlichen Hilfskonstruktionen besorgen.

Was in den Siebzigern die Soziologie, in den Achtzigern die Geschichte und in den Neunzigerjahren die Kunst war, sind nun Biotechnologie und Informatik. Da werden, etwa von den Niederländern MVRDV, ganze Landschaften aus Datenbergen modelliert oder, wie bei dem an der Wiener Angewandten lehrenden Amerikaner Greg Lynn, Ausflüge ins Tierreich unternommen, bei denen er Fliegenbeine und Quallenhäute als Elemente einer neuen Architektur entdeckt.

Ernst Giselbrecht, der Architekt des Grazer Biokatalysegebäudes, hat ein sehr viel nüchterneres Verhältnis zur Wissenschaft. Und das ist überraschend, wenn man sich seine bisherigen Bauten vor Augen hält.

Denn Giselbrecht stand bislang für eine sehr cleane, leicht technoide, in jedem Falle strahlend weiße Architektur, die einem vor dem österreichischen Hintergrund mit einer fast preußisch-protestantischen Aufgeräumtheit ins Auge stach.

Nichts davon bei der Biokatalyse. Das nach seinem Forschungszweck betitelte Gebäude der Technischen Universität Graz wird am 19. April offiziell eingeweiht, aber von der Petersgasse aus, die den Campus der „Neuen Technik“ begrenzt, ist das Haus nicht als Neubau zu erkennen. Verschiedene Forschungsinstitute stehen hier als Solitäre herum wie die Kühe auf der Weide. Der öffentliche Raum ist fest in der Hand der Parkplatzbewirtschafter. Mitten hinein in diese Ödnis hat Giselbrecht seinen kubischen Neubau gesetzt, der auf drei Seiten an eine Fertigteilschule der Siebzigerjahre erinnert. Diese Zurückhaltung rettet zwar nicht das Umfeld, fügt den aber bereits sehr in die Jahre gekommenen Instituten von Domenig / Eisenköck (Mathematik, 1989) und Szyszkowitz + Kowalski (Biochemie, 1991) nicht ein weiteres hinzu, das ein Star sein will, mittlerweile aber nur mehr alt und abgelegt aussieht. In seiner unaufgeregten Sprödigkeit orientiert sich der Bau eher am benachbarten Chemie-Institut von Karl Raimund Lorenz (1960). Dessen Rasterfassade übersetzt Giselbrecht an der einzigen „spannenden“ Seite der Biokatalyse in ein Spiel mit Klappläden.

Die nüchterne Außenform verdankt der Bau nicht zuletzt dem sehr begrenzten Budget. So schade es aus der Betroffenenperspektive auch sein mag, dass bei den öffentlichen Bauten die fetten Jahre vorbei sind, so nützlich ist dies zur Klärung, was in der Architektur wirklich notwendig ist.

Die Biokatalyse führt es exemplarisch vor: große, robuste Räume, die verschiedene Nutzungen zulassen, weil alle Installationsleitungen offen verlegt wurden. Gänge und Stiegenhaus werden natürlich belichtet. Nebenräume für Kopierer, Kaffeeküche und WCs sind nicht hinter einem Türenwald versteckt, sondern stehen frei im Raum. Auf jeder Etage gibt es, an der Seite der Lamellenfassade, einen Balkon, wo geraucht werden kann.

Ist es dann noch relevant, dass in diesem Haus geforscht und nicht nur verwaltet wird? Wo bleibt die Verbildlichung eines unsichtbaren Prozesses, die doch seit jeher ein bestimmender Teil der Architektur war? Der Architekt selbst hält einige Metaphern parat und erklärt, dass die Lamellenfassade die Lebendigkeit der Forschung nach außen übersetzen solle. Schließlich sei die Biokatalyse ein Modellvorhaben, wo Kooperationsprojekte von Universität und Industrie sich für einige Jahre ansiedeln könnten.

Beim Entwerfen sind solche Bilder vielleicht nützlich. Aber der fertige Bau kann getrost auf Erklärungen verzichten. Diese Architektur bräuchte eigentlich auf Seiten wie diesen gar nicht erläutert zu werden, wenn sie nicht durch ihre stille Einfachheit Fragen hervorrufen würde. Doch das ist ein Problem des Publikums, das daran gewöhnt ist, Architektur wie ein Kunstwerk deuten zu sollen. Für Häuser von großer öffentlicher Relevanz mag das berechtigt sein. Aber hier, auf einem Universitätscampus, gibt es keinen Grund, mit einer besonderen Gestaltung hervorzustechen. Besonders wenn schon die Nachbarn rechts und links den Beweis erbracht haben, dass Architektur mehr sein kann als nur eine Kiste mit Fensterlöchern darin.

Bei aller Selbstbeschränkung darf nicht übersehen werden, dass mit der Biokatalyse eine Freiraumgestaltung angestoßen wurde, die noch eines viel wirksameren Katalysators bedürfte. Die Landschaftsarchitektur (Büro ko a la, Graz), so Giselbrecht, reagiere auf den Bau mit Wällen, die sich wie Wellen um den Kubus herum ausbreiten. Bisher wurde erst ein einzelner Wall aufgeschüttet. Ob das Bild vom „Stein, der ins Wasser fällt“, wirklich so wörtlich realisiert werden muss? Die Grazer Biokatalyse hat das Gewicht, um Wellen zu schlagen, und sollte der Anlass sein, über den trostlosen Freiraum der „Neuen Technik“ neu nachzudenken.

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