Bauwerk

Yad Vaschem Holocaust-Museum
Moshe Safdie - Jerusalem (IL) - 2005

Die Menschen hinter den Millionenzahlen

15. März 2005 - Ben Segenreich
Eine derartige Ansammlung politischer Prominenz hat Israel seit dem Begräbnis des ermordeten Premiers Yitzhak Rabin vor bald zehn Jahren nicht mehr gesehen. Die gleichzeitige Anwesenheit von UN-Generalsekretär Kofi Annan, sieben Staatspräsidenten, sieben Regierungschefs, drei Außenministern und vielen weiteren hochrangigen Vertretern vor allem europäischer Staaten, unter ihnen Österreichs Kulturstaatssekretär Franz Morak, wird Polizei und Autofahrern in Jerusalem zwei Tage lang einigen Stress bescheren. Doch die Israelis sind dankbar für diese internationale Verbeugung vor der Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem, die am Dienstagabend ihr neues „Museum der Geschichte des Holocaust“ eröffnet.

„Ein Anblick, den ich nicht vergessen werde, solange ich lebe“, schreibt der Lehrer Abraham Lewin, der im Warschauer Getto ein Tagebuch führte. „Fünf winzige Kinder, zwei und drei Jahre alt, sitzen in der Nacht von Montag auf Dienstag auf einem Bettchen im offenen Feld und rufen: Mammi, Mammi, ich will essen.“ Lewin wurde mit seiner Tochter bei der großen Deportation 1943 getötet, seine Frau verschwand in Treblinka.

Systematisch lässt das neue Museum Einzelschicksale wie jenes der Familie Lewin hinter den unfassbaren Millionenzahlen aufblitzen. „Wir zeigen die allgemeine Geschichte des Holocaust“, erläutert Yad-Vashem-Sprecherin Estee Yaari, „und wir zeigen die Menschen, die durch den Holocaust gegangen sind, das menschliche Gesicht im Holocaust. Es gibt das Gesamtbild, und dann gibt es ein Tagebuch oder ein Kunstwerk oder ein Gerät oder ein Zeugnis, das von Angesicht zu Angesicht erklärt, worüber wir reden.“

Das mehr als 50 Jahre alte Institut stand vor der Herausforderung, die Erinnerung an den Holocaust ins 21. Jahrhundert zu retten, in eine Ära also, in der die Überlebenden und Zeugen nicht mehr da sein werden und in der man mit modernen Mitteln auf die nachfolgenden Generationen zugehen muss.

Das aufwändigste Projekt dabei war das neue Museum, schon wegen der kühnen Konstruktion des kanadisch-israelischen Architekten Moshe Safdie. Ein düsterer Betontunnel, fast 200 Meter lang, durchschneidet den „Berg des Gedenkens“ und endet in einer Art Schanze, die zurück ins Licht und ins Leben von Jerusalem weist.

Ein weißes Modell, dessen Anblick schwer zu ertragen ist, macht klar, wie groß die Gaskammern von Auschwitz waren und wie viele Menschen hineingepfercht wurden. In einer Ecke daneben liegen Blechbehälter mit einem türkisfarbenen Kristallpulver. „Zyklon B - Giftgas“, steht auf den gelb-roten Etiketten. „Kühl und trocken lagern. Nur durch geübtes Personal zu öffnen und zu verwenden.“

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