Bauwerk

Königliche Bibliothek - Erweiterung
Schmidt Hammer Lassen - Kopenhagen (DK) - 1998
Königliche Bibliothek - Erweiterung, Foto: Victor S. Brigola / ARTUR IMAGES
Königliche Bibliothek - Erweiterung, Foto: Victor S. Brigola / ARTUR IMAGES

Der „Schwarze Diamant“ der Dänen

Kopenhagen beweist: Eine Bibliothek muß nicht protzig sein wie die neue Bibliothèque Nationale in Paris. Sie muß das „Gedächtnis der Nation“ nicht in einen Tiefspeicher versenken wie Österreichs Nationalbibliothek. Sie kann auch frisch sein, geräumig und einladend für jeden.

24. Juli 1999 - Sandy Lang
„Sie befinden sich in der rechten Herzkammer der Bibliothek, von hier geht es durch die Aorta in die große - Ausstellungshalle.“ Erland Kolding Nielsen, seit dreizehn Jahren Generaldirektor der Königlichen Bibliothek Dänemark, ist begeisterungsfähig. Momentan schlägt sein Herz (bei leichter Schwäche für alte Grönland-Expeditionsberichte) für 21.000 qm Beton, Glas und Stahl: Die Dänen nennen ihr soeben fertiggestelltes, Anfang September in Betrieb gehendes Bibliotheksgebäude, das architektonisch Rücken an Rücken mit der alten Königlichen Bibliothek steht, den „Schwarzen Diamanten“.

Von einem „Schmuckkästchen“ spricht etwas bescheidener Architekt Bjarne Hammer. Hochpolierter Granit aus Zimbabwe läßt die Fassade spiegeln. Monolithisch, rätselhaft thront der Bau, in dem bald zwei Millionen Bücher Einkehr halten, am Kopenhagener Hafen.

Er soll für intelligente Funktionalität stehen. Bei 250 PC-Arbeitsplätzen mit Internetanschluß, großräumigen Lesesälen mit indirektem Licht durch die verglaste Atriumshalle, fünf Ausstellungsräumen und einer 600 qm großen High-Tech-Mehrzweckhalle für Konzerte, Lesungen, Symposien etc. gewichtet die Bibliothek Forschung und kulturelle Vitalität gleichermaßen. Nicht vergessen hat Bjarne Hammer auf die Cafeteria, „in der man sich dann verlieben kann“, so Ex-Kulturministerin Jytte Hilden, die das Veranstaltungsprogramm im „Schwarzen Diamanten“ - die Namensgebung ist ihre Erfindung - leiten wird.

„Erstmals öffnet sich die Königliche Bibliothek der Arbeiterklasse“, konkretisiert Hilden den sozialen Anspruch der neuen Nationalbibliothek. Schon in den 80er Jahren hat das lutherische Dänemark den Kulturauftrag der nationalen Institutionen zeitgemäß umformuliert und mit der Modernisierung der Bibliotheken begonnen. Der Durchschnittsdäne entlehnt inzwischen 4,4 Bücher pro Jahr, der Durchschnittsösterreicher nur 2,2, also genau die Hälfte.


Europas Aufbruch

Europaweit besinnt man sich auf die Bibliothek als modernes Informationszentrum. Für viele Bürger bergen diese Einrichtungen die Chance einer ersten Begegnung mit dem Internet, Surf- und E-Mail-Erkundungen. Auch demokratiepolitisch sind die Bibliotheken, ihre Offenheit gegenüber einem vom jeweiligen Bildungsstand unabhängigen Publikum, unverzichtbar.

Weder in der Serviceleistung für junge Leute noch in der Präsentation von Kulturgut will Nielsen „Halbherzigkeiten“. Im neuen Gebäude, das knapp eine Milliarde Schilling kostete, ist „Verlebendigung“ das Motto: Die Bibliothek soll zum kulturellen Zentrum der Stadt werden. Architektonisch erhofft man sich vom „Schwarzen Diamanten“ zugleich ein Wahrzeichen für Kopenhagen „wie der Eiffelturm für Paris“.

In Dänemark beschwört man den Kulturauftrag nationaler Institutionen nicht nur in Reden, man tut auch einiges dafür. Unweit des Zentrums wurde am ehemaligen Schiffswerftgelände ein Universitätscampus errichtet, der mit einem Film-, Theater- und Architekturzentrum technisch wie inhaltlich alles bietet. Auch Regisseur Lars von Trier kehrt gerne an seine ehemalige Ausbildungsstätte zurück, um dort ein Filmprojekt zu realisieren.


Anschluß an Malmö

Im Jahr 2000 wird die acht Kilometer lange, zweistöckige „Øresund-Brücke“ Kopenhagen mit dem schwedischen Malmö verbinden. Dann sollen auch die schwedischen Studenten vermehrt den „Schwarzen Diamanten“ aufsuchen, um etwa die Originalmanuskripte von Inger Christensen, Hans Christian Andersen oder Søren Kierkegaard einzusehen. Oder gar Poma d'Ayalas Inka-Chronik von 1610. Stattliche Sammlungen (illegale Publikationen während der deutschen Besatzung '40-'45, eine Sammlung von mehr als 25.000 Kunstfotos seit 1839) stehen bereit. Tycho Brahes „großen Stahlquadranten von 1598“ kann man via Website (www.kb.dk) auch einfach so bewundern.

Bei einer Besichtigung pilgerte ein kleiner Trupp internationaler Journalisten staunend durch die lichtdurchflutete Atrium-Eingangshalle des „Schwarzen Diamanten“ über eine breite Rolltreppe zum Hauptlesesaal und begutachtete die Verbindungsbrücke, über die man vom neuen zum alten Gebäude setzt: Klein-Metropolis. Was äußerlich für manche vielleicht einem Sarkophag ähneln mag (Nielsen: „Das ist Geschmackssache.“), im Inneren ist es ein Ort der abenteuerlichen Muße.

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