Bauwerk

Österreichisches Kulturinstitut
Raimund Abraham - New York (USA) - 2002
Österreichisches Kulturinstitut, Foto: David Plakke
Österreichisches Kulturinstitut, Foto: David Plakke

Bleistift und Sehnsucht

Ungebrochen geradlinig und selbstbewußt gleitet es in die Höhe, es widersetzt sich jeder Mode, entzieht sich jedemTrend und ist genausowenig gefällig wie sein Architekt, Raimund Abraham: das Austrian Cultural Forum in Midtown NewYork.

6. April 2002 - Andrea Nussbaum
Wim Wenders meinte: „A city should constantly excite.“ New York hat das immer getan - und die urbane Kulisse, die sich hier täglich neu in Szene setzt, hat einen raren Neubau erhalten. Die Metropole, in der sich jeder wie ein Darsteller in einem Film fühlen darf, hat sich im von banaler Funktionsarchitektur dominierten Midtown einen unbequemen Hauptdarsteller verdient und ihn bekommen: das Austrian Cultural Forum von Raimund Abraham. Mit diesem Gebäude zeigt sich Österreich von einer Seite, die es in der „Heimat“ vielfach erst zu realisieren gilt: konsequent, zeitlos, vertikal und unangepaßt.

Das urbane architektonische Casting von Midtown ist neben der vorherrschenden nichts-sagenden Bürohaus-Architektur und den Klassikern der Moderne von einigen zeitgenössischen Ausnahmen bestimmt. Wie die unterschiedlichen Genres im Film präsentieren sich die vereinzelten Akteure westlich und östlich der Fifth Avenue: die schillernde, mediale Welt des Times Square, Philip Johnsons Kathedrale der Postmoderne, das AT-&-T- beziehungsweise jetzige Sony-Building, die artifiziell anmutende Haut des LVHM-Buildings von Christian de Portzamparc, der nach außen geschlossene Neubau des American Folk Art Museum von Williams/Tsien - und seit jüngstem das Austrian Cultural Forum, das der bekannte Architektur-kritiker Kenneth Frampton anläßlich einer Modell-Präsentation im MoMA als „das bedeutendste realisierte Stück Architektur in Manhattan seit dem Seagram Building und dem Guggenheim Museum“ lobte.

Der Bauplatz ist schmal: etwas mehr als siebeneinhalb Meter zur Straßenfront, als unbebaute Lücke kaum wahrzunehmen. Keine leichte Aufgabe für die Architektur, will man die Geschoßfläche durch die notwendige Erschließung nicht gänzlich zerstückeln - einfach und akkurat hingegen die Lösung von Raimund Abraham.

Vor zehn Jahren hat er sich mit dem Heimvorteil des New Yorkers beim Wettbewerb um den Neubau des österreichischen Kulturinstituts durchgesetzt, sich mit einem logisch durchdachten Entwurf gegen so manches plakative Design behauptet. Unter den 226 Einreichungen war er der einzige, der die Erschließung nach hinten setzte, was es ermöglicht, auf dem engen Bauplatz loftartige, großzügige Räume zu schaffen.

Die Stiege an der Hinterseite aber ist mehr als nur ein praktischer Lösungsansatz, sie wurde zum formgebenden architektonischen Element, zur Säule, die den Turm im Boden fixiert. Als Scherenstiege mit zwei sich kreuzenden Treppen ist sie das Rückgrat des Gebäudes und erinnert an Brancusis „Endlose Säule“. Doch die Interpretation, daß seine Architektur skulptural sei, läßt Abraham nicht gelten. Vielmehr habe das Programm die formalen Überlegungen bestimmt: Das Problem der Nutzung sei zu lösen gewesen, und bei einem so kleinen Grundstück führe das unweigerlich zur Frage nach der vertikalen Zirkulation, die zum Grundstein des Entwurfs wurde.

Gegenstück zur architektonischen Wirbelsäule ist die „Maske“, eine 80 Grad geneigte, fallende Glasfassade. Die gerahmten Glaspaneele und die metallverkleideten vorspringenden Sei- tenfassaden, gefaßt in der Komposition einer elementaren Symmetrie, sind das markante Gesicht des Gebäudes. Der Grund für die Neigung der Fassade ist in den New Yorker „zoning“-Gesetzen zu suchen, die ursprünglich dazu dienten, den Lichteinfall in den Straßen zu regulieren, und die mit den zahlreichen abgetreppten und zurückspringenden Wolkenkratzern das Bild der Stadt prägen.

Das Raumprogramm beinhaltet alles, was zeitgemäße Kulturbauten brauchen - und noch vieles mehr: Ausstellungsflächen und die Hauptgalerie in den Untergeschoßen, frei zu bespielende Flächen, die mit einem Besucher-Café sowie einer Lounge und einem multifunktionalen Theatersaal in den Obergeschoßen verbunden sind, darüber eine Bibliothek und ein Konferenzraum. Das Büro des Chefs des Austrian Cultural Forum, Christoph Thun-Hohensteins, befindet sich in der siebten Etage, genau auf jener Höhe, auf der aus der Fassade eine Box auskragt. Aber diese schwebende Raumbox ist nicht, wie man voreilig vermuten könnte, die neue „Kommandozentrale“ des Forum-Chefs, es ist ein weiterer Veranstaltungsraum, der als Ort sogenannter „Art Talks in the Tower“ dienen wird.

Das Augenfälligste an dem Gebäude ist jedoch seine formale, ungebrochene Geradlinigkeit und das Selbstbewußtsein, mit dem es in die Höhe gleitet. Es widersetzt sich jeder Mode, entzieht sich jedem Architekturtrend und ist genausowenig gefällig, wie Raimund Abraham es ist: ein Monolith, der die Monotonie des architektonischen Ei- nerleis sprengt. Angepaßt sein ist nicht seine Sache. Auch das sieht man dem Neubau an. Das Kulturforum hat seinen Platz
in New York gefunden, weil der Architekt seine Architektur kompromißlos verteidigt hat. Es war ein Kampf um jeden Zentimeter: zehn mühsame Jahre, ermüdende Verhandlungen mit dem Bauträger, der Republik Österreich, und ein anstrengendes Tauziehen mit Generalplanern und Baufirmen. Finanzierungsprobleme hätten das Projekt beinahe zum Scheitern gebracht, anfänglich schlechte Betonqualität den Turm fast zum Einsturz gebracht. Wenn das Haus am 18. April eröffnet wird, werden sich viele nicht mehr daran erinnern wollen - außer dem Architekten, der gesteht, daß ihm die Umstände der Errichtung alle Kraft geraubt haben, sodaß er sich wieder vom Bauen distanzieren möchte.

Den Begriff Architekturbüro verabscheut Abraham, denn in Büros arbeiten Bürokraten. Die Bürokratie aber ist der Feind der Architektur, der Feind jeglicher Kreativität. Sein Atelier ist ein loftartiger „workshop“ in Noho, jenem Viertel nördlich des Trubels von Soho. Wenige Blocks von seinem Atelier entfernt liegt die Schule, an der er seit 1971 unterrichtet: die Cooper Union. Sie hat in der Architektenausbildung eine besondere Tradition, ist eine Schule der Individualisten, die dem Populären das Zeitlose, der Pragmatik des Bauens die imaginäre Auseinandersetzung vorziehen.

Eine Kreissäge, Sperrholzplatten für den Modellbau, Werkzeug: es ist dies nicht das Atelier eines Technokraten, sondern von jemandem, der, Mies van der Rohe zitierend, davon spricht, daß die Architektur dort beginnt, wo zwei Steine sorgfältig übereinandergelegt werden. Raimund Abraham hat den „handwerklichen“ Bezug zur Architektur nie aufgegeben. Die Sorgfalt, die Präzision, die Handwerker wie Architekten haben sollten, ist es, die er nicht müde werdend von sich selbst und von anderen fordert, wie erst jüngst in der Neuauflage seines Buchs „Elementare Architektur“: „Ich sage den Studenten immer, sie sollen sich mit der Präzision vertraut machen, die man in der Literatur, in der Musik und im Film anwendet. Wenn man in der Musik eine Note verschiebt, um zwei Millimeter, wird es ein anderer Ton, wenn man in der Sprache einen Buchstaben verschiebt, entsteht ein anderes Wort. Wenn man diese Präzision auf das Bauen überträgt, dann wird die Aussage von Mies sehr klar.“

Die Präzision des Sehens hat er beim Klettern gelernt: Denn davon hänge schließlich das Leben ab. Wenn man den nächsten Griff nicht sehe, komme man nicht weiter. Weitergekommen ist er zeichnend - denn ein Großteil seines Werks ist ungebaut - und nach zwanzigjähriger Verweigerung auch wieder bauend. Die Sehnsucht nach dem Bauen komme mit dem Alter, meint er. Und zum Bauen gehöre für ihn das Modell. Erst dessen Dreidimensionalität ermögliche eine physische Unmittelbarkeit und die Überprüfung des Entwurfs. Deshalb hat der Akt des Modellbauens in seinem Atelier einen besonderen Stellenwert, das Modell fast den Charakter eines Kultobjekts als Schlüssel zum Gebauten.

Bauen wird Abraham wieder: ein eigenes Haus an der Pazifikküste Mexikos. Es wird dies ein Haus zum Arbeiten, zum Zeichnen nach seinem Abschied von der Cooper Union, denn um Architektur zu machen, braucht er nur ein Blatt Papier, einen Bleistift und die Sehnsucht.

Am Ende steht ein Architekt, der - wie so viele vor ihm - seinem Geburtsland den Rücken gekehrt hat. Eines hat sich
geändert: Die beiden wurden wiedervereint an einem Ort, der die österreichische Identität nachhaltig beeinflussen wird. Die amerikanische Architektur-legende Louis Sullivan sprach davon, daß hohe Gebäude „über sich hinaussteigen“ sollten - eine Ambition, die von diesem kleinen Turm mit Leichtigkeit erfüllt wird.

Das Austrian Cultural Forum wird am 18. April mit der „Long Night Of Contemporary Music“ und einer Installation des Künstlerduos Granular Synthesis eröffnet. Ab 22. Mai folgt die Ausstellung „TransModernity: Austrian Architects“ (Jarbornegg & Pálffy, Henke/ Schreieck und Riegler/Riewe).

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